EuGH-Sitz in Luxemburg
Reuters/Francois Lenoir
EuGH-Urteil

Mindestsicherung in Oberösterreich gekippt

Die Neuregelung der Mindestsicherung in Oberösterreich ist nach rund zwei Jahren wohl wieder Geschichte: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschied am Mittwoch, dass die Schlechterstellung von Flüchtlingen mit befristetem Aufenthaltsrecht gegen EU-Recht verstoße. Das Urteil dürfte Folgen über Oberösterreich hinaus haben.

Seit Juli 2016 erhalten in Oberösterreich subsidiär Schutzberechtigte und befristet Asylberechtigte eine deutlich niedrigere Mindestsicherung (BMS-Satz) als dauerhaft Aslyberechtigte, die hier österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt sind. Laut dem EuGH-Urteil steht einer solchen Regelung aber das geltende EU-Recht entgegen.

Das Gericht gab damit einer von der Regelung betroffenen afghanischen Familie recht, die dagegen Beschwerde eingelegt hatte. Ihr Anwalt argumentierte, dass die oberösterreichische Rechtslage europarechtswidrig sei. Der Fall wurde anfangs vor dem oberösterreichischen Landesverwaltungsgericht (LVwG) verhandelt, das sich zur Klärung an den EuGH wandte.

Urteil widerspricht Verfassungsdienst

Das Urteil des EuGH fiel eindeutig aus: Artikel 29 der 2011 von der EU verabschiedete Richtlinie über „Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz“ sei so auszulegen, dass „er einer nationalen Regelung“ wie in Oberösterreich „entgegensteht“. Mit anderen Worten: Anerkannte Flüchtlinge müssen, unabhängig vom konkreten Schutzstatus, die gleichen Mittel erhalten wie die Staatsbürger im jeweiligen EU-Land.

Der EuGH widersprach damit der Auffassung des Verfassungsdiensts des Bundes. Dieser hatte in seiner Einschätzung die oberösterreichische Regelung gestützt. Die EU-Richtlinie stehe einer nationalen Regelung nicht entgegen, hieß es darin. Diese differenziere „hinsichtlich der Modalitäten der Leistungsgewährung“ zwischen dauerhaft und vorerst vorübergehend aufenthaltsberechtigten Asylberechtigten sowie subsidiär Schutzberechtigten „insofern (…), als auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der jeweiligen Personengruppe Bedacht genommen wird“.

Die ÖVP-FPÖ-Koalition in Oberösterreich wollte mit der Kürzung der Mindestsicherung für befristete Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte die Attraktivität des Bundeslandes für Flüchtlinge senken. Laut ÖVP und FPÖ sollte damit das Sozialsystem vor Überforderung geschützt werden. Nun muss die Koalition freilich nachbessern. „Die Entscheidung des EuGH nehmen wir zur Kenntnis. Wir stehen politisch aber weiterhin zu unserer Reform der Mindestsicherung, zu mehr Arbeitsanreiz und Leistungsgerechtigkeit“, hieß es in einer ersten Reaktion von ÖVP und FPÖ in Oberösterreich. Man setze nun auf eine bundesweite Reform – mehr dazu in ooe.ORF.at.

Grundlegende Entscheidung

Das LVwG, das den Fall nach Luxemburg weitergericht hatte, wartete unterdessen auf die offizielle Mitteilung des EuGH. Danach wolle man „zügig“ entscheiden, hieß es auf Anfrage der APA. Das Gericht könnte dabei gleich ein generelles Urteil fällen oder nur den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft für die klagende Familie aufheben.

Theoretisch könnte die Entscheidung des LVwG noch beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof angefochten werden. Dass es dazu kommt, darf allerdings bezweifelt werden. Bei dem EuGH-Urteil handelt es sich zwar um eine Entscheidung in einem Einzelfall. Seine Wirkung geht allerdings darüber hinaus. Der Entscheid des EuGH in der grundlegenden Rechtsfrage ist bindend, das heißt, jedes nationale Gericht und jede Behörde hat sich daran zu halten. Damit wird das EuGH-Urteil wohl auch Folgen abseits der oberösterreichischen Landespolitik haben.

Sozialministerium will Urteil berücksichtigen

Das Sozialministerium will das EuGH-Urteil berücksichtigen und einen verfassungskonformen Vorschlag für eine Neuregelung vorlegen. Das kündigte der Sprecher von Ministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) am Mittwoch an. Auf Details der Verhandlungen wollte der Sprecher nicht eingehen, er betonte aber, dass die Verhandlungen der Koalition „auf der Zielgeraden“ seien. Dem Vernehmen nach spießt es sich vor allem um den Zugriff auf das Vermögen von Beziehern der Mindestsicherung, den die ÖVP beibehalten will, die FPÖ aber zumindest für Aufstocker ablehnt.

Mögliche Folgen für nationale Pläne

Die ÖVP-FPÖ-Bundesregierung nannte das oberösterreichische Modell mehrfach als Vorbild für die bundesweite Neuregelung der Mindestsicherung, die in Kürze beschlossen werden soll. Auch hier war bisher die Rede davon, zwischen den verschiedenen Beziehern zu unterscheiden. So war etwa geplant, Drittstaatsangehörigen und anerkannten Flüchtlingen 300 Euro monatlich zu streichen.

Dabei war eine ähnliche Regelung in Niederösterreich, die zum Teil auch dem oberösterreichischen Modell Pate gestanden hatte, bereits im März vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) aufgehoben worden. In Niederösterreich stieß sich der VfGH zum einen an einer Deckelung der Beträge. Zum anderen widersprach er der in der Regelung festgeschriebenen Wartefrist. Diese sah für alle Menschen, die sich nicht mindestens fünf der vergangenen sechs Jahre in Österreich aufgehalten hatten, statt der Mindestsicherung nur eine geringere Leistung gemäß den „Mindeststandards – Integration“ vor.

Eine Deckelung findet sich auch im oberösterreichischen Modell. So werden zurzeit maximal 1.512 Euro pro Haushalt ausgezahlt. Dazuverdienen ist aber bis zu einer höheren Grenze ohne Kürzung des Bezugs möglich. Mit der Deckelung hat sich der EuGH nicht beschäftigt. Sie wird aber zurzeit vom VfGH geprüft – eine Entscheidung wird für Ende November erwartet.

Andere Bundesländer als Vorbild genannt

Nach dem EuGH-Urteil brachte einmal mehr die steirische Soziallandesrätin Doris Kampus (SPÖ) die Regelung ihres Bundeslandes ins Spiel: „Oberösterreich ist genauso auf dem Holzweg, wie auch Niederösterreich es war. Ich appelliere daher an die Bundesregierung, die steirische Lösung für ganz Österreich umzusetzen.“ Das steirische Modell sei „menschlich und rechtlich abgesichert“, so Kampus – mehr dazu in steiermark.ORF.at.

Kampus’ Parteikollege, der SPÖ-Abgeordnete Josef Weidenholzer, nutzte das Urteil für Kritik an der Asylpolitik von ÖVP und FPÖ. Diese sei „unmenschlich und europarechtswidrig“. Statt tatsächlicher Lösungen setzten ÖVP und FPÖ auf „Symbolpolitik und Schikane der Schwächsten“, so Weidenholzer. Für NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker sei das Urteil des EuGH nicht überraschend gekommen. Er forderte in einer Aussendung eine „bundeseinheitliche Lösung mit klaren Vorgaben und mehr Sachleistungen“. Als Vorbild nannte er das Vorarlberger Modell. Von einer „eindeutigen Absage“ gegen „schwarz-blaue“ Alleingänge sprach Jetzt-Sozialsprecherin Daniela Holzinger.

Bestätigt sah sich auch die Wiener Landesregierung. Das Urteil zeige, „dass Ungleichbehandlungen unzulässig sind und die blau-schwarze Symbolpolitik zu nichts führt – das sollte auch die Bundesregierung berücksichtigen“, so Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ). „Es wird Zeit, um innezuhalten, die eigenen Fehler zu reflektieren und daraus zu lernen“, so die Sozialsprecherin der Wiener Grünen, Birgit Hebein.