Russlands Präsident Wladimir Putin
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Kriegsrecht in Ukraine

Moskau fühlt sich provoziert

Im Konflikt mit der Ukraine warnt Russland vor einer Eskalation als Folge der Ausrufung des Kriegsrechts durch den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. „Die Verhängung des Kriegsrechts in verschiedenen Regionen könnte möglicherweise zu einer Eskalation der Spannungen in der Konfliktregion im Südosten (der Ukraine) führen“, sagte der Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Dmitri Peskow, am Dienstag in Kiew.

Poroschenko hatte am Montag ein Dekret zur Verhängung des Kriegsrechts für 30 Tage in Teilen des Landes erlassen, um die Ukraine für die Abwehr einer möglichen russischen „Invasion“ zu rüsten. Das ukrainische Parlament stimmte am Abend zu, das Militär ist bereits in voller Alarmbereitschaft. Das Kriegsrecht sollte am Mittwoch in Kraft treten, wobei Unklarheit herrschte, ob es nicht schon seit Montag gilt, wie der Nationale Sicherheitsrat erklärte. Die amtliche Fassung des Erlasses war Dienstagabend allerdings noch nicht veröffentlicht.

Der seit Jahren schwelende Krim-Konflikt eskalierte am Sonntag in der Straße von Kertsch. Dort verwehrte Russland mit Hilfe eines Frachtschiffs drei ukrainischen Marinebooten die Einfahrt. Russische Grenzschutzboote beschossen die ukrainischen Schiffe und verletzten dabei mehrere Matrosen. Die Boote sind seitdem beschlagnahmt, die 23 ukrainischen Seeleute in Haft. 2014 war die Schwarzmeer-Halbinsel Krim von Moskau annektiert worden. Völkerrechtlich gehört sie weiter zur Ukraine.

Kriegsschiff
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Eines der frei festgesetzten ukrainischen Schiffe – die Beschädigung ist erkennbar

Putin: Keine unüberlegten Schritte

Putin äußerte sich in einem Telefongespräch mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) besorgt über die Verhängung des Kriegsrechts in der Ukraine. Er forderte Merkel auf, mäßigend auf die Regierung in Kiew einzuwirken, „keine weiteren unüberlegten Schritte“ zu ergreifen, wie der Kreml am Dienstagmorgen erklärte.

Putin habe in dem Gespräch vom Montagabend gegenüber Merkel seine „ernste Sorge“ angesichts der Entscheidung Kiews ausgedrückt. Er hoffe, dass Berlin die ukrainische Regierung „beeinflussen“ könne, um diese von „künftigen unüberlegten Handlungen“ abzuhalten.

Ukraines Präsident Petro Poroshenko
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Poroschenko hatte das Kriegskabinett einberufen

Lawrow: Brauchen keine Vermittlung

Merkel betonte ihrerseits „die Notwendigkeit von Deeskalation und Dialog“, wie der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilte. Merkel und Putin hätten zudem „die Option einer Analyse des Vorfalls unter Beteiligung russischer und ukrainischer Grenzschutzexperten“ erörtert. Sie hätten vereinbart, „hierzu in engem Kontakt zu bleiben“. Merkel hatte am Montag auch mit Poroschenko telefoniert.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow sieht keinen Bedarf an einem Vermittler. Die Behörden beider Länder könnten die Probleme selbst diskutieren, sagte er nach einem Gespräch mit seinem französischen Kollegen Jean-Yves Le Drian am Dienstag in Paris. „Sollte es irgendwelche technischen Fragen geben, die der ukrainischen Seite nicht ganz klar sind, könnten sie auf der Ebene der örtlichen Grenzbehörden beider Länder erörtert werden“, hieß es weiter. Lawrow wies damit einen entsprechenden Vorstoß von Deutschland und Frankreich zurück.

Seeleute: Kreml verweist auf Gericht

Der Kreml hat nach eigener Darstellung keine Handhabe, das Schicksal der 23 festgesetzten ukrainischen Matrosen zu beeinflussen. Das werde vor Gericht entschieden, so Kreml-Sprecher Peskow weiter. Das sei nicht die Angelegenheit des Kremls. Es müsse die des Gerichts sein, erklärte er. Bei einem der Seeleute ordnete ein Gericht auf der Krim die Festnahme für zwei Monate an, wie die russische Agentur TASS am frühen Dienstagnachmittag berichtete.

Nach dem Vorfall von Sonntag forderten viele westliche Länder sowie die EU die Freilassung der Seeleute. Der ukrainische Außenminister Pawel Klimkin sagte im lokalen Fernsehen, die Matrosen hätten den Status von Kriegsgefangenen und dürften deshalb nicht verurteilt werden. Sein Land verhandle deshalb mit dem Roten Kreuz, sagte er.

Russland veröffentlichte am Dienstag allerdings Statements von drei der gefangenen Seeleute. Einer der Männer, Wladimir Lewovoy, sagte, er sei sich der „provokativen Natur“ der ukrainischen Aktion bewusst gewesen. Die ukrainische Marine wies das Statement zurück. Die Männer seien von Russland gezwungen worden, Lügen zu erzählen, hieß es vonseiten der Kommandantur der ukrainischen Marine. Der ukrainische Geheimdienst bestätigte unterdessen die Gefangennahme von eigenen Offizieren durch Russland bei dem Zwischenfall vor der Krim.

NATO: Lage „sehr ernst“

Die Gruppe der derzeitigen und künftigen europäischen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats – Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Polen, die Niederlande, Schweden, Belgien und Italien – stellte sich nach der Sitzung am Montag demonstrativ hinter die Ukraine. In einer Mitteilung riefen die Länder zur Zurückhaltung und Deeskalation auf und betonten ihre Anerkennung der territorialen Integrität der Ukraine.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg forderte Russland auf, umgehend die beschlagnahmten ukrainischen Schiffe freizugeben und deren Besatzungen freizulassen. Nach einer Krisensitzung der NATO betonte Stoltenberg, alle Mitglieder des Militärbündnisses hätten sich hinter die Ukraine und ihre territoriale Integrität gestellt. Die Ukraine ist nicht in der NATO, strebt aber eine Mitgliedschaft an. „Was wir gestern gesehen haben, war sehr ernst“, resümierte Stoltenberg.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) rief am Dienstag Russland und die Ukraine zum Dialog auf. „Wir sind sehr besorgt über die Entwicklungen im Asowschen Meer und der Meerenge von Kertsch“, teilte der OSZE-Vorsitzende und italienische Außenminister Enzo Moavero Milanesi am Dienstag mit.

Kneissl: Konflikte verbal lösen

FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl rief am Dienstag zu einer Deeskalation von beiden Seiten auf. Bei der Berlin Security Conference in der deutschen Hauptstadt trat Kneissl dafür ein, „Konflikte verbal und nicht mit Waffengewalt zu lösen“. Verstöße gegen das Völkerrecht seien klar zu verurteilen, so Kneissl, die derzeit den Vorsitz der EU-Außenminister innehat. „Wir müssen auch mit Russland immer wieder den konstruktiven Dialog führen“, erklärte die Außenministerin jedoch. „Wir sind auf konstruktive Zusammenarbeit mit Russland angewiesen, aber auch Russland ist auf uns angewiesen.“

Die EU wird laut Kneissl auch über weitere Sanktionen gegen Russland sprechen müssen. Kneissl verwies am Dienstag in Berlin nach einem Gespräch mit dem deutschen Außenminister Heiko Maas (SPD) darauf, dass am 10. Dezember eine Sitzung der EU-Außenminister anstehe. Allerdings müsse der Sachverhalt des jüngsten Vorfalls zwischen Russland und der Ukraine noch geklärt werden. „Alles hängt von der Sachverhaltsdarstellung ab und vom weiteren Verhalten der beiden Kontrahenten“, sagte Kneissl auf die Frage nach weiteren Sanktionen.

Estland fordert neue EU-Sanktionen. „Wir haben gesagt, dass wir bereit sind, die Sanktionen auszuweiten“, sagte der estnische Verteidigungsminister Jüri Luik am Dienstag im Reuters-Interview. „Sanktionen sind der kraftvollste Weg, um Russland zu zeigen, dass wir es ernst meinen.“ Allerdings müsse das in der EU einstimmig beschlossen werden.

Strache verteidigt Beziehung zu Putin-Partei

Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) bezeichnete am Dienstag in Brüssel die Entwicklung der Situation als „nicht erfreulich“ und rief zur Deeskalation auf. Als neutrales Land sei es auch wichtig, sich einzubringen, wenn es um Vermittlung geht. „Es soll hier keine weitere Zuspitzung und Verschärfung der Situation geben“, so Strache.

Die Beziehungen der FPÖ zur Putin-Partei Einiges Russland verteidigte er. Das sei „ein Vertrag, der gang und gäbe ist zwischen allen demokratischen Strukturen“, so Strache. Hier gehe es darum, Meinungen auszutauschen, „die durchaus auch unterschiedlich sein können“. Wichtig sei, dass man miteinander spreche, das stelle dieser Vertrag sicher.