Frau am Smartphone
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Russland im Visier

EU wappnet sich gegen „Fake News“

Sechs Monate vor der Europawahl verstärkt die EU-Kommission den Kampf gegen absichtliche Fehlinformation, Lügen und Propaganda im Internet. Die Maßnahmen zielen vor allem auf Russland ab – das Brüssel als Hauptquelle der Desinformation sieht.

„Wir haben Versuche der Einflussnahme bei Wahlen und Volksabstimmungen gesehen, bei denen die Beweislage auf Russland als Hauptquelle dieses Vorgehens hindeutet“, sagte der für den Digitalbereich zuständige Vizekommissionspräsident Andrus Ansip am Mittwoch in Brüssel. „Desinformation ist Teil der Militärdoktrin Russlands und seiner Strategie, den Westen zu spalten.“

Russland investiert laut Ansip jährlich mehr als eine Milliarde in kremltreue Medien. Allein die als Trollfabrik berüchtigte Internet Research Agency in St. Petersbrug hat dem EU-Kommissar zufolge 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

EU auf Facebook und Co. angewiesen

Seit dem Jahr 2015 unterhält der Auswärtige Dienst der EU eine Taskforce gegen russische Desinformation. Ihr Budget wird 2019 auf fünf Millionen Euro mehr als verdoppelt. EU-Staaten sollen ihre Informationen untereinander besser austauschen. Die EU-Bevölkerung soll zudem verstärkt über Desinformation aufgeklärt werden.

EU-Kommissarin Vera Jourova
APA/AFP/John Thys
EU-Kommissarin Vera Jourova: Brüssel hat mit Facebook und Co. einen freiwilligen Verhaltenskodex vereinbart

Vor allem aber drängt die EU-Kommission Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter, ihre im Oktober abgegebene Selbstverpflichtung zum Kampf gegen „Fake News“ und manipulierende Wahlwerbung konsequent umzusetzen. Brüssel hatte damals mit Unternehmen der Internet- und Werbewirtschaft einen Verhaltenskodex vereinbart, um in der EU gegen Falschinformation in ihren Angeboten vorzugehen. Mit dabei sind unter anderem Google, Facebook, Twitter und Mozilla.

Die Herkunft politischer Werbung soll transparent gemacht werden. Quellen, die Falschinformationen verbreiten, sollen mit dem Entzug von Werbeeinnahmen sanktioniert und gefälschte Accounts schneller gesperrt werden. Zudem sollen die Betreiber stärker gegen Bots vorgehen, die Fehlinformationen im Netz verbreiten. Nutzerinnen und Nutzer sollen mehr Möglichkeiten zur Beschwerde erhalten. Rechtlich bindend ist das Papier nicht – was einige Kritik hervorrief.

Kein „Wild-West-Internet“

Die EU-Kommission will ab Ende Dezember monatlich Berichte über die Bemühungen der Sozialen Netzwerke herausgeben. „Wenn es die nötigen Fortschritte nicht gibt, werden wir nicht zögern, unsere Optionen neu zu prüfen, darunter letztlich auch rechtliche Vorgaben“, sagte Sicherheitskommissar Julian King am Mittwoch. „Wir können uns kein Wild-West-Internet leisten, wo alles möglich ist.“

Julian King
AP/Geert Vanden Wijngaert
Sicherheitskommissar King nimmt die Sozialen Netzwerke in die Pflicht

Vor Kurzem hatte die EU-Kommission eine Umfrage vorgestellt, der zufolge eine Mehrheit der EU-Bürgerinnen und -Bürger Manipulationsversuche befürchtet. EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans sprach gar von „düsteren Kräften“: „Gut ist, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger die Informationen, die ihnen angeboten werden, kritisch betrachten und dass sie sich der düsteren Kräfte bewusst sind, die gerne manipulieren würden, was die Menschen lesen, denken – und was sie wählen“, so Timmermans, der als Spitzenkandidat der Sozialdemokratie in den Wahlkampf gehen wird.

Die Glaubwürdigkeit untergraben

„‚Fake News‘ werden eine Rolle spielen“, sagte auch Sophie Lecheler, Professorin für Politische Kommunikation am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien, gegenüber ORF.at. Lecheler untersucht, wie Journalistinnen und Journalisten Technologie zur Erkennung von Desinformation nutzen können. Vor Kurzem präsentierte sie ihre Forschungsergebnisse bei einer Veranstaltung im Europaparlament in Brüssel.

Lecheler rechnet damit, dass sich Desinformation während des Wahlkampfs über die Sozialen Netzwerke verbreiten wird. So könnte sie auch in die traditionellen Nachrichtenmedien einsickern: „Die Frage ist, inwieweit Desinformation durch den Filter der Journalisten hindurch kommt.“ Technische Mittel dagegen gebe es aber schon relativ viele, etwa zur Ermittlung der Herkunft von Bildern oder Tweets.

Im politischen Diskurs wird die Diskussion über „Fake News“ laut Lecheler ebenfalls eine Rolle spielen: Gewisse politische Parteien würden das „Fake-News-Label“ sehr gerne verwenden, „um angesehene Qualitätsmedien zu diskreditieren und deren Information so weniger vertrauenswürdig zu machen für die Bürger“. Die Vorgehensweise ist unter anderem von US-Präsident Donald Trump bekannt, der CNN und die „New York Times“ bei jeder neuen Enthüllung mit „Fake News“-Vorwürfen überzieht. Dabei war der Begriff „Fake News“ ursprünglich eine Bezeichnung für in schlechter Absicht verbreitete Falschinformation.

Der schmale Grat

Wie schmal der Grat zwischen dem Schutz vor Manipulation und Zensur sein kann, dürfte sich unterdessen bald in Frankreich zeigen. Dort hat das Parlament vor Kurzem als erstes europäisches Land ein Gesetz gegen die Verbreitung von „Fake News“ während eines Wahlkampfs erlassen.

Die neuen Regeln ermöglichen es unter anderem, dass sich Kandidatinnen und Kandidaten im Eilverfahren gegen die Verbreitung von Falschinformationen im Internet wehren können. Ein Gericht kann dann etwa einen Suchmaschinenanbieter verpflichten, eine bestimmte Seite nicht mehr in seiner Ergebnisliste anzuzeigen. Bedingung ist, dass die Falschinformationen geeignet sind, die Wahl zu beeinflussen. Die französische Opposition übte scharfe Kritik und sprach unter anderem vom „Versuch der Informationskontrolle“.