Oberste Gerichtshof in Griechenland
Reuters/Yorgos Karahalis
Zehn Jahre Haft für Putzfrau

Ein Urteil empört Griechenland

Nominell hat Griechenland die schlimmste Phase der Finanzkrise hinter sich – die Menschen leiden jedoch weiter stark unter radikalen Einsparungen und extremer Arbeitslosigkeit. In diesem Kontext sorgt der Fall einer Kindergartenputzfrau, die seit diesem Monat eine zehnjährige Haftstrafe absitzt, derzeit in Griechenland für besondere Aufregung.

Derzeit prüft der Oberste Gerichtshof des Landes den Fall und könnte das Urteil in diesen Tagen aufheben und an das Gericht erster Instanz zurückverweisen. Die 53-Jährige wurde verurteilt, weil sie das Volksschulzeugnis gefälscht hatte, als sie sich für den Job als Putzfrau im öffentlichen Kindergarten bewarb. Sie hatte angegeben, die gesamten sechs Jahre Volksschule absolviert zu haben, tatsächlich ging sie nur fünf Jahre in die Schule.

In einem ersten Urteil war die Frau vor zwei Jahren sogar zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Die Strafe wurde in einem Berufungsverfahren vor wenigen Wochen auf zehn Jahre herabgesetzt, unmittelbar danach musste sie die Haft im Gefängnis von Thiva in Zentralgriechenland antreten. Ihr Anwalt Giorgos Sinelis sprach von einem „übertrieben harten“ Urteil. Er beantragte ihre sofortige Entlassung für den Fall, dass das Urteil aufgehoben wird.

„Nicht nur inhuman“

Regierung und Opposition, Gewerkschaften und Menschenrechtsgruppen sind sich einig, dass die Justizentscheidung zu hart ist. „Die Entscheidung ist nicht nur inhuman“, wies die Griechische Liga für Menschenrechte auf ein grundsätzlicheres Problem hin: „Sie ist ein weiteres Zeichen für die andauernden Schwächen in der Strafjustiz.“

Die Frau hatte zuvor 18 Jahre in einem Kindergarten in der mittelgriechischen Hafenstadt Volos als Reinigungskraft gearbeitet. 2014 wurde im Zuge einer Prüfung bekannt, dass sie ihr Volksschulabschlusszeugnis gefälscht hatte. Der Pflichtschulabschluss erfordert in Griechenland sechs Jahre. Dieser ist wiederum Voraussetzung für eine Anstellung im öffentlichen Dienst.

Hafenstadt Volos in Griechenland
Getty Images/Ken Welsh
In der 140.000-Einwohner-Stadt Volos arbeitete die Frau seit Jahren als Putzfrau

„Damit sie ihre Familie erhalten kann“

„Sie hat nichts gestohlen. Sie hat kein Geld vom Staat unterschlagen. Sie hat für ihn gearbeitet, damit sie ihre Familie erhalten kann“, kritisierte die Gewerkschaft der Reinigungskräfte. Eine Onlinepetition, in der die Freilassung der 53-Jährigen, deren Name öffentlich nicht bekannt ist, sammelte binnen kurzer Zeit mehr als 20.000 Unterschriften. Die Empörung in Sozialen Netzwerken führte dazu, dass die Anklägerin am Obersten Gerichtshof, Xeni Dimitriou, entschied, sich den Fall anzusehen. In diesen Tagen wird eine Entscheidung erwartet.

„Sie brauchte den Job, um ihre zwei Kinder und ihren kranken Ehemann zu unterstützen. Sie musste Arbeit finden“, schilderte Verteidiger Sinelis laut griechischem Radio seine Mandantin. Ihr Ehemann sei behindert, fügte er hinzu.

In Waisenhaus aufgewachsen

Gegenüber der Regionalzeitung „Tachidromos tis Thesalias“ rechtfertigte sich die Frau, sie habe ihrer Familie helfen müssen. „Ich schäme mich, aber ich wollte, dass meine Kinder ein bessere Leben als ich haben“, zitierte die „New York Times“ Aussagen der Frau gegenüber der Regionalzeitung. „Ich hatte schreckliche Angst, dass sie in einem Heim aufwachsen so wie ich.“ Die Frau sagte, sie sei eines von insgesamt zehn Kindern und in einem Waisenhaus aufgewachsen.

Justizminister besuchte Inhaftierte

Laut griechischen Medienberichten gibt es zahlreiche ähnliche Fälle. Das Höchstgericht werde sich „Dutzende“ Fälle von Verurteilungen wegen des Fälschens von Zeugnissen ansehen, hieß es. Der seit September amtierende Justizminister Michalis Kalogirou besuchte die Inhaftierte am Freitag und machte damit die Kritik der griechischen Regierung am Urteil deutlich.

Die griechische Justiz leidet seit Jahren – so wie große Teil der Bevölkerung – unter den Folgen der zahlreichen Sparpakete. Die Gehälter wurden gekürzt, durch Pensionierung frei werdende Stellen wurden oft nicht nachbesetzt, wodurch der Arbeitsdruck zugleich stieg.