Felsen von Gibraltar
Getty Images/Artur Bogacki
„Brexit“-Hürde Gibraltar

Gezerre um den Affenfelsen

Trotz der Einigung zu den künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU kann die britische Premierministerin Theresa May noch lange nicht durchatmen. Spanien sperrt sich weiterhin wegen Gibraltar gegen die Einigung mit der EU: „Unsere Positionen liegen weiterhin weit auseinander“, so Spaniens Regierungschef Pedro Sanchez.

Auch am Freitag hielt Spanien seine Vetodrohung aufrecht und erhöhte den Druck. Sanchez warnte vor einer Absage des Treffens, sollte die Gibraltar-Frage nicht gelöst werden. Gebe es keine Einigung zur britischen Exklave, könne der Gipfel am Sonntag „sehr wahrscheinlich“ nicht stattfinden.

„Die Garantien sind noch nicht ausreichend“, sagte Sanchez auf einer Pressekonferenz während eines Besuchs in Havanna. Laut Madrid sollen die Regeln zum Umgang mit der Halbinsel Gibraltar gesondert zwischen Spanien und Großbritannien ausgehandelt werden.

Spanien erhebt Anspruch auf Halbinsel

Spanien erhebt Anspruch auf die Halbinsel mit dem Affenfelsen. Sie ist seit 1713 formell unter britischer Herrschaft und seit 1830 Kronkolonie. Madrid fordert nun die Festschreibung eines Vetorechts bei allen künftigen Entscheidungen zu dem Gebiet, London bekräftigt seinerseits weiterhin den britischen Anspruch darauf. Beim „Brexit“-Referendum hatte eine große Mehrheit der 30.000 Einwohnerinnen und Einwohner Gibraltars für den Verbleib in der EU gestimmt.

Sorge vor Aufschnüren des Pakets

Vor dem EU-Sondergipfel am Sonntag soll nun noch extra verhandelt werden. Laut EU-Kommission könnte es noch zu einem trilateralen Treffen zwischen May, dem spanischen Premier und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker kommen. Doch die Angst, dass das gesamte „Brexit“-Vertragspaket jetzt wieder aufgezurrt werden könnte, ist relativ groß.

Karte zeigt Gibraltar
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Gibraltars Regierungschef Fabian Picardo hatte am Freitag kurz für Hoffnung auf eine Lösung gesorgt, als er meinte, man habe mit Spanien eine Einigung erzielt. Gemeint war allerdings nur ein bilaterales Steuerabkommen. Mit dem Austritt der Briten und den Einwänden der spanischen Regierung habe das aber nichts zu tun, teilte das Außenministerium in Madrid am Freitag mit. Auch ein Treffen von EU-Verhandlern zum Thema Gibraltar blieb am Freitag wieder ergebnislos. Wie es nach dem Treffen aber von Spitzenbeamten der EU-Regierungskanzleien hieß, soll es eine Erklärung für Madrid geben. Diese soll Spanien eine Interpretation der Rechtslage liefern und bis zum Gipfel zusätzlich zu den anderen Dokumenten vorgelegt werden.

Madrid forderte allerdings eine schriftliche Zusicherung Londons zur Gibraltar-Frage. Darin müsse Spanien ein Vetorecht bei jeder künftigen Vereinbarung zu den Beziehungen zwischen der EU und Gibraltar eingeräumt werden, sagte der spanische Staatssekretär für europäische Angelegenheiten, Luis Marco Aguiriano, am Freitag in Brüssel.

Fischereirechte geklärt

Auf dem Sondergipfel am Sonntag sollen die Staats- und Regierungsspitzen der EU sowohl dem 585 Seiten starken Austrittsvertrag als auch der Erklärung zu den künftigen Beziehungen ihren Segen geben. Angestrebt wird eine „ehrgeizige“ und „tiefe“ wirtschaftliche und politische Partnerschaft. Die Übergangsperiode soll um ein, zwei Jahre verlängert werden können. Während dieser Zeit solle London ins EU-Budget einzahlen, heißt es. Die Übergangsphase soll dazu dienen, die künftigen Beziehungen der Europäischen Union und Großbritanniens nach dem „Brexit“ in Ruhe auszuhandeln und vertraglich zu regeln.

Außerdem verpflichten sich beide Seiten in der Erklärung darauf, ein „ambitioniertes Zollabkommen“ umzusetzen. So sei die „Schaffung eines Freihandelsgebiets“ ohne Zölle, Abgaben und mengenmäßige Beschränkungen das Ziel.

Am Freitag konnte schließlich auch noch der Streit über die künftigen Fangrechte von EU-Fischern in britischen Gewässern ausgeräumt werden, wie es aus Diplomatenkreisen hieß. Nun soll das Thema am Sondergipfel Bestandteil eines gesonderten Textes sein. Offen blieb allerdings weiterhin noch die Frage, ob britische Finanzdienstleistungen weiterhin im Rest der EU anerkannt werden. Am Freitag versicherte die EU-Kommission, dass der Gipfel stattfinden wird, obwohl die Gibraltar-Frage noch offen ist.

Corbyn ärgert sich über „Geschwafel“

Am Donnerstag trat May ungeachtet des Gibraltar-Streits vor das Londoner Unterhaus und warb für ihre Verhandlungsergebnisse. Ihre Regierung habe in Brüssel die „bestmögliche Vereinbarung“ ausgehandelt, so May. „Alle unsere Anstrengungen müssen nun darauf gerichtet sein, diesen Prozess in Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern zu einem endgültigen Abschluss zu bringen“. Es sei der richtige Deal für Großbritannien. „Der Text, auf den wir uns nun geeinigt haben, würde eine neue Freihandelszone schaffen mit der EU – ohne Zölle, Abgaben, Gebühren oder mengenmäßige Beschränkungen.“

Cornelia Primosch über den „Brexit“-Streit mit Spanien

Spanien droht in der Gibraltar-Frage mit einem Veto zum „Brexit“-Deal. Was das bedeutet, erläutert ORF-Korrespondentin Cornelia Primosch.

Doch im Parlament erntete sie am Donnerstag viel Kritik. Für den Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, ist die Erklärung über die künftigen Beziehungen ein Zeugnis des Versagens der Regierung. Es handle sich um „seitenweise Geschwafel“. Er kündigte an, seine Fraktion werde das Abkommen nicht unterstützen. Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon twitterte: „Jede Menge Einhörner, die an die Stelle von Fakten über die künftigen Beziehungen treten.“ Mit Einhörnern meinte sie unrealistische Ziele.

Mehrheit in London unwahrscheinlich

Im Parlament, das Anfang Dezember über den Austrittsvertrag abstimmen soll, scheint eine Mehrheit nicht in Sicht. Denn erheblichen Widerstand gibt es sowohl in Mays konservativer Partei als auch bei ihrem Partner im Parlament, der nordirischen DUP. Mays Torys verfügen seit den Wahlen im Vorjahr über keine eigene absolute Mehrheit mehr und stützen sich bei wichtigen Abstimmungen auf die DUP. Letztlich steht damit Mays Schicksal als Premierministerin auf dem Spiel. Sie wollte allerdings nicht zu einem möglichen Rücktritt Stellung nehmen, wenn das Parlament ihren Plan nicht annimmt.

Auch der ehemalige britische „Brexit“-Minister Dominic Raab geht davon aus, dass das Abkommen im Parlament durchfallen wird. „Ich glaube, dass das Parlament dieses Abkommen zwangsläufig ablehnen wird“, sagte Raab dem BBC-Radio. Dann müssten alternative Notvereinbarungen als Überbrückung ins Spiel kommen.