Geldmünzen auf einem Formular für den Antrag der Mindestsicherung
ORF.at/Carina Kainz
Details zu Paket

Koalition präsentiert neue Mindestsicherung

Die Regierung hat am Mittwoch im Ministerrat ihr Paket zur Mindestsicherung präsentiert. Diese soll künftig einheitlich 863 Euro betragen. Der Zugriff auf Vermögen bleibt erhalten, bei Migranten und Migrantinnen mit schlechten Deutschkenntnissen sind Kürzungen vorgesehen. Eine deutlich höhere Mindestsicherung soll es in teuren Wohngegenden geben, womit die Regierung den Landeshauptleuten entgegenkommt.

Geregelt wird das bundesweit harmonisierte Modell, das bisher durch unterschiedliche Landesgesetze (auf Basis einer mittlerweile ausgelaufenen 15a-Vereinbarung) geregelt wurde, in einem Grundsatzgesetz, mit dem der Bund den Bundesländern einen Rahmen und Grundprinzipien für die neue Mindestsicherung vorgibt. Bei der Höhe der monatlichen Mindestsicherung orientieren sich ÖVP und FPÖ am Netto-Ausgleichszulagenrichtsatz, gemeinhin „Mindestpension“ genannt, von derzeit 863 Euro. Für einen allein stehenden Mindestsicherungsbezieher gibt es 100 Prozent, für ein Paar zweimal 70 Prozent des Richtsatzes bzw. 1.208 Euro.

Für Kinder soll es künftig gestaffelte Beträge geben: für das erste Kind 25 Prozent, für das zweite Kind 15 Prozent und ab dem dritten Kind fünf Prozent des Nettoausgleichszulagenrichtsatzes. Von einer völligen Deckelung hat man aus verfassungsrechtlichen Gründen abgesehen. Für Alleinerziehende ist zusätzlich zur Mindestsicherung ein Bonus vorgesehen: bei einem Kind zwölf Prozent vom Ausgleichszulagenrichtsatz (derzeit 103,5 Euro), bei zwei Kindern 21 Prozent (181 Euro), bei drei Kindern 27 Euro (233 Euro) und für jedes weitere Kind plus drei Prozent. Personen mit Behinderung sollen einen Zuschlag von 18 Prozent (155 Euro) erhalten.

Nur Deutsch oder Englisch qualifiziert

Migrantinnen und Migranten mit nicht ausreichenden Deutschkenntnissen sollen deshalb eine gekürzte Mindestsicherung von 563 Euro erhalten. Die 300 Euro Differenz auf die volle Mindestsicherung erklärt die Regierung als Sachleistung zum „Arbeitsqualifizierungsbonus für Vermittelbarkeit“. Damit sollen Sprachkurse finanziert werden.

Voraussetzung für den Erhalt der vollen Sozialhilfe ist Deutsch-Niveau B1 oder Englisch-Niveau C1. Für den Nachweis beim Sozialamt braucht es ein Sprachzertifikat, einen Pflichtschulabschluss mit Deutsch als primärer Unterrichtssprache oder die Vorsprache bei der Behörde, was etwa für der deutschen Sprache mächtige Österreicher ohne Pflichtschulabschluss ausreichen würde.

Für Drittstaatsangehörige sowie EU- und EWR-Bürger plant die Regierung die Beibehaltung einer fünfjährigen Wartefrist – was auch bisher schon so abgehalten wurde. Unionsbürger mit einem kürzeren rechtmäßigen Aufenthalt haben nur dann uneingeschränkten Zugang zur Sozialhilfe, wenn sie sich etwa als Arbeitnehmer in Österreich befinden. Im Gesetz ist dazu eine Einzelfallprüfung vorgesehen. Nach Ansicht von Regierungsvertretern ist eine solche Lösung unionsrechtlich zulässig. Asylberechtigte haben erst ab dem Zeitpunkt Anspruch auf Mindestsicherung, ab dem ihnen der Schutzstatus als Flüchtling zuerkannt wird, Asylwerbende sollen wie schon jetzt keinen Leistungsanspruch bekommen.

Wohnkostenzuschlag je nach Bundesland

Um die unterschiedlich hohen Mietkosten in den Bundesländern zu berücksichtigen, sollen laut den Regierungsplänen die Länder die Möglichkeit bekommen, einen Zuschlag von bis zu maximal 30 Prozent für Wohnkosten zu vergeben. Das könnte etwa in Städten mit besonders hohen Immobilienpreisen wie Innsbruck der Salzburg notwendig sein. Die Bundesregierung will damit Bedenken aus den westlichen Bundesländern Rechnung tragen.

Vermögenszugriff mit Abstrichen?

Fällt jemand in die Mindestsicherung, dann sollen die Länder auch künftig die Möglichkeit des Vermögenszugriffs haben. Zusatz: „wenn die Notlage dadurch nicht verschlimmert wird“. Was das genau bedeutet, bleibt offen. Folgendes Beispiel wurde von der Regierung angeführt: Ein Auto, das zur Fahrt in die Arbeit benötigt wird, soll etwa vom Zugriff ausgenommen sein. Zudem definiert die Regierung in ihrem Paket ein „Schonvermögen“ von 600 Prozent des Ausgleichszulagenrichtsatzes (knapp 5.200 Euro), bis zu dem künftig kein Zugriff möglich sein soll. Zugleich wird die „Schonfrist“ für den Zugriff auf das Eigenheim bzw. die pfandrechtliche Eintragung im Grundbuch von sechs Monaten auf drei Jahre erhöht.

Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger sollen künftig für einen befristeten Zeitraum auch zusätzliche Einkünfte lukrieren dürfen. Für jene, denen es gelingt, aus der Mindestsicherung heraus eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, ist laut Regierung ein Freibetrag von bis zu 35 Prozent des Nettoeinkommens vorgesehen. Dieser Gehaltsteil soll für bis zu zwölf Monate von einer Anrechnung ausgenommen werden. ÖVP und FPÖ wollen so stärkere Arbeitsanreize setzen.

Schwierige Datenlage

Kritiker und Kritikerinnen der Regierungspläne befürchten, dass durch die geplanten Kürzungen vor allem Kinder in der Armutsfalle landen. Angeprangert wurde auch der Umstand, dass die Bundesregierung bei dem Reformvorhaben vor allem den Migrationshintergrund von Beziehern in den Mittelpunkt rückt. ÖVP und FPÖ präsentierten am Wochenende Zahlen, wonach mehr als 60 Prozent der Mindestsicherungsbezieher „Migrationshintergrund“ hätten. Diese Zahlen lassen sich laut Arbeitsmarktservice (AMS) und Statistik Austria so nicht bestätigen.

Laut AMS-Zahlen haben 62,8 Prozent aller arbeitslos gemeldeten Mindestsicherungsbezieher Migrationshintergrund. Der Anteil der arbeitslosen Bezieher macht aber nur ein Drittel aller Personen in der Mindestsicherung aus, wie das Ö1-Morgenjournal am Dienstag unter Berufung auf AMS-Daten berichtete. Wie der „Standard“ berichtete, gab es laut Daten der Statistik Austria zuletzt pro Monat im Schnitt 222.087 Bezieher. Davon hatte etwas mehr als die Hälfte (50,42 Prozent) die österreichische Staatsbürgerschaft. Gut sieben Prozent waren EU- bzw. EWR-Bürger. 42,4 Prozent kamen aus Drittstaaten.

Eine Aussage über den Anteil der Personen mit Migrationshintergrund kann damit nicht getroffen werden. Unter den österreichischen Staatsbürgern können sich auch Personen mit Migrationshintergrund wiederfinden. Diese werden von der Statistik Austria aber nicht extra ausgewertet. Ein knappes Drittel (31,2 Prozent) der Mindestsicherungsbezieher fällt unter die Kategorie der Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten.

Kritik von SPÖ und Grünen

Nach dem ersten Bekanntwerden der Pläne gab es am Dienstag bereits einige Kritik. Die Regierung ignoriere Bedenken aus Ländern, von Zivilgesellschaft und Experten, eine tragfähige Lösung könne es aber nur gemeinsam geben, hieß es in einer Aussendung der grünen Soziallandesräte aus Salzburg, Tirol und Vorarlberg. Sie seien „schockiert“.

SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch monierte unter anderem, dass der Vermögenszugriff bei der Mindestsicherung bestehen bleibe. Damit würden in der Zukunft, wenn es keine Notstandshilfe mehr gibt, viele Menschen, die ihren Job verloren haben, in die Mindestsicherung fallen, und dann werde auf deren Erspartes, Haus oder Wohnung zugegriffen. Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) bekräftigte jedoch am Dienstag, dass der Anspruch auf Notstandshilfe nicht abgeschafft werde. Wer jahrzehntelang eingezahlt habe, werde weiterhin einen Anspruch darauf haben, sagte der FPÖ-Chef am Rande der Beamtengehaltsverhandlungen.

Experten und Expertinnen äußerten zudem verfassungs- und europarechtliche Bedenken. So war etwa das niederösterreichische Mindestsicherungsmodell wegen der dort vorgesehenen Deckelung vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben worden, und der Europäische Gerichtshof hatte das oberösterreichische Modell wegen der Kürzungen für befristet Asylberechtigte gekippt.

Begutachtung im Laufe der Woche

In der Regierungssitzung am Mittwoch verabschieden ÖVP und FPÖ eine Punktation, der entsprechende Gesetzesentwurf soll im Lauf der Woche in Begutachtung gehen. Die Begutachtungsphase läuft sechs Wochen bis Mitte Jänner, im Februar oder März soll das Gesetz den parlamentarischen Prozess durchlaufen und beschlossen werden. Das Grundsatzgesetz soll mit 1. April 2019 in Kraft treten. Danach haben die Bundesländer in einer mehrmonatigen Übergangsfrist bis Ende 2019 Zeit, um die entsprechenden Landesgesetze zu erlassen. Die genauen Ausführungsbestimmungen sowie konkreten Sanktionen bei Missbrauch oder Arbeitsunwilligkeit müssen die Länder selbst festlegen.