Menschen an der Themse vor dem Finanzbezirk in London
Reuters/Henry Nicholls
Britische Regierung

„Brexit“ schadet Wirtschaft in jedem Fall

Egal ob geordnet oder als „harte“ Trennung mit der EU: Die britische Wirtschaft wird durch den „Brexit“ an Wachstum verlieren. Das geht aus einer Schätzung der britischen Regierung hervor, die Ende November veröffentlicht wurde. Die Unterschiede zwischen den Szenarien sind groß – ein Ausstieg aus der EU wäre jedenfalls schlechter als der Verbleib, so Großbritanniens Finanzminister Philip Hammond.

„Würde man nur die Wirtschaft betrachten, dann zeigt die Analyse deutlich, dass in der EU zu bleiben ein besseres Ergebnis für die Wirtschaft bringen würde“, so Hammond in einem Interview mit der BBC. Nur geringfügig schlechter sei der EU-Austritt unter den von der britischen Regierung im „Brexit“-Abkommen ausgehandelten Bedingungen. Dabei nicht berücksichtigt seien „politische Vorteile“, die man durch den EU-Austritt habe.

Konkret wird in dem rund 80-seitigen Dokument die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) unter verschiedenen Ausstiegsszenarien beleuchtet. Sollte der „Brexit“-Plan der britischen Premierministerin Theresa May umgesetzt werden, müsse man in 15 Jahren mit einem bis zu 3,9 Prozent geringeren BIP rechnen. Deutlich schlechter wirkt sich ein „harter Brexit“, also ohne Ausstiegsvereinbarung, aus: In diesem Fall könnte das BIP sogar 9,3 Prozent niedriger ausfallen.

Auch Bank of England warnt

Pessimistisch zeigt sich auch die Bank of England (BoE), sie warnt davor, dass die Wirtschaftsleistung binnen eines Jahres um acht Prozent sinken könnte. Zum Vergleich: In der Finanzkrise waren es 6,25 Prozent gewesen. Die Notenbank sieht dieses Chaosszenario jedoch nicht als wahrscheinlichste Variante an. Dennoch hält sie es für „plausibel“ und forderte die Banken des Landes auf, entsprechende Vorkehrungen dafür zu treffen. „Das britische Bankensystem ist stark genug, um Haushalten und der Wirtschaft weiter dienen zu können – selbst wenn es zu einem ungeordneten ‚Brexit‘ kommen sollte“, betonte die BoE.

Auch Kanada-Modell kaum besser

Modelle errechneten auch die Auswirkungen eines möglichen Freihandelsabkommens im Stile der Handelsbeziehungen zu Kanada: Auch in diesem Fall ist mit einem bis zu 6,7 Prozent geringeren BIP zu rechnen. Absolute Zahlen gab das britische Finanzministerium nicht bekannt. Die BBC beruft sich jedoch auf „unabhängige Expertenangaben“: 3,9 Prozent des BIP entsprächen im Jahr 2030 demnach in etwa 100 Milliarden Pfund (momentan 113 Mrd. Euro).

In dem Bericht wird jedoch auch damit gerechnet, dass die britische Wirtschaft in allen errechneten Szenarien wachsen wird. In 15 Jahren werde die Wirtschaft trotzdem immer noch kleiner sein als im Falle eines Verbleibs Großbritanniens in der EU.

May sieht „starke“ Wirtschaft

May bekräftigte daher zuletzt erneut, dass ihr Plan die beste Option für das Land sei. Die Analyse zeige, „dass unser Deal der bestmögliche für Arbeitsplätze und unsere Wirtschaft ist“, sagte die Premierministerin bei einer Fragestunde im Parlament. Die Wirtschaft sei stark und werde weiter wachsen – das Land werde in Zukunft nicht ärmer sein.

Einem zweiten „Brexit“-Referendum teilte sie folglich erneut eine Abfuhr. „Es ist wichtig, dass das Votum des britischen Volkes umgesetzt wird.“ Kritikerinnen und Kritiker des EU-Austritts hoffen, mit einer zweiten Abstimmung den „Brexit“ noch verhindern zu können.

Ex-Minister: Prognosen „praktisch nie richtig“

Der ehemalige „Brexit“-Minister David Davis zeigte sich von dem Bericht wenig beeindruckt. „Prognosen des Finanzministeriums waren in der Vergangenheit praktisch nie richtig und lagen viel öfter deutlich daneben“, sagte Davis dem „Guardian“ zufolge. So wäre die Vorhersage, dass die britische Wirtschaft eineinhalb Jahre nach dem „Brexit“-Referendum um 2,1 Prozent schrumpft, laut Davis nicht richtig gewesen. Stattdessen sei die Wirtschaft um 2,8 Prozent gewachsen.

Beim Verband der britischen Industrie (Confederation of British Industry, CBI) zeigte man sich hingegen alarmiert: „Diese Prognosen zeichnen auf lange Sicht ein düsteres Bild von einem ‚harten Brexit‘ oder einem Deal im kanadischen Stil“, so der CBI. Die Analyse würde einen Schlussstrich unter einige „weit hergeholte Ideen“ setzen, dass ein „‚harter Brexit‘ der Wirtschaft nicht ernsthaft schaden“ werde.

Bis zum Referendum bei Wachstum weit vorne

Das ausgehandelte „Brexit“-Paket umfasst einen knapp 600 Seiten starken Austrittsvertrag. Darin sind die Bedingungen der Trennung festgeschrieben – etwa die Rechte von EU-Bürgerinnen und -Bürgern in Großbritannien und Schlusszahlungen des Vereinigten Königreichs an die EU von schätzungsweise rund 45 Milliarden Euro.

Vorgesehen ist außerdem eine Übergangsfrist bis Ende 2020, diese könnte noch bis Ende 2022 verlängert werden. In dieser Zeit soll sich für die Wirtschaft und die Bürger beider Seiten praktisch nichts ändern. In den Jahren vor dem „Brexit“-Referendum Mitte 2016 war Großbritannien eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften in Europa.