Rote Ampel vor dem Felsen von Gibraltar
Reuters/Jon Nazca
Gibraltar-Konflikt

Diplomaten: Spanien lehnt „Brexit“-Deal ab

Die Vorbereitungen für den „Brexit“ laufen: Vorige Woche kam eine Grundsatzeinigung zustande, am Donnerstag schließlich eine Erklärung über die künftigen Beziehungen. Spanien dämpfte aber die Erwartungen: Solange die Gibraltar-Frage nicht geklärt ist, will Madrid keinem Deal zustimmen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zeigte sich in London für eine Lösung bis Sonntag dennoch zuversichtlich.

Die Klärung des alten Konflikts zwischen Spanien und Großbritannien um die Halbinsel Gibraltar war bisher in allen Übereinkünften ausgespart und auf später verschoben worden. Das könnte sich nun rächen: Spanien wird Diplomaten zufolge gegen den Entwurf des „Brexit“-Abkommens stimmen. Auch der am Donnerstag geschlossene „Zukunftspakt“ wird abgelehnt. Die Regelungen zum Umgang mit Gibraltar müssten gesondert zwischen Spanien und Großbritannien ausgehandelt werden, sagten spanische Diplomaten am Donnerstag.

Die britische Premierministerin Theresa May äußerte sich am Donnerstag noch zuversichtlich zum angepeilten Abkommen mit der EU. Es sei in Greifweite gerückt. Die Vereinbarung setze das Votum des Volkes um, und sie sei entschlossen, einen abschließenden Deal für den Austritt hinzubekommen. Auch in puncto Gibraltar werde man sich einigen. Die Halbinsel Gibraltar im Süden Spaniens gehört seit 1713 zu Großbritannien, wird aber von Spanien regelmäßig zurückgefordert.

„Zukunftspakt“ geschmiedet

EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte zuvor bekanntgegeben, dass sich die Unterhändler der EU und Großbritanniens bereits auf eine Erklärung zu den künftigen Beziehungen geeinigt haben. Angestrebt wird eine „ehrgeizige“ und „tiefe“ wirtschaftliche und politische Partnerschaft. Der Entwurf geht nun an die EU-Botschafter und -Botschafterinnen der restlichen 27 Mitgliedsstaaten. Bis zum EU-Sondergipfel am Sonntag sollte der Pakt unterschriftsreif sein.

Laut diesem Entwurf soll die Übergangsperiode um ein bis zwei Jahre verlängert werden können. Während dieser Zeit solle London ins EU-Budget einzahlen, heißt es. Die Übergangsphase soll dazu dienen, die künftigen Beziehungen der Europäischen Union und Großbritanniens nach dem „Brexit“ in Ruhe auszuhandeln und vertraglich zu regeln. In dieser Zeit ändert sich für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen fast nichts. Großbritannien wird mit dem Austritt allerdings offiziell Drittstaat. Das Land muss weiter EU-Regeln einhalten und Beiträge nach Brüssel überweisen, hat aber keine Mitsprache mehr in EU-Gremien.

Freier Handel soll aufrecht bleiben

Außerdem verpflichten sich beide Seiten in der Erklärung darauf, ein „ambitioniertes Zollabkommen“ umzusetzen. So sei die „Schaffung eines Freihandelsgebiets“ ohne Zölle, Abgaben und mengenmäßige Beschränkungen das Ziel. Neben der Gibraltar-Frage waren aber auch immer noch die Fischereirechte offen. Auch darüber wollte man sich erst bis Juli 2020 einigen. Bis zu diesem Datum soll auch entschieden sein, ob britische Finanzdienstleistungen weiterhin im Rest der EU anerkannt werden. Laut Kommission könnte es noch zu einem trilateralen Treffen zwischen May, dem spanischen Premier und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker kommen.

Eine Karte zeigt Gibraltar
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Von der künftigen Regelung der Wirtschaftsbeziehungen ist auch abhängig, ob eine dauerhafte Lösung für die Nordirland-Frage gefunden werden kann. Die EU hat Großbritannien im Austrittsvertrag das Zugeständnis abgerungen, dass Nordirland auf Dauer in einer Zollunion mit der EU bleiben wird, wenn sich beide Seiten nicht auf einen anderen Modus zur Vermeidung einer „harten Grenze“ zur Republik Irland einigen können. Dieser Passus ist in Großbritannien besonders umstritten.

Kurz: „Geschlossen als Union agieren“

Bundeskanzler Kurz hielt sich in London auf, um nach eigenen Angaben May den Rücken zu stärken. Er wolle sich aber auch ein „realistisches Bild“ von den Chancen zur Annahme des Austrittsvertrags durch das Unterhaus in London machen. Am Nachmittag wurde er von May empfangen. In der Gibraltar-Frage zeigte sich Kurz „sehr optimistisch“: „Es gibt gute Gesprächskanäle in dieser Frage, und insofern hoffe ich sehr, dass es gelingt, bis Sonntag auch diese Frage noch auszuräumen“, sagte er nach seinem Gespräch mit May.

Großbritanniens Premierministerin Theresa May und österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz in London
AP/Kirsty Wigglesworth
Ratsvorsitzender Kurz traf am Donnerstag auf Premierministerin May

„Bei allem Verständnis natürlich auch für die Interessen einzelner EU-Mitgliedstaaten ist schon wichtig festzuhalten, dass wir am Ende des Tages als Europäische Union geschlossen agieren müssen, und ich hoffe sehr, dass das auch gelingt.“ Ein Abkommen sei immer ein Kompromiss, „und es können nie alle zu 100 Prozent zufrieden sein, aber ich bin sehr optimistisch, dass wir am Sonntag hier als EU-27 klar dieses Abkommen unterstützen können und somit auch mit Theresa May und Großbritannien fixieren können“.

Zustimmung in London mehr als fraglich

Großbritannien tritt Ende März 2019 aus der EU aus. In der vergangenen Woche hatten sich die Unterhändler beider Seiten bereits auf einen 585 Seiten langen Austrittsvertrag geeinigt. Anfang Dezember soll das britische Unterhaus über den Austrittsvertrag abstimmen. Mays Chancen, das Abkommen durch das Parlament zu bringen, werden als gering eingeschätzt. Auch Kurz räumte in London ein, dass der Ausgang der Abstimmung im britischen Parlament „noch vollkommen offen“ sei.

Der „Brexit“-Zukunftspakt

ORF-Korrespondentin Cornelia Primosch kennt die Details des Paktes, der nun fixiert wurde.

Das zeigte auch eine Rede, die May am Donnerstag vor dem britischen Unterhaus hielt. Noch nie zuvor habe Brüssel ein solches Abkommen mit einer entwickelten Wirtschaftsnation abgeschlossen, warb May für eine Zustimmung. Gleichzeitig werde Großbritannien die Kontrolle über seine Grenzen, seine Gesetze und sein Geld wiedererlangen. „Der Text, auf den wir uns nun geeinigt haben, würde eine neue Freihandelszone schaffen mit der EU, ohne Zölle, Abgaben, Gebühren oder mengenmäßige Beschränkungen“, so May.

„Brexit“: Gibraltar bleibt ungelöstes Problem

Der Widerstand Spaniens gegen das „Brexit“-Abkommen ist nach Angaben der EU-Kommission noch nicht ausgeräumt. Der Streit mit Blick auf das britische Überseegebiet Gibraltar muss noch gelöst werden.

Kritik kam dagegen von Labour-Chef Jeremy Corbyn: Die Erklärung sei ein „Zeugnis über das Versagen“ der Regierung, seitenweise „Geschwafel“. Er kündigte an, seine Fraktion werde das Abkommen nicht unterstützen. Neben der Opposition haben auch Abgeordnete ihrer Konservativen Partei und die nordirische DUP, von der Mays Minderheitsregierung abhängt, angekündigt, gegen den Deal zu stimmen.