Britische Premierministerin Theresa May
AP/Kirsty Wigglesworth
„Brexit“

May bittet Briten um Unterstützung für Deal

Am Sonntag will die EU grünes Licht für den „Brexit“-Deal mit Großbritannien geben. Noch vor Beginn des Gipfels in Brüssel wandte sich die britische Premierministerin Theresa May in einem Brief an die Öffentlichkeit. In ihrem „Brief an die Nation“ bat sie die britische Bevölkerung darum, das „Brexit“-Abkommen zu unterstützen.

Während mit der Einigung in der Gibraltar-Frage alle großen Streitpunkte der EU für eine Zustimmung zu dem Abkommen aus dem Weg geräumt scheinen, kämpft May innerhalb Großbritanniens immer noch mit großen Vorbehalten gegen den Deal. In ihrem Brief versuchte sie, für die Einigkeit der britischen Bevölkerung zu werben.

„Ein neues Kapitel in unserem nationalen Leben beginnt“, schrieb die Regierungschefin. Nach dem EU-Austritt Ende März 2019 werde es zunächst einen Moment der „Erneuerung und Versöhnung“ für das ganze Land geben. Die Befürworter und Gegner der Loslösung von der EU müssten wieder ein Volk werden.

„Müssen uns Abkommen anschließen“

Der „Brexit“ müsse für Großbritannien der Punkt sein, an dem „wir die Kategorien ‚Leave‘ und ‚Remain‘ hinter uns lassen und wieder zusammenfinden als ein Volk“, so May. „Um das zu bewerkstelligen, müssen wir mit dem ‚Brexit‘ weitermachen und uns somit diesem Abkommen anschließen.“

Großbritannien bekomme durch den „Brexit“ die Kontrolle über sein Geld, die Gesetze und die Grenzen zurück. Es sei wichtig, sich nun wieder auf wichtige Themen zu konzentrieren wie etwa die Wirtschaft und den staatlichen Gesundheitsdienst NHS. Der NHS gilt als marode und überlastet.

May erhöht Druck auf Parlament

May wendet sich seit einigen Tagen vermehrt an die Öffentlichkeit und an die Wirtschaft. Britische Medien vermuten, dass sie auf diese Weise den Druck auf das Parlament in London erhöhen will, das das Abkommen noch absegnen muss. Neben der Opposition haben auch viele „Brexit“-Hardliner der konservativen Partei und die nordirische DUP – von der Mays Minderheitsregierung abhängt – angekündigt, gegen den Deal zu stimmen. Die Abstimmung ist für die erste Dezember-Hälfte geplant.

Betonte Einigkeit vor Sondergipfel

In Brüssel startete pünktlich um 10.00 Uhr der Sondergipfel. Die EU betonte vor Beginn die Einigkeit beim Thema „Brexit“. So sagte etwa EU-Chefverhandler Michel Barnier, dass „wir mit den Briten und niemals gegen die Briten verhandelt haben“. Der Deal sei ferner ein notwendiger Schritt, um Vertrauen zwischen Großbritannien und der EU aufzubauen. „Wir bleiben Verbündete, Partner und Freunde“, so Barnier.

Tusk: „Friends will be friends“

Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk setzt auf „Freundschaft“ und zog für den Gipfel gar ein Zitat der Band Queen als Motto heran: „Freunde werden Freunde sein, bis zum Ende“ („Friends will be friends, right till the end“).

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker rechnet mit einer Zustimmung des britischen Parlaments: „Ich gehe davon aus, dass es der britischen Regierung gelingen wird, das Einverständnis des britischen Parlaments sicherzustellen.“ Zu „Was wäre wenn“-Szenarien will sich Juncker nicht äußern: „Wenn der Esel eine Katze wäre, würde er sich täglich in der Baumkrone aufhalten.“

Kurz: „Wichtig, heutigen Schritt zu setzen“

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte, dass auf dem Gipfel die nächsten Schritte zu einem geordneten „Brexit“ gesetzt werden. „Allerdings: Es ist noch die Abstimmung im britischen Parlament ausständig, und keiner kann sagen, wie sie ausgehen wird.“ Möglichen Nachverhandlungen erteilt Kurz eine Absage: „Es wird sicherlich nicht nachverhandelt und es gibt auch keinen weiteren Spielraum.“ Wichtig sei es, dass die EU-27 geeint aufgetreten seien und sich Spanien im Streit um Gibraltar wieder eingereiht habe. Es wäre absurd gewesen, wenn ein EU-Land die „Brexit“-Erklärung verhindert hätte, so Kurz.

Wenig begeistert über die bevorstehende Zustimmung zu dem Abkommen zeigte sich der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte. „Niemand gewinnt etwas, wir verlieren alle“, sagte er im Hinblick auf den Ausstieg Großbritanniens. Der ausgehandelte Ausstiegsvertrag sei jedoch akzeptabel und ausgewogen für beide Seiten.

EU-Parlamentschef Antonio Tajani versicherte unterdessen, dass es vonseiten der EU eine parlamentarische Mehrheit für den „Brexit“-Deal gibt. „Es wird eine Mehrheit geben.“ Das Parlament werde im Jänner oder „spätestens im Februar“ über den Deal abstimmen, kündigte Tajani vor dem „Brexit“-Gipfel an.

Macron: „Brexit“ zeigt Reformbedarf der EU

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte unterdessen, dass der „Brexit" zeige, dass die Europäische Union fragil sei und eine grundlegende Reform brauche. Das ist ein ernster Moment für die EU.“ Großbritannien werde auch in Zukunft eine wichtige Rolle für Europa spielen, sagte Macron. Welche genau, werde man noch definieren müssen. „Unsere Fischer werden gut geschützt, das ist eine Priorität unserer zukünftigen Beziehungen“, und das werde auch in den Schlussfolgerungen sehr präsent sein, so Macron.

Tory-Abgeordneter: Neues Referendum möglich

Nach Ansicht des britischen Tory-Abgeordneten Dominic Grieve verbessern sich indes mit dem Austrittsvertrag die Chancen für eine neue Volksabstimmung in Großbritannien über den „Brexit“. „Ein zweites EU-Referendum ist jetzt durchaus eine Möglichkeit. Die Aussicht darauf ist erheblich gewachsen, weil das Parlament Theresa Mays ‚Brexit‘-Deal ablehnen wird. Ich glaube an ein zweites Referendum“, sagte Grieve der „Welt am Sonntag“ laut Vorausbericht.

Auch Die Tory-Abgeordnete Sarah Wollaston rief zu einem zweiten Referendum auf. Das von May ausverhandelte Abkommen mit der EU bedeute „keine hellere Zukunft, sondern Düsternis und Schrumpfung“, warnte sie.

Berichte über möglichen „Plan B“

Der „Sunday Telegraph“ berichtet unterdessen über einen möglichen „Plan B“ für den „Brexit“. Laut dem Blatt soll im Hintergrund an einem entsprechenden Abkommen gearbeitet werden. So sollte eine Vereinbarung ähnlich wie zwischen der EU und Norwegen getroffen werden.