Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ)
APA/Herbert Pfarrhofer
„Vorbereitungshandlungen“

Verfassungsjuristen sehen Antrag skeptisch

Ein Antrag zur Kassenreform lässt die Wogen bei der Opposition hochgehen. Damit wird Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) erlaubt, „Vorbereitungshandlungen“ für die Kassenreform vorzunehmen, bevor die Gesetze dafür in Kraft sind. Die Koalition argumentiert, die Initiative sei nötig, um Fristen einzuhalten. Doch Experten schätzen sie als verfassungswidrig ein.

Der kurzfristig eingebrachte Abänderungsantrag war am Donnerstagabend mit den Stimmen der Regierungsparteien beschlossen worden. Er betrifft Gesetze im Bereich der Sozialversicherung, die in parlamentarischer Behandlung sind, aber noch nicht beschlossen. Hartinger-Klein soll damit eigenständig vorbereitende Schritte unternehmen können. Andernfalls sei keine fristgerechte Umsetzung der Gesetze möglich, argumentieren die Regierungsparteien.

Der Antrag zielt etwa darauf ab, im Zuge der Sozialversicherungsreform die Träger direkt zu verpflichten, auf Verlangen der Aufsichtsbehörde innerhalb von zwei Wochen die Zahl der Pflichtversicherten zu einem bestimmten Stichtag zur Verfügung zu stellen. Der Klubchef der ÖVP, August Wöginger, sagte, dass einzelne Träger die Strukturreform andernfalls nicht unterstützen würden.

Erstes Gutachten

Die SPÖ bezeichnet die Bestimmung als „Ermächtigungsgesetz“ und will sie nach eigenen Aussagen mit allen Mitteln bekämpfen. Verfassungssprecher Peter Wittmann äußerte die Befürchtung, dass auch andere Bereiche der Sozialversicherung betroffen sein könnten, also beispielsweise Pensionskürzungen ohne parlamentarischen Beschluss verfügt werden könnten.

Die SPÖ beruft sich auf ein erstes Gutachten des früheren Verfassungsrichters Rudolf Müller. Das Rechtsstaatsprinzip werde „geradezu in sein Gegenteil verkehrt“, heißt es darin. Eine Bestimmung, die zu Handlungen ohne gesetzliche Grundlage ermächtigt, könne „sogar als Genehmigung zum Amtsmissbrauch“ verstanden werden.

„Seltsamer Entwurf“

Auch andere Verfassungsjuristen gaben am Freitag ihre Einschätzungen zu dem Abänderungsantrag, der ins ASVG eingefügt wird, ab. Gegenüber Ö1 sagte Walter Berka von der Universität Salzburg: „Es ist ein seltsamer Entwurf, wie er mir eigentlich noch nie untergekommen ist.“

Die Verwaltung erhalte eine Blankovollmacht, „die sicherlich also so unbestimmt ist, dass sie gegen das Legalitätsprinzip verstößt“. Zudem habe er Bedenken hinsichtlich der Gewaltenteilung, „wenn sich der Gesetzgeber quasi selbst entmachtet und präjudiziert im Hinblick auf Gesetzgebungsakte, die erst im Parlament diskutiert und dann beschlossen werden sollen“, so Berka – mehr dazu in oe1.ORF.at.

Juristen sehen zu vage Formulierung

Bernd-Christian Funk von der Sigmund Freud Privatuniversität argumentierte ähnlich: Die Regelung sei „nicht hinreichend bestimmt“ und somit verfassungswidrig. „Man müsste einen Katalog erstellen, welche Maßnahmen konkret hier gemeint sind und wie weit sie gehen dürfen. Diese Form der Reglementierung hier ist so unbestimmt, dass man praktisch keine Grenze finden kann.“

Auch der Verfassungsrechtler Theo Öhlinger von der Universität Wien befand das Gesetz für zu ungenau formuliert. Öhlinger wandte aber ein, dass man die Regelung rechtfertigen könne, wenn man „diesen Begriff der Vorbereitungshandlungen ganz strikt, eng auslegt und nur Informationsbeschaffung und so weiter (darunter) versteht“.

„Vorsätzlicher Verfassungsbruch“

Schon im Plenum am Donnerstag hatte der Antrag für scharfe Kritik von SPÖ, NEOS und Jetzt (Liste Pilz) gesorgt. „Hier wird ein vorsätzlicher Verfassungsbruch gemacht“, sagte der SPÖ-Abgeordnete Alois Stöger. Eine derartige Änderung würde eine Gesamtänderung der Verfassung bedeuten und dafür brauche es nicht nur eine Zweidrittelmehrheit, sondern sogar eine Volksabstimmung, meinte Stöger, und weiter: „Solche Schritte, die Sie da machen, haben zur Auflösung des Parlaments geführt.“

Hartinger-Klein im Nationalrat

Die Sozialministerin sagte, sie sei „fast sprachlos“ über die Vorwürfe der Opposition. Wegen der Blockade der SV-Funktionäre müsse die Regierung handeln.

Als die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) Stöger ermahnte, zur eigentlichen aktuellen Debatte, dem Wohnbau, zu sprechen, sagte Stöger: „Ich möchte in einem Österreich wohnen, das demokratisch ist.“ Kritik gab es auch von NEOS-Vizeklubobmann Nikolaus Scherak: „Das ist ein direkter Angriff auf die Demokratie“, sagte er. Jetzt-Abgeordneter Peter Pilz betonte, es habe Derartiges seiner Meinung nach in Österreich „noch kein einziges Mal gegeben“.

Drittelbeschwerde möglich

Die SPÖ will sich nun mit einem Brief an Bundespräsident Alexander Van der Bellen wenden, hieß es am Freitag. Dieser muss das verfassungskonforme Zustandekommen des Gesetzes bestätigen. „Tritt die Änderung trotzdem in Kraft, werden wir damit zum Verfassungsgerichtshof gehen“, kündigte SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried an, der in dem Vorhaben einen „Schritt zu einer autoritären Demokratie“ ortet.

Möglich ist nun ein Drittelverlangen im Bundesrat. Man sei dazu in guten Gesprächen mit den anderen Oppositionsparteien. Ein Drittel der Abgeordneten kann das Verfassungsgericht in verfassungsrechtlichen Fragen anrufen und eine Gesetzesprüfung verlangen. NEOS bestätigte am Freitag bereits, gemeinsam mit der SPÖ eine solche Drittelbeschwerde einzubringen.