Italienische Zwei-Euro-Münze
ORF.at/Christian Öser
Budget

Streit mit Italien als Balanceakt für EU

Im Streit über das italienische Budget hat die EU-Kommission die Einleitung eines Defizitverfahrens gegen Rom empfohlen. Italiens populistische Regierung hat die Eskalation bewusst gesucht. Das weitere Vorgehen gegen das Land ist für die EU ein Balanceakt – gerade in Hinblick auf die Europawahl im Mai 2019.

Der Entwurf, den Italien für das Budget 2019 vorgelegt habe, „könnte das Land wie einen Schlafwandler in die Instabilität laufen lassen“, sagte der Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, am Mittwoch in Brüssel. Die Kommission komme daher zu dem Schluss, dass die Eröffnung eines Verfahrens wegen eines übermäßigen Defizits „gerechtfertigt“ sei.

Die Finanzministerinnen und Finanzminister der Euro-Staaten müssen nun die Empfehlung der EU-Kommission prüfen. Haben sie keine Einwände, kann das Verfahren im Jänner beginnen. Im schlimmsten Fall drohen Italien Strafzahlungen in Milliardenhöhe und die Streichung von EU-Hilfen. Dazu kommen würde es aber frühestens 2020. Defizitverfahren hatte es in der Vergangenheit auch gegen andere EU-Staaten gegeben – dass ein Land aber tatsächlich zu Strafzahlungen verdonnert wird, wäre eine Premiere.

37.000 Euro Schulden pro Kopf

Der Hauptkritikpunkt der EU an Italiens Budget ist die geplante Neuverschuldung. Der EU-Stabilitätspakt erlaubt ein Haushaltsdefizit von maximal drei Prozent der Wirtschaftsleistung. Mit 2,4 Prozent bleibt Rom 2019 im Rahmen, liegt aber dreimal so hoch wie von der Vorgängerregierung versprochen. Damit will die Regierung aus der rechtpopulistischen Lega und der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung unter anderem eine Grundsicherung nach dem Vorbild von Hartz IV, ein niedrigeres Pensionsantrittsalter sowie Steuererleichterungen finanzieren.

Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis
Reuters/Yves Herman
Dombovskis: Italiens Budgetentwurf „könnte das Land wie einen Schlafwandler in die Instabilität laufen lassen“

Italien ist nach Griechenland schon jetzt das am höchsten verschuldete Euro-Land mit einer Quote von mehr als 130 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, doppelt so hoch wie nach EU-Regeln erlaubt. In absoluten Zahlen beläuft sich der Schuldenberg auf 2,3 Billionen Euro. Pro Kopf sind das laut EU-Kommission 37.000 Euro.

Einzigartiger Fall

Einzigartig ist der Streit aber auch deswegen, weil Italien die Eskalation bewusst gesucht hat. Die EU hatte bereits den ersten von Rom übermittelten Budgetentwurf abgelehnt. Die italienische Regierung schickte darauf der Form halber einen neuen Budgetplan nach Brüssel, in dem sie aber nicht die von der EU-Kommission verlangten Änderungen vornahm.

Italiens rechtspopulistischer Innenminister Matteo Salvini bekräftigte am Mittwoch neuerlich, man werde auf dem Budgetentwurf beharren. Die mögliche Einleitung eines EU-Verfahrens gegen sein Land bezeichnete der Vizeregierungschef in einer ersten Reaktion als „respektlos“. Auf Facebook legte er später nach: „Wir Italiener zahlen jährlich fünf Milliarden Euro mehr, als wir von Brüssel zurückerhalten. Wir verteidigen unser Recht auf Beschäftigung, Gesundheit, Sicherheit und weniger Steuern. Wir machen weiter.“

Auch die mit der Lega regierende Fünf-Sterne-Bewegung will im Streit mit der EU-Kommission nicht einlenken. „Wir begreifen nicht, warum die EU ein Strafverfahren gegen Italien einleitet, das im Gegensatz zu anderen EU-Mitgliedsstaaten stets die europäischen Regeln berücksichtigt hat. Wir tun es auch mit diesem Budgetentwurf. Die Italiener dürfen sich keine Sorgen machen, denn wir machen weiter“, so der Fünf-Sterne-Fraktionschef in der Abgeordnetenkammer, Francesco D’Uva.

Hoffnung auf Wirtschaftswachstum

Gerade in Hinblick auf die Europawahl im Mai 2019 ist für die EU Fingerspitzengefühl gefragt. Ein zu harsches Vorgehen würde wohl den europaskeptischen Regierungsparteien in die Hände spielen. Hinzu kommt, dass sich Salvini bereits als möglicher Spitzenkandidaten einer rechten Parteienallianz ins Spiel gebracht hat.

Budgetstreit: EU macht Druck auf Italien

Die EU-Kommission empfiehlt die Einleitung eines Defizitverfahrens gegen Italien. Wie es nun weitergeht und was Rom im schlimmsten Fall droht, erklärt ORF-Brüssel-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter.

Mit ihren im Budget festgelegten Maßnahmen hofft die italienische Regierung, Konsum und Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Das soll dabei helfen, die Staatsschulden ab 2020 zu reduzieren. In Brüssel geht die Sorge um, dass dieser Plan nicht aufgeht und Italien eine neue Euro-Krise auslösen könnte.

Löger: „Entscheidung die einzig richtige“

In diese Kerbe schlug am Mittwoch auch Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP). Die Einleitung eines Defizitverfahrens gegen Italien sei ein schwieriger, aber auch notwendiger Schritt, um die Einhaltung der Regeln sicherzustellen. Eine neue Krise der Euro-Zone müsse vermieden werden, sagte Löger am Mittwoch.

„In den letzten Wochen wurden sowohl seitens der EU-Kommission als auch aus den Mitgliedsstaaten zahlreiche Warnungen an die italienische Regierung gesendet. Leider war diese nicht bereit, von ihrem Kurs abzurücken. Statt zur Einhaltung der Regeln zurückzukehren, bevorzugte sie es innenpolitisch Stimmung zu machen“, so Löger, „insofern ist die Entscheidung der Kommission die einzig richtige.“

Alle Finanzministerinnen und Finanzminister der Euro-Zone stehen nach Worten ihres Präsidenten Mario Centeno hinter dem Schritt der EU-Kommission, ein Defizitverfahren gegen Italien einzuleiten. „Wir haben die Europäische Kommission in diesem Prozess immer unterstützt, wie auch bei ähnlichen Vorgängen in der Vergangenheit“, sagte Centeno am Mittwoch.

Dialogbereitschaft auf beiden Seiten

EU-Kommissionsvize Dombrovskis unterstrich, dass sich alle Staaten an die gleichen Regeln halten müssten. Für Sicherheit und Stabilität sei gegenseitiges Vertrauen der Staaten notwendig. Allerdings plane Italien gerade in dieser Situation noch weitere Verschuldungen und wolle „keine nötige finanzpolitische Besonnenheit walten lassen“. Die Auswirkungen auf Wachstum seien negativ. Die Unsicherheit und die steigenden Zinssätze würden ihren Tribut fordern.

Italiens Innenminister und Vize-Regierungschef Matteo Salvini richtet sich seinen Krawattenknoten
Reuters/Remo Casilli
Salvini: Italien wird seinen Kurs halten

Es gehe um das Wohlergehen und den künftigen Wohlstand des italienischen Volkes. Daher sei es die Aufgabe der Kommission, auf die Risiken zu verweisen. „Das tun wir heute. Wir sind offen für einen Dialog mit der italienischen Regierung, aber die Situation muss angegangen werden“, sagte Dombrovskis.

Conte trifft Juncker

Der italienische Premier Giuseppe Conte erklärte sich am Mittwoch seinerseits zu einem „konstruktiven Dialog“ mit der EU bereit. Er wolle Brüssel einen detaillierten Plan der Regierungsreformen vorstellen. „Wir wollen diese Reformen konkretisieren, die für unser Land notwendig sind“, sagte Conte, der den Budgetplan als „solide und effizient“ bezeichnete.

Italiens Premier Giuseppe Conte und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
Reuters/Yves Herman
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker (l.) und Italiens Premier Conte (r.) treffen einander am Samstag in Brüssel

Der Budgetplan sei der richtige Weg, um Italien wieder auf Wachstumskurs zu bringen und die hohe Verschuldung abzubauen. „Das ist von Vorteil sowohl für Italien als auch für Europa“, erklärte Conte. Die EU davon überzeugen kann Conte am Samstag – an diesem Tag trifft er EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Brüssel zu einem „Arbeitsdinner“.

Berlusconi rechnet mit baldigem Regierungsende

Silvio Berlusconi, Italiens Ex-Premier und Chef der oppositionellen Forza Italia, ist indes der Ansicht, dass die Regierung aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung nicht mehr lange halten wird. „Diese Mehrheit ist nicht in der Lage, Italien weiterzuregieren“, so Berlusconi. Er richtete einen Appell an die Lega, die Allianz mit der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung zu brechen. Wegen des Streits zwischen Rom und Brüssel seien die Ersparnisse der Italiener und die Zukunft italienischer Unternehmen gefährdet, so Berlusconi.

Zudem drohe Italien wegen des Misstrauens internationaler Investoren eine Kapitalflucht, warnte er. „Wer Europa die Schuld für diese Situation gibt, gleicht einer Person, die dem Arzt die Schuld für eine Krankheit zuschreibt“, sagte Berlusconi. Er appellierte an Salvini, die Partnerschaft mit der Fünf-Sterne-Bewegung um Vizepremier Luigi Di Maio zu brechen, um eine neue Koalition aus Mitte-rechts-Parteien aufzubauen, die Italien eine neue Perspektive sichern könne.