Ein Arzt behandelt eine Frau in einem Krankenhaus in Boa Vista
Reuters/Nacho Doce
Lange Schlangen vor Praxen

Kuba löst Ärztemangel in Brasilien aus

Nach dem infolge eines politischen Streits durch Kuba verkündeten Ende des brasilianischen Programms „Mehr Ärzte“ fehlt es dort in vielen Ortschaften an medizinischem Personal. In mindestens zwölf brasilianischen Bundesstaaten gebe es Gesundheitszentren, in denen keine Mediziner und Medizinerinnen mehr arbeiten, berichtete das Nachrichtenportal G1 am Mittwoch.

Vor anderen Praxen bildeten sich demnach lange Schlangen. Das sozialistische Kuba hatte in der vergangenen Woche damit begonnen, über 8.000 Ärzte und Pfleger aus Brasilien abzuziehen und heimzuholen. Vorausgegangen war ein Streit zwischen der sozialistischen Regierung der Karibikinsel und dem künftigen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro.

Bolsonaro wollte die Mediziner direkt und ohne Vermittlung Kubas unter Vertrag nehmen. Das verstoße jedoch gegen die Grundlagen des Programms, erklärte das Gesundheitsministerium Kubas letzte Woche und begann, sein medizinisches Personal abzuziehen.

Kubanische Ärtze bei einer Schulung in Brasilien
AP/Eraldo Peres
Eine Übung kubanischer Ärztinnen und Krankenschwestern mit einem brasilianischen Patienten 2013

Abkühlung mit anderen Regierungen erwartet

Nach der Wahl des ultrarechten Ex-Militärs Bolsonaro war bereits erwartet worden, dass sich das Verhältnis Brasiliens zu den linken Regierungen in der Region wie in Kuba, Venezuela und Bolivien verschlechtern könnte. Bolsonaro tritt sein Amt am 1. Jänner 2019 an.

Kuba schickt die Mediziner und Medizinerinnen in mehr als 60 Länder und verdient kräftig mit. Die brasilianische Regierung zahlt beispielsweise pro Monat pro Arzt 3.500 Dollar, der Mediziner selbst bekommt aber nur 900 Dollar Gehalt. Den Rest behält die kubanische Regierung. Nach kubanischen Angaben wird mit den Gewinnen das Gesundheitssystem auf der Insel finanziert, das für die Bevölkerung kostenlos ist.

Dreimal mehr Einnahmen als aus Tourismus

Insgesamt nimmt Havanna mit der Bereitstellung von Ärzten und Pflegern rund zehn Milliarden Dollar (8,8 Mrd. Euro) pro Jahr ein. Damit ist das Medizinservice eine der wichtigsten Einnahme- und Devisenquellen. Der Staat verdient damit dreimal soviel wie mit dem Tourismus.

Nach brasilianischen Angaben stellten die Kubaner die medizinische Versorgung von rund 63 Millionen Menschen vor allem in abgelegenen und sozial schwachen Gegenden sicher. Die Stellen werden nun in Brasilien neu ausgeschrieben.

Riesenloch im Gesundheitssystem

Der Abzug der Ärzte und Ärztinnen reißt nun im brasilianischen Gesundheitswesen ein großes Loch. Felipe Proenco de Oliveira, von 2013 bis 2016 Koordinator des Programms, rechnet laut der Zeitung Estadao mit einem Engpass. „Es ist unwahrscheinlich, dass die 10.000 Stellen nur mit Brasilianern besetzt werden können.“ Er schätzt weiterhin, dass 367 Städte zunächst ganz ohne Ärzte bleiben werden. Eine Möglichkeit, die zurzeit diskutiert wird: Junge Ärzte, die über das Programm FIES eine später zurückzuzahlende Beihilfe zur Finanzierung des Studiums erhalten haben, sollen motiviert werden, an dem Programm teilzunehmen und so Teile des erhaltenen Darlehens abzuleisten.

Mauro Junqueira, Präsident des nationalen Rats der Gesundheitsämter (Canasems) rechnet damit, dass einigen Regionen bis zu drei Monate lang keinerlei ärztliche Versorgung zuteil werden könnte. Zwar gäbe es durchaus verfügbare Ärzte in Brasilien, so Junqueira. Es sei aber ungewiss, ob sich diese auch für das Programm melden würden.

Familien müssen in Kuba bleiben

Das Programm „Mais Medicos“ („Mehr Ärzte“) war 2013 ins Leben gerufen worden, weil eben gerade in den entlegenen Gebieten des fünftgrößten Landes der Erde die medizinische Versorgung schlecht oder gar nicht vorhanden ist. Rund 18.000 Ärztestellen in mehr als 3.200 Gemeinden sollten besetzt werden. Zunächst hatte es sich an brasilianische Ärzte gerichtet, doch die Resonanz war nicht gut, obwohl das für brasilianische Verhältnisse nicht so schlechte Gehalt von etwa 11.000 Reais (damals rund 3.700 Euro) sogar noch durch einen Aufschlag aufgewertet wurde.

In Kuba fand man das durchaus attraktiv. Die brasilianische Bundesregierung von Präsidentin Dilma Rousseff von der linken Arbeiterpartei nutzte ihre politische Nähe zum Regime der Brüder Raul und Fidel Castro und rekrutierte großzügig. Knapp die Hälfte der 18.000 Stellen konnte so durch Kubaner besetzt werden. Insgesamt schickte Kuba über die Jahre rund 20.000 Mediziner und Medizinerinnen nach Brasilien.

Wahlzuckerl an Gemeinden

Für Rousseff lohnte sich der Deal mit Havanna auch und trug dazu bei, dass sie sich bei den Präsidentschaftswahlen 2014 knapp gegen Aecio Neves durchsetzen konnte. Die brasilianische Regierung übernahm nämlich für die Gemeinden die Kosten für die Ärzte gänzlich. Normalerweise müssen die Gemeinden die Gehälter der bei ihnen angestellten Ärzte teilen. Auch bei Anerkennung ihrer Qualifikation gab man sich offen. Üblicherweise gelten für Ärzte, die ihre medizinische Ausbildung im Ausland absolvierten, strengere Kriterien. Brasilianische Medizinerverbände warfen der Regierung allerdings vor, „versklavtes Personal“ zu engagieren.

Die kubanischen Ärzte und Pfleger arbeiten für begrenzte Zeit im Ausland und dürfen ihre Familien nicht mitnehmen. Zudem wurden ihre Papiere einbehalten. So konnten sie im Gastland kein politisches Asyl beantragen. Damit will Kuba offenbar verhindern, dass sich die gut ausgebildeten Fachkräfte dauerhaft absetzen.

„Absurde Situation, die Menschenrechte verletzt“

Brasiliens künftiger Präsident Bolsonaro kritisierte die Entscheidung Havannas heftig. „Für die Fortführung des Programms haben wir Leistungstests gefordert, die Auszahlung des vollen Gehalts an die Mediziner, das heute zum größten Teil an die Diktatur fließt, und das Recht auf Familiennachzug“, schrieb er auf Twitter. „Leider hat Kuba das nicht akzeptiert.“

„Derzeit behält Kuba den größten Teil der Gehälter der Ärzte ein und schränkt die Freiheit des Fachpersonals und ihrer Familien ein“, schrieb Bolsonaro weiter auf Twitter. „Sie ziehen sich aus dem Programm zurück, weil sie diese absurde Situation, die die Menschenrechte verletzt, nicht ändern wollen. Bedauerlich.“

Ansage im Wahlkampf

Politisch schlägt Bolsonaro damit in zwei Kerben. Einerseits macht er damit sein Wahlversprechen wahr, das Programm „Mais Medicos“ der Arbeiterpartei neu zu verhandeln, und gibt damit außenpolitisch Kuba und innenpolitisch der Arbeiterpartei die Schuld an der ärztlichen Unterversorgung. Zweitens sind dabei Gebiete, wie etwa rund 34 indigene Gebiete, betroffen, die Bolsonaro ohnehin nicht als empfänglich für seine Politik sieht. Im Wahlkampf hatte er mehrfach betont, dass Indigene und andere Minderheiten in seiner Politik keine große Rolle spielen werden.