Ukrainische Flagge
Reuters/Gleb Garanich
Ukraine-Konflikt

Front gegen Russland nach neuer Eskalation

Im jahrelangen Streit zwischen den Nachbarstaaten Ukraine und Russland droht eine weitere Eskalation. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko bekam deshalb vom Parlament freie Hand, für 30 Tage das Kriegsrecht zu verhängen. Vor dem UNO-Sicherheitsrat gab Russland Kiew die Schuld am Zwischenfall im Asowschen Meer – doch Moskau steht weitgehend isoliert da.

Das Vorgehen Russlands gegen ukrainische Schiffe vor der Krim hat scharfe Reaktionen der UNO und der NATO ausgelöst. Der Vorfall sei eine „skandalöse Verletzung“ der ukrainischen Souveränität gewesen, sagte US-Botschafterin Nikki Haley am Montag in New York bei einer Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrats.

Die wiederholten „gesetzlosen Handlungen“ Russlands machten es unmöglich für US-Präsident Donald Trump, eine normale Beziehung zu Moskau aufzubauen. Trump selbst ist nach eigenen Worten „nicht glücklich“ über die neuen Spannungen. Die Situation sei „nicht gut“, sagte Trump, „es gefällt uns nicht, was gerade passiert“.

NATO: Lage „sehr ernst“

Die Gruppe der derzeitigen und künftigen europäischen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats – Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Polen, die Niederlande, Schweden, Belgien und Italien – stellten sich nach der Sitzung demonstrativ hinter die Ukraine. In einer Mitteilung riefen die Länder zur Zurückhaltung und Deeskalation auf und betonten ihre Anerkennung der territorialen Integrität der Ukraine.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg forderte Russland auf, umgehend die beschlagnahmten ukrainischen Schiffe freizugeben und deren Besatzungen freizulassen. Nach einer Krisensitzung der NATO betonte Stoltenberg, alle Mitglieder des Militärbündnisses hätten sich hinter die Ukraine und ihre territoriale Integrität gestellt. Die Ukraine ist nicht in der NATO, strebt aber eine Mitgliedschaft an. „Was wir gestern gesehen haben, war sehr ernst“, resümierte Stoltenberg.

Eskalation in der Meerenge

Der seit Jahren schwelende Krim-Konflikt war am Sonntag in der Straße von Kertsch eskaliert – einer Meerenge zwischen der von Russland annektierten Halbinsel Krim und Südrussland, die das Schwarze und das Asowsche Meer verbindet. In dieses Gewässer verwehrte Russland mit Hilfe eines Frachtschiffs drei ukrainischen Marinebooten die Einfahrt. Mindestens zwei russische Kampfflugzeuge flogen Augenzeugen zufolge über den Schauplatz. Russische Grenzschutzboote beschossen die ukrainischen Schiffe und verletzten dabei mehrere Matrosen. Schließlich beschlagnahmten sie die Boote und brachten sie mit ihren Besatzungen in die Hafenstadt Kertsch. Russischen Angaben zufolge befinden sich die verletzten Matrosen nicht in Lebensgefahr und werden behandelt.

Der ukrainische Präsident Poroschenko erließ als Reaktion ein Dekret zur Verhängung des Kriegsrechts ab Mittwoch, um das Land für die Abwehr einer möglichen russischen „Invasion“ zu rüsten. Das Parlament stimmte am Abend zu, das Militär ist bereits in voller Alarmbereitschaft.

Ukrainischer Präsident Petro Poroschenko im Parlament
Reuters/Valentyn Ogirenko
Nach turbulenter Debatte billigte das Parlament in Kiew Poroschenkos Kriegsrechtserlass mit großer Mehrheit

Russland gibt Ukraine die Schuld

Die Regierung in Moskau wiederum warf der Ukraine vor, die Aktionen in der Straße von Kertsch sollten als Vorwand dienen, um den Westen zu weiteren Sanktionen gegen Russland zu bringen. Das eigene Vorgehen sei dagegen gerechtfertigt, weil die ukrainischen Marineboote illegal in russische Gewässer eingedrungen seien. Der auch für den Grenzschutz zuständige russische Inlandsgeheimdienst FSB erklärte, die beschlagnahmten ukrainischen Kriegsschiffe hätten zuerst ihre Kanonen auf die russischen Schiffe gerichtet. Die folgenden Warnschüsse als Aufforderung zum Stoppen hätten sie missachtet.

Mögliche Motive für eine Zuspitzung haben beide Staatschefs – Poroschenko wie Russlands Wladimir Putin. Die Ukraine hat die Krim 2014 verloren. Russland verleibte sich die Halbinsel nach einem international nicht anerkannten Referendum ein. Aus Moskauer Sicht wurde der historische Fehler korrigiert, dass der sowjetische Parteichef Nikita Chruschtschow die Krim 1954 von Russland der Ukraine übertragen hatte.

Konfrontation auf vielen Fronten

Im Osten der Ukraine führt Russland ebenfalls seit 2014 verdeckt Krieg. Seine Militärmacht versteckt sich hinter den separatistischen Kämpfern der sogenannten „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk. Mehr als 10.000 Menschen sind im Kohlerevier Donbass bisher getötet worden. Weder Separatisten noch die Ukraine halten sich an die eigentlich geltende Waffenruhe. Eine Friedenslösung, ausgehandelt unter deutscher und französischer Vermittlung, steckt fest.

In den letzten Monaten hat die Ukraine unerwartete Erfolge erzielt – auf ganz anderem Gebiet. Das Oberhaupt der weltweiten Orthodoxie, der ökumenische Patriarch von Konstantinopel, der in Istanbul sitzt, will der Ukraine eine eigene, von Russland unabhängige Kirche geben. Für Moskau und seine orthodoxe Kirche wäre der Verlust von Millionen Gläubigen in der Ukraine ein schwerer Schlag. Die Eskalation auf dem Schwarzen Meer könnte auch damit zusammenhängen.

Nahende Wahl als Motiv?

Das offensichtlichere Motiv hat Poroschenko: In Kiew wurde die Aktion sofort mit der für März erwarteten Präsidentenwahl verbunden. Der Amtsinhaber liegt in Umfragen abgeschlagen hinter der Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko. Selbst um den Einzug in eine Stichwahl müsste er bangen. Vom Parlament ließ sich Poroschenko für 30 Tage das Recht geben, in den Grenzregionen zu Russland nach dem Kriegsrecht zu regieren. Einem Vorwurf nahm er gleich die Spitze: Er wolle mit dem Kriegsrecht eine Verschiebung der Wahl erreichen. Auch die Abgeordneten schoben dem einen Riegel vor und legten die Wahl für den 31. März 2019 fest.