Bundeskanzler Sebastian Kurz
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„Wichtiger Schritt“

Kurz drängt auf Antisemitismus-Erklärung

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will die EU-Staaten mit einer gemeinsamen Erklärung zu einer einheitlichen Definition des Antisemitismus bringen. Er hoffe sehr, dass das während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft gelingt, sagte Kurz am Mittwoch bei einer Konferenz gegen Antisemitismus und Antizionismus in Wien. Zuvor hatte es Kritik daran gegeben, dass mehrere Staaten die Erklärung verweigern würden.

Ariel Muzicant, Vizepräsident des Europäischen Jüdischen Kongresses (EJC), hatte in seiner Eröffnungsrede für die Konferenz kritisiert, dass „fünf oder sechs Staaten“ die Unterzeichnung der Erklärung verweigern. Diese würden sich aus „irgendwelchen dummen Gründen dagegen“ wehren. Inhalt sei eine gemeinsame Definition von Antisemitismus sowie das Bekenntnis, „dass Juden Bürger Europas sind und das Recht darauf haben, in Frieden zu leben“, so Muzicant. Noch immer seien einige Staaten dagegen, dieses Recht zu akzeptieren. Offen gelassen wurde, um welche Staaten es sich handelt.

Laut Kurz wäre die Erklärung ein „wichtiger Schritt“, damit Jüdinnen und Juden sicher in Europa leben können. Er verwies auf die „besondere Verantwortung“ Österreichs wegen der Mittäterschaft in der Schoah. Erst wenn Juden in Österreich, Israel und auf der ganzen Welt in Frieden und Freiheit leben können, „sind wir unserer historischen Verantwortung auch wirklich gerecht geworden“.

Verweis auf „importierten Antisemitismus“

Kurz bezeichnete es als „unglaublich“, dass Antisemitismus auch knapp 100 Jahre nach der Schoah noch existiere. Zum immer schon vorhandenen Antisemitismus sei auch ein „neu importierter“ gekommen, sagte er in Anspielung auf Migranten und Migrantinnen aus islamischen Staaten. Für die Bekämpfung des Antisemitismus halte er den Kontakt mit Überlebenden für unerlässlich. Man müsse sich aber bewusst machen, dass seine Generation die wohl letzte sei, die sich in den Dialog mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen begeben könnte.

Bundeskanzler Sebastian Kurz, Moshe Kantor Präsident des European Jewish Congress, Manfred Weber, Abgeordneter des Europäischen Parlaments
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Kurz mit dem Präsidenten des European Jewish Congress, Moshe Kantor, und EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber

Erst in seiner Zeit als Außenminister sei ihm bewusst geworden, dass Antisemitismus und Antizionismus „heute Hand in Hand gehen und oft zwei Seiten einer Medaille sind“, bekannte sich Kurz zum Eintreten für die Sicherheit Israels. Man müsse sich bewusst werden, dass Antisemitismus und Antizionismus „immer mehr verschwimmen“.

Videobotschaft von Netanjahu

Vor der Rede des Kanzlers hatte sich der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in einer Videobotschaft an die Konferenz gewandt und die Initiative des österreichischen EU-Ratsvorsitzes gelobt. „Der Holocaust hat nicht in den Gaskammern von Auschwitz begonnen“, mahnte Netanjahu dazu, schon frühzeitig gegen Hass einzutreten, „wenn man noch verhindern kann, dass schlimme Dinge schlimmer werden“.

Netanjahu, der seine Teilnahme an der Konferenz wegen der aktuellen Regierungskrise in Israel absagen musste, rief alle europäischen Regierungen zur Annahme der Internationalen Antisemitismus-Definition auf, wie das bereits sieben europäische Staaten, darunter Österreich, getan hätten. „Wir kämpfen für unsere gemeinsame Zukunft, für unsere gemeinsame Zivilisation – und wir werden siegen“, sagte er.

Kurz sieht „konzertiertes Vorgehen“ gegen Israel

Kurz forderte auch die Staaten der EU dazu auf, ihr Stimmverhalten bei UNO-Abstimmungen über Israel zu überdenken. Er ortete ein in den letzten Jahren und Jahrzehnten entstandenes, „immer stärker konzertiertes Vorgehen gegen Israel, in einem Ausmaß, das sicher nicht als ganz korrekt bezeichnet werden kann“, stimmte Kurz der zuvor vom Chef des American Jewish Committee (AJC), David Harris, geäußerten Kritik an den UNO-Staaten zu. Österreich habe sich daher entschlossen, „nachzuschärfen“ und hoffe, dass andere EU-Staaten das auch täten. Es sei „notwendig, hier eine Veränderung vorzunehmen“, so Kurz. „Wir haben das in Österreich schon getan“, fügte er hinzu, ohne konkrete Angaben zu machen.

Antisemitismus-Konferenz in Wien

Anwesend sind Spitzenvertreter jüdischer Organisationen, Fachleute sowie EU-Spitzenpolitiker.

Ebenfalls auf die Seite Israels stellte sich der EVP-Spitzenkandidat bei der Europawahl, Manfred Weber. Der Schutz Israels sei „nicht nur eine deutsche Verantwortung, sondern eine europäische Verantwortung“, sagte er. Zugleich sprach er sich mit Blick auf die umstrittene israelische Politik im Nahost-Konflikt dafür aus, Meinungsverschiedenheiten „innerhalb Israels“ aufrichtig anzusprechen. Weber forderte des Weiteren eine strenge Reglementierung von Sozialen Netzwerken. Die Frage des Umgangs mit den neuen Kommunikationsformen sei nämlich der „wichtigste Punkt“ im Kampf gegen den Antisemitismus, betonte er.

Jourova sieht Zivilgesellschaft in der Pflicht

EU-Justizkommissarin Vera Jourova betonte die „Verpflichtung“ der Brüsseler Behörde, gegen Antisemitismus zu kämpfen. Sie nahm aber auch die Zivilgesellschaft in die Pflicht, die „eine starke Botschaft“ gegen Antisemitismus aussenden müsse und diesen nicht „still akzeptieren“ dürfe.

Der Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses (EJC), Moshe Kantor, hob die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Auftretens gegen dieses Phänomen hervor. „Bitte kämpft gegen den Antisemitismus, nicht für die Juden, sondern für uns alle.“ Er dankte Kurz für seine „Führungsstärke“ und den persönlichen Einsatz, „diese Frage zu einer Priorität gemacht zu haben“. Kantor hatte Kurz am Dienstagabend einen Ehrenpreis des EJC, den „Jerusalem Navigator“, überreicht.

ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann nannte als eine der Strategien im Kampf gegen den Antisemitismus eine engere Zusammenarbeit mit Israel. „Wir müssen die österreichisch-israelische Kooperation stärken“, betonte Faßmann. Durch Zusammenarbeit ließen sich Vorurteile überwinden. Zuvor war er auch auf die Erklärung zu sprechen gekommen. Diese sei auf die Tagesordnung des nächsten EU-Ministerrates gesetzt worden. Der Beschluss dieser Erklärung sei „wichtig“, sagte Faßmann.

Lage für Juden „schlimmer und schlimmer“

Zur Eröffnung der Konferenz hatte es eindringliche Appelle gegeben. Die Lage für Jüdinnen und Juden in Europa werde „schlimmer und schlimmer“, man stehe an einem „Scheideweg“, so Muzicant. Die nächsten Jahre und Monate würden entscheiden „was mit den 1,5 Millionen Juden passiert, die auf diesem Kontinent leben“. In Österreich nehme zwar der Antisemitismus zu, „aber wir haben nicht die Gewalt und Morde, wie sie in Frankreich, England, Schweden und vielen anderen Ländern passieren“.

Die Konferenz soll nach konkreten Lösungen suchen, wie das jüdische Leben in Europa gesichert werden kann. Als konkreter Schritt wurde ein Handbuch gegen Antisemitismus präsentiert, das von Experten im Auftrag des EJC erarbeitet wurde. Kantor appellierte: „Bitte kämpft gegen den Antisemitismus, nicht für die Juden, sondern für uns alle.“

Bereits am Montag und Dienstag hatte Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) zu einer EU-Konferenz geladen, bei der der Antisemitismus ebenfalls Thema war. Der Kampf gegen den politischen Islam und den Antisemitismus „müssen sichtbarer auf der EU-Agenda stehen“, bilanzierte Kickl am Mittwoch die Zusammenkunft, an der neben Experten unter anderem der belgische Innenminister Jan Jambon und der deutsche Staatssekretär Hans-Georg Engelke teilgenommen hatten. Der Präsident der Israelischen Kultusgemeinde (IKG), Oskar Deutsch, hatte eine Einladung zu Kickls Konferenz ausgeschlagen.