Ansprache von Frankreichs Präsident Macron auf einem Smartphone
Reuters/Jean-Paul Pelissier
Schutz oder Zensur?

Mit Gesetzen gegen „Fake News“

Lügner sind Verbrecher – zumindest, wenn sie absichtsvoll öffentlich lügen, um Vorteile daraus zu ziehen. Diese Erkenntnis ist in Frankreich auf Drängen von Präsident Emmanuel Macron in Gesetzesform gegossen und vom Parlament beschlossen worden. Journalisten befürchten staatliche Zensur.

In Malaysia wurde bereits im April ein Gesetz gegen „Fake News“ beschlossen. Der autoritär agierende Premier Najib Razak wollte damit, sagen Journalistenvertreter und Menschenrechtsaktivisten, die Berichterstattung über seine Machenschaften verhindern und außerdem negative Botschaften Oppositioneller aus den Sozialen Netzwerken verbannen. Nur ein paar Monate später wurde er aus dem Amt gewählt und das Gesetz wieder gekippt. Weiterhin jedoch steht das Verbreiten von Falschinformationen in Indonesien, Kambodscha, Thailand und Indien unter Strafe.

In Europa wird ein Mittelweg gegangen: Ohnehin bereits bestehende Gesetze gegen Verleumdung, üble Nachrede und Verhetzung werden auch in den Sozialen Netzwerken exekutiert bzw. ausgeweitet, in Deutschland etwa seit 1. Jänner geregelt im Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das dezidiert Strafen gegen Netzwerkbetreiber vorsieht. In Österreich gibt es immer wieder Verurteilungen wegen Verhetzung – zum Beispiel wenn wieder einmal jemand die Ermordung von Flüchtlingen fordert.

„Sonst würden wir Zensur üben“

Die EU nimmt sich des Themas ebenfalls an. Justizkommissarin Vera Jourova thematisierte in einer Rede Anfang November aber auch das damit einhergehende Dilemma: „Als Vertreterin der europäischen Gesetzgebung kann ich ihnen versichern, dass wir freie Wahlen garantieren wollen und deshalb den Mitgliedsstaaten empfehlen, entsprechende Gesetze zu erlassen. Aber – viel können wir natürlich nicht gegen manipulative Inhalte tun, weil wir sonst Zensur üben würden, und die wollen wir mit Sicherheit nicht in Europa.“

Frankreich hat nun als erstes europäisches Land ein Gesetz gegen die Verbreitung von „Fake News“ während eines Wahlkampfs erlassen. Und die Genese der Neuregelung ist jener in Malaysia nicht ganz unähnlich. Im Wahlkampf kursierten die – allerdings frei erfundenen – „News“, dass Macron ein geheimes Konto in einer Steueroase besitzt.

Der Schock darüber saß tief bei ihm. Die Wahl gewonnen hat er trotzdem. Seither hat sich Macron den Kampf gegen Lügen im Netz auf seine Fahnen geheftet. Über Soziale Netzwerke würden, so Macron, „in der ganzen Welt, in allen Sprachen erfundene Lügenmärchen verbreitet, um einen politisch Verantwortlichen, eine Persönlichkeit, eine Person des öffentlichen Lebens oder einen Journalisten zu beschmutzen“.

Frankreich „an der Speerspitze“

Die neuen Regeln gelten in erster Linie für Wahlkampfzeiten. Naima Moutchou, Abgeordnete von Macrons Partei La Republique En Marche, hob im Parlament die Vorreiterrolle Frankreichs hervor: „Mit diesen Gesetzen ist Frankreich die Speerspitze eines Kampfes, der unsere Grenzen überschreitet.“ Die Neuregelungen ermöglichen es unter anderem, dass ein Kandidat sich im Eilverfahren gegen die Verbreitung von Falschinformationen im Internet wehren kann. Ein Richter kann dann etwa einen Suchmaschinenanbieter verpflichten, eine bestimmte Seite nicht mehr in seiner Ergebnisliste anzuzeigen.

Bedingung ist, dass die Falschinformationen geeignet sind, die Wahl zu beeinflussen. Zudem werden Onlineplattformen wie Soziale Netzwerke zu mehr Transparenz im Hinblick auf gesponserte Inhalte verpflichtet. Damit ist gemeint, dass jemand dafür bezahlt, dass sein Inhalt vielen Nutzern angezeigt wird. Künftig soll in Wahlkampfzeiten öffentlich gemacht werden, wer für diese Verbreitung bezahlt.

„Hat nichts mit politischer Debatte zu tun“

Oppositionspolitiker sehen in dem Gesetz Gefahren für die Redefreiheit. Schon die Definition von Falschinformationen ist hochumstritten. Der Linkspolitiker Jean-Luc Melenchon hatte die Initiative als „Versuch der Informationskontrolle“ bezeichnet, auch Journalistengewerkschafter äußerten sich kritisch. Das Regierungslager widersprach den Bedenken: „Zu politischen Zwecken verfälschte, verzerrte, orchestrierte Informationen haben nichts mit politischer Debatte zu tun“, so Kulturministerin Francoise Nyssen.

In Österreich gab es übrigens schon einmal ein Anti-„Fake News“-Gesetz, das aber, nachdem es 20 Jahre lang zu keiner Verurteilung gekommen war, 2016 gestrichen wurde. Dabei hätte es 2015 Anlässe genug gegeben, genauer hinzuschauen: Längst nicht nur in Sozialen Netzwerken und auf rechtsextremen „News“-Websites, sondern auch in Boulevardmedien standen hanebüchene Schauergeschichten auf der Tagesordnung, fleißig weiterverbreitet von „migrationsskeptischen“ Politikern.

Selbstverpflichtung der Plattformen

Jetzt ist die Angst, nicht nur in Österreich, groß, dass rund um die EU-Wahl wieder orchestrierte „Fake News“ auftauchen werden, ob vonseiten anonymer Accounts, die findige Spin-Doktoren von Parteien in Auftrag geben, um dem politischen Gegner zu schaden, vonseiten russischer Hacker, rechtsextremer Wirrköpfe oder ganz einfach von privaten Polit-Hasspostern. Die maßgeblichen Social-Media-Plattformen haben sich deshalb auf eine Initiative der Europäischen Union hin einer Selbstverpflichtung unterworfen, beherzt gegen „Fake News“ vorzugehen, also etwa anonyme „Fake News“-Seiten zu sperren.

In dem von der EU formulierten „Code of Practice on Disinformation“ werden „Fake News“ so definiert, folgend den Ausführungen der Kommission und einer Expertengruppe: „‚Desinformation‘ als
nachweisbar falsche oder irreführende Information, die ‚verfasst, präsentiert und verbreitet wird‘, um wirtschaftlichen Gewinn zu lukrieren oder absichtlich die Öffentlichkeit zu täuschen’ und die ‚potenziell öffentlichen Schaden anrichtet‘“, gedacht, um, sinngemäß, demokratische politische Prozesse zu gefährden.