Wartende Menschen am Bahnhof
ORF.at/Christian Öser
ÖBB-Warnstreik

100.000 Fahrgäste waren betroffen

Wegen des von der Gewerkschaft vida angekündigten Warnstreiks haben die ÖBB am Montag von 12.00 bis 14.00 Uhr die Notbremse gezogen. Laut ÖBB waren rund 100.000 Fahrgäste und 670 Züge betroffen, davon 70 im Fernverkehr. Eine Einigung in den Verhandlungen zum Eisenbahnerkollektivvertrag ist unterdessen nicht in Sicht. Weitere Streiks sind daher nicht ausgeschlossen.

Regionalzüge genauso wie ÖBB-Railjets und Westbahn-Garnituren wurden vorübergehend an den Bahnsteigen abgestellt. Auch die S-Bahnen in Wien waren betroffen – mehr dazu in Warnstreik legte Hauptbahnhof lahm. Auch der Güterverkehr stand still. Per Durchsagen und auf den Monitoren in den Bahnhöfen informierten die ÖBB über die Ausfälle.

Auf dem Hauptbahnhof in Wien warteten Touristen und Touristinnen auf das Streikende. Aufgrund des Warnstreiks zur Mittagszeit waren auch viele Schüler und Schülerinnen unterwegs. Insbesondere in Niederösterreich mussten viele Kinder und Jugendliche auf den Bahnsteigen warten – mehr dazu in Nach Warnstreik: Erste Züge fahren wieder.

Gewerkschaft warnt: „Nächste Stufe ist der Streik“

Hintergrund des Warnstreiks war, dass die Gewerkschaft das Angebot zum Kollektivvertrag der Arbeitgeberseite ablehnte. „Die nächste Stufe nach dem Warnstreik ist der Streik, aber so weit sind wir noch nicht“, sagte vida-Chef Roman Hebenstreit nach dem Abbruch der neunten Verhandlungsrunde, die parallel zum Warnstreik lief. Gewerkschafter und Arbeitgeberseite hatten sich am Montag um 10 Uhr – zwei Stunden vor Streikbeginn – zu kurzfristig anberaumten Verhandlungen in der Wiener Wirtschaftskammer-Zentrale getroffen. Arbeitgeberchefverhandler Thomas Scheiber hatte die Hoffnung, damit den Streik noch abwenden zu können.

Wartende Menschen am Bahnhof
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Bis in die späten Abendstunden könne es zu Verspätungen kommen, teilten die ÖBB mit

Doch es kam anders: Hebenstreit und sein Team verließen eine Dreiviertelstunde nach Verhandlungsbeginn kommentarlos den Raum. Das „substanziell verbesserte Angebot“ von 3,37 Prozent der Arbeitgeberseite bezeichnete die Gewerkschaft als „umfangreichen Forderungskatalog“. Die Gewerkschafter kehrten erst zurück, als der Streik um 12.00 Uhr schon angelaufen war. Die ÖBB stoppten also den gesamten Bahnverkehr im Land. Und Scheiber blieb nichts anderes übrig, als der Presse zu erklären: „Ich muss mit Bedauern feststellen, dass die Streikmaßnahmen nicht mehr aufzuhalten sind.“

Verspätungen bis zum Abend hin möglich

Der ÖBB-Rivale Westbahn machte nicht beim Warnstreik mit, war aber dennoch betroffen. Auf der Website hieß es lediglich, die ÖBB-Verkehrsleitzentrale habe den Betrieb eingestellt. Nach Ende des Warnstreiks begannen die Bundesbahnen, den Zugsverkehr schrittweise wieder hochzufahren, zuerst setzten die Fernverkehrszüge ihre Fahrt fort, später folgte der Nahverkehr. Die ÖBB schlossen nicht aus, dass es noch bis in die Abendstunden zu Verspätungen und Ausfällen kommt.

Während die ÖBB auf einen Abschluss der Kollektivvertragsverhandlungen drängten und die Gewerkschaft aufforderten, die Verhandlungen nicht auf dem Rücken der Fahrgäste sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu führen, erklärten sich mehrere andere Gewerkschaften solidarisch mit der für Verkehr und Tourismus zuständigen Schwesterorganisation vida.

Noch kein Termin für nächste Verhandlungsrunde

Wie es in den Verhandlungen weitergeht, ist offen. Beide Seiten wollen in den nächsten Tagen intern beraten. Einen Termin für eine zehnte Verhandlungsrunde gibt es vorerst nicht. Scheiber kündigte an, nochmals auszuloten, „welchen Verhandlungsspielraum wir haben“. Hebenstreit hatte das Angebot der Arbeitgeberseite abgeschmettert: „Hier im Vorfeld von einem substanziell verbesserten Angebot zu sprechen, das spottet jeder Beschreibung und ist eine Frechheit.“

Die Gewerkschaft kritisierte Einschüchterungsversuche im Vorfeld des Warnstreiks und sieht das als Folge des Regierungswechsels. „Es ist mittlerweile wirklich viel möglich geworden in diesem Land“, ließ sich Hebenstreit in der vida-Pressemitteilung zitieren. Die traditionell der Gewerkschaft nahestehende SPÖ war vergangenes Jahr aus der Regierung geflogen, seitdem regieren ÖVP und FPÖ. Kritikerinnen und Kritiker werfen der Gewerkschaft und Hebenstreit vor, Oppositionspolitik für die SPÖ zu betreiben.

Hofer: Hebenstreit spielt Rugby bei Fußballmatch

Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) sagte über Hebenstreit: „Ich habe das Gefühl, er spielt bei einem Fußballmatch Rugby, und das passt nicht ganz zusammen.“ Das Angebot ist aus seiner Sicht sehr gut, für die beamteten Mitarbeiter höher als der Beamten-KV und für die anderen „in der Nähe des Abschlusses der Metaller“. Alleine die ÖBB würde dieser Abschluss 80 Mio. Euro kosten. „Der Einzige, der einen Grund zum Streiken hätte, ist der Finanzminister“, so Hofer.

ÖBB Servicekraft am Hauptbahnhof
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Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter informierten Fahrgäste auf den Bahnhöfen. Ansagen auf den Bahnsteigen sollten zusätzlich für Klarheit sorgen.

ÖBB-Chef Andreas Matthä wollte sich am Montag am Rande einer Pressekonferenz nicht ausdrücklich dazu äußern, ob aus seiner Sicht Gewerkschafts- und ÖBB-Betriebsratschef Hebenstreit den Streik dazu nutze, sich selber zu profilieren. „Jeder Fahrgast kann sich davon heute ein eigenes Bild machen“, so der Bahnchef und auf die Frage, ob die Gewerkschaft mit dem Streik Oppositionspolitik betreibe: „Wenn man sich die ganze Geschichte dieser Verhandlungen ansieht, kann man sehr gut erkennen, worum es geht.“

40.000 Beschäftigte von Verhandlungen betroffen

Der Fachverband Schienenbahnen in der Wirtschaftskammer veröffentlichte am Nachmittag sein zuvor der Gewerkschaft vorgelegtes Angebot. Es sieht eine KV-Erhöhung von 3,37 Prozent im Jahresdurchschnitt über alle Gehaltsstufen hinweg vor. Die Arbeitnehmer sehen darin eine deutlich geringere Steigerung nur knapp über der Inflationsrate, unter anderem weil es seit dem Auslaufen des alten KV im Juni eine mehrmonatige Lücke gibt. Konkrete eigene Forderungen nennt die Gewerkschaft zwar nicht, die Arbeitgeber sagen aber, dass die Summe aller Forderungen zu einer Mehrbelastung von zehn Prozent führen würde.

Insgesamt betreffen die Verhandlungen rund 40.000 Beschäftigte in mehr als 60 Unternehmen. „Den Warnstreik konnten wir leider nicht mehr abwenden, da dürfte das Drehbuch auch seitens der Gewerkschaft bereits festgestanden haben“, sagte Scheiber, der aber zuversichtlich ist, dass es zu weiteren Gesprächen kommt. Im Anschluss an eine Gremiensitzung am Mittwoch will er die Gewerkschaft zu einer weiteren Verhandlungsrunde einladen – und damit die Streikgefahr bannen.

Den letzten großen Bahnstreik gab es 2003. Als damals die schwarz-blaue Regierung die Bundesbahnen aufgliedern und per Gesetz in das Dienstrecht der Eisenbahner eingreifen wollte, rief der damalige Bahngewerkschaftsboss Wilhelm Haberzettl im November einen „unbefristeten“ Streik aus. Am dritten Streiktag lenkte die Regierung teilweise ein und erklärte sich zu Verhandlungen bereit.