Luftaufnahme der Andamanen-Inseln
APA/AFP/Hari Kumar
US-Missionar getötet

Polizei lässt Ureinwohner in Frieden

Mehrere Tage nachdem bekannt wurde, dass Ureinwohner auf einer Andamanen-Insel offenbar einen US-Missionar getötet haben, hat die indische Polizei nun eine Entscheidung getroffen: Die Behörde wird nicht weiter versuchen, die Leiche sicherzustellen und lässt die Ureinwohner in Frieden.

Wie die BBC unter Berufung auf einen hochrangigen indischen Beamten berichtete, werde vorerst nicht weiter versucht, auf die Insel zu kommen und den Leichnam des 27-jährigen John Allen Chau sicherzustellen. Man wolle das geschützte Volk der Sentinelesen nicht stören, erklärte er.

Der nur noch aus geschätzten 150 Mitgliedern bestehende Stamm zählt zu den letzten unkontaktierten Völkern. Sie wollen nichts mit der Außenwelt zu tun haben. Indiens Regierung respektiert den Wunsch der Inselbewohner nach Abgeschiedenheit. Chau soll mit Pfeilschüssen getötet worden sein, als er am 17. November versuchte, auf der Insel North Sentinel an Land zu gehen.

„Lage prüfen“

Am Wochenende waren indische Polizeiboote vor der Insel aufgefahren, hatten aber mehrere hundert Meter Abstand gehalten. Auch am Dienstag wurde laut BBC ein Boot in die Nähe der Insel entsandt, aber nur „um die Lage zu prüfen“. „In den ersten Tagen wurden mehrmals versucht, die Leiche zu finden, nachdem die Ureinwohner dabei beobachtet wurden, wie sie diese weggeschleppt haben. Wir wissen ungefähr, wo sie sie hinbrachten, aber wir wissen immer noch nicht, wo genau sie sich befindet“, so der Beamte gegenüber BBC.

Hubschrauberaufnahme eines Eingeborenen auf den Andaman Islands
APA/AFP/Indian Coast Guard/Survival International
Eines der wenigen Fotos von einem Mitglied der Sentinelesen

Die Leiche sicherzustellen sei einerseits „zu gefährlich“ – die Ureinwohner reagieren auf jede Kontaktaufnahme feindlich. Andererseits gab es Einwände von Fachleuten. Die NGO Survival International sagte, die Suche solle eingestellt werden, da sie für die Sentinelesen und die Beamten „unglaublich gefährlich“ wäre. „Solche Bemühungen endeten in der Vergangenheit damit, dass die Sentinelesen versuchten, ihre Insel mit Gewalt zu verteidigen“, so der Leiter von Survival International, Stephen Corry. Auch indische Anthropologinnen und Anthropologen drückten ihre Sorge aus, dass Suchteams die Spannungen zum Eskalieren bringen könnten.

Die Polizei näherte sich der Insel in den letzten Tagen per Schiff und Helikopter, um den Mordfall zu untersuchen. Da die Ureinwohner aber unter einem besonderen Schutz stehen, befinden sich die Behörden in einer Zwickmühle.

„Gruppenpsychologie verstehen“

Nach Polizeiangaben waren zuletzt 2006 zwei Fischer, die sich auf die Insel verirrt hatten, von dem Inselvolk getötet worden. Eine Woche später wurden ihre Leichen an der Küste auf Bambusstäben aufgespießt. „Wie eine Art Vogelscheuche“, sagte Pathak. Seither beriet sich die Polizei mit Fachleuten und untersuchte auch den Fall von 2006 wieder: „Wir versuchen, ihre Gruppenpsychologie zu verstehen", hieß es am Wochenende vonseiten der Polizei. Nun fiel die Entscheidung, die Insel nicht zu betreten.

Wollte Sentinelesen missionieren

Chau wollte das Inselvolk bei seinem Besuch am 17. November offenbar zum Christentum bekehren. Nach indischen Behördenangaben hatte er Fischer bestochen, um ihn in die Nähe der Insel zu bringen, und war dann per Kajak an Land gefahren. Die Ureinwohner töteten Chau daraufhin offenbar mit Pfeilen. Die Fischer, die Chau zu der Insel brachten, haben nach eigenen Angaben gesehen, dass die Ureinwohner seine Leiche am Strand vergruben.

Die evangelische All-Nations-Kirche aus Kansas City half laut eigenen Angaben Chau bei der Vorbereitung. Sie diskutierten die Risiken mit ihm und schickten ihn schließlich auf Mission dorthin, um „seine Berufung“ zu unterstützen, wie Mary Ho von All Nations sagte. „Er wollte eine langdauernde Beziehung, und, wenn möglich, von den Menschen akzeptiert werden und bei ihnen leben.“

Pfeil soll Bibel getroffen haben

Als ein Bub am ersten Tag, als Chau an der Insel ankam, versuchte, ihn mit einem Pfeil zu treffen, schwamm der Missionar auf das Fischerboot zurück, das wie abgemacht, vor der Küste auf ihn gewartet hatte. Der Pfeil traf laut Chaus eigenen Notizen eine Bibel, die er bei sich hatte. „Warum musste ein kleines Kind heute auf mich schießen?“, notierte er.

Laut der indischen Polizei wusste Chau, dass die Sentinelesen jeden Kontakt mit der Außenwelt ablehnen, dass die Pfeile und Speere auf Helikopter feuerten und Fischer, die auf der Insel gestrandet waren, getötet hatten.

Chau war laut seinen eigenen Notizen, die in den vergangenen Tagen von indischen Medien veröffentlicht wurden, klar, dass er sterben könnte. „Ich will nicht sterben“, schrieb Chau, der von Freunden als begeisterter Christ beschrieben wird, demnach. „Wäre es klüger, wegzugehen und es jemand anderem zu überlassen. Nein, ich glaube nicht.“

Mit Fußball und Fischen

Chau zahlte die Fischer, um ihn in die Nähe der Insel zu bringen, und paddelte dann mit einem Kajak an Land. Er hatte Geschenke, darunter einen Fußball und Fische bei sich. Fünf Fischer, ein Freund des Missionars und ein lokaler Touristenführer wurden wegen Hilfestellung verhaftet, weil sie Chau bei seiner „Mission“ unterstützten.

Wissenschaftlich ist kaum etwas über die Insel und ihre Bevölkerung bekannt, weder die genaue Anzahl noch, welche Sprache die Menschen sprechen. Auf den Andamanen-Inseln gab es früher ähnliche Gruppen. Aber ihre Zahl ging in den letzten 100 Jahren durch Seuchen, Mischehe und Migration dramatisch zurück.