Bundeskanzler Sebastian Kurz
ORF
Mindestsicherung

Neuregelung für Kurz „nur gerecht“

ÖVP und FPÖ haben am Mittwoch im Ministerrat ihr Paket für die Neuregelung der Mindestsicherung präsentiert. Die Rede war dabei von „Treffsicherheit“ und „Arbeitsanreizen“, wobei das Opposition und karitative Organisationen deutlich anders sahen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wies die Kritik zurück und verteidigte die geplanten Maßnahmen als „nur gerecht“.

Kurz wiederholte im Interview in der ZIB2 am Mittwochabend im Wesentlichen, was er bereits bei der Präsentation der Regierungspläne nach dem Ministerrat betont hatte. Ein Ziel sei, dass Menschen, die „besonders unterstützungsbedürftig“ seien, künftig mehr Geld bekommen, zum Zweiten solle es keine „Verwaltung der Arbeitslosigkeit“ mehr geben. Dasselbe gelte für eine „direkte Zuwanderung in unser Sozialsystem“.

Es sei außerdem „nur gerecht“, dass jemand auch in das Sozialsystem einzahlen müsse, bevor er Geld bekomme. Es sei derzeit mitunter „unattraktiv“, arbeiten zu gehen. Ziel sei aber nicht, Menschen zu bestrafen, betonte Kurz, sondern sie möglichst rasch in den Arbeitsmarkt zu bringen. Kurz untermauerte seine Ausführungen mit Vergleichsrechnungen, unter anderem zwischen Familieneinkommen bzw. Lehrlingsentschädigung und Mindestsicherung. Hier müsse es einen „Abstand“ geben.

Kurz zur neuen Mindestsicherung

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) spricht im ZIB 2-Interview über die Neuregelung der Mindestsicherung. Diese solle keine „Verwaltung der Arbeitslosigkeit“ sein, sondern den Arbeitsmarkt attraktiver machen.

„Soziale Hängematte“ und „Arbeitsanreize“

Präsentiert hatten das gesamte Paket zur Mindestsicherung am Mittwochvormittag nach dem Ministerrat Kurz, Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ), Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) sowie ÖVP-Obmann August Wöginger. Dabei pochten alle auf dessen „Treffsicherheit“. In den Worten von Vizekanzler Strache klang das so: „Das Ziel muss es sein, die Zuwanderung in unser Sozialsystem zu stoppen, zu reduzieren.“

Zugleich hieß es von Strache aber auch, „die Mindestsicherung darf nicht zur sozialen Hängematte verkommen. Für niemanden – auch nicht für Österreicher.“ Eine „verpflichtende Arbeitsbereitschaft muss vorhanden sein“, so der FPÖ-Chef. Das war denn auch der zweite Gesichtspunkt, unter dem die Koalition ihr Reformpaket für die Mindestsicherung verstanden wissen wollte.

Es gehe darum, „Arbeitsanreize“ zu schaffen, sagte Kurz. Man wolle die Menschen dazu bringen, genug zu verdienen, um sich selbst versorgen zu können. Das neue Modell werde dazu beitragen, "dass die Zahl der Arbeitslosen zurückgehen wird. Zugleich werde damit der „Fleckerlteppich“ der unterschiedlichen Länderregelungen beendet.

VP-Sozialsprecher August Wöginger, Bundeskanzler Sebastian Kurz, Vizekanzler Heinz Christian Strache und Sozialministerin Beate Hartinger-Klein
APA/Roland Schlager
Sie habe „viele Dialoge“ geführt, um die „Treffsicherheit“ des neuen Systems zu erreichen, so die Sozialministerin

Sozialministerin Hartinger-Klein verwies in diesem Zusammenhang auch auf die mangelnden Daten, die bisher von den Ländern geliefert worden seien. In Zukunft müssten die Länder die entsprechende „Transparenzdatenbank“ befüllen. Das ist laut der Sozialministerin auch nötig, um „strengere Sanktionen bei Verstößen“ durchsetzen zu können.

„Punktation“ beschlossen

Konkret beschlossen wurde im Ministerrat eine „Punktation“ zur Mindestsicherung neu, also eine politische Absichtserklärung. Der genaue Gesetzesentwurf soll im Lauf der Woche folgen und sechs Wochen begutachtet werden. Dieses „Rahmengesetz“ ersetzt die 2016 ausgelaufene Bund-Länder-Vereinbarung über Mindeststandards bei der Mindestsicherung. Für Einzelpersonen sieht es einen Höchstbetrag von 863 Euro vor, bei Paaren maximal 1.208 Euro. Bezieher mit schlechten Deutschkenntnissen sollen ein Drittel weniger bekommen. In besonders teuren Städten sind zusätzliche Sachleistungen möglich, die aber mit 30 Prozent der Mindestsicherung gedeckelt werden.

Einschnitte für Familien

Starke Einschnitte bedeuten die Regierungspläne für Familien mit Kindern (2017 waren laut Statistik Austria 81.334 von 231.390 Mindestsicherungsbeziehern Kinder). Denn für das erste Kind gibt es künftig rund 216 Euro monatlich, für das zweite 130 Euro und ab dem dritten nur noch 43 Euro.

Allerdings soll der Kinderabsetzbetrag doch nicht, wie ursprünglich erklärt, von der Mindestsicherung abgezogen werden. Die Bezieher dürfen ihn doch behalten. Zur Erklärung: In den Unterlagen zur Reform ist davon die Rede, dass die 58,40 Euro pro Kind ab Herbst 2019 von der Mindestsicherung abgerechnet würden. Das Sozialministerium bezeichnete das später am Mittwoch als „Fehler in der Unterlage“.

Korrektur bei Absetzbetrag

Im Pressefoyer hatte Hartinger-Klein noch angekündigt, dass die Alleinverdiener- und Kinderabsetzbeträge bei der Mindestsicherung ab Herbst 2019 „in voller Höhe leistungsmindernd angerechnet“ werden. Sprich: Die Mindestsicherung für Familien sollte ab Herbst 2019 um 59,4 Euro pro Kind gekürzt werden.

Wenige Stunden später folgte eine Korrektur: „Uns ist gestern leider ein Fehler in der Unterlage passiert. Die Anrechnung der Kinderabsetzbeträge (58,40 pro Monat und pro Kind) sowie der Alleinverdienerabsetzbetrag werden bei der Sozialhilfe nicht mindernd angerechnet“, hieß es aus dem Sozialministerium in einer schriftlichen Mitteilung an die APA.

Zugriff auf Eigentum bleibt nun doch

Kurz begründete diese starken Kürzungen für Mehrkindfamilien damit, dass berufstätige Familien häufig nicht viel mehr Geld zur Verfügung hätten als Mindestsicherungsbezieher mit vielen Kindern. „50 Prozent der Menschen verdienen weniger als 1.800 Euro netto.“ Das bedeute, dass es für Menschen in kinderreichen Familien gar nicht mehr attraktiv sei, arbeiten zu gehen. Wöginger dazu: „Wer arbeiten geht, darf nicht der Dumme sein.“

Abgefedert werden diese Kürzungen bei alleinerziehenden Eltern: Sie erhalten einen Zuschlag (103,5 Euro bei einem Kind, 233 Euro bei drei Kindern), Menschen mit Behinderung erhalten 155 Euro mehr. Nicht durchgesetzt hat sich die FPÖ dagegen mit ihrer Forderung, den Vermögenszugriff auf „Aufstocker“ in die Mindestsicherung abzuschaffen. Allerdings wurden die aktuellen Regelungen abgemildert: Auf selbst benutztes Wohneigentum soll erst nach drei Jahren (nicht schon nach sechs Monaten) zugegriffen werden, außerdem dürfen Mindestsicherungsbezieher 5.200 Euro in bar behalten (bisher 4.300).

Offene Fragen bei der Notstandshilfe

Keinen Vermögenszugriff wird es laut Koalition auch in Zukunft für die Menschen in der Notstandshilfe geben. Dass diese auch in der Reform des Arbeitslosengeldes bestehen bleibe, versicherte die Regierungsspitze am Mittwoch erneut. Wer lange genug gearbeitet habe, der werde auch weiterhin nicht in die Mindestsicherung fallen, hieß es von der Regierung.

Konkrete Angaben zu den Voraussetzungen für einen unbefristeten Verbleib in der Notstandshilfe konnte die Regierungsspitze am Mittwoch aber noch nicht machen und verwies auf noch anstehende Verhandlungen. Auf die Frage, ob etwa jemand, der zehn bis 15 Jahre gearbeitet hat, und mit 40 Jahren arbeitslos wird, dann unbefristet die Notstandhilfe beziehen kann, sagte Strache allerdings: „So ist es.“ Wichtig sei es aber, einen Unterschied zwischen Kurz- und Langzeitbeschäftigten herzustellen.

Auch Kurz äußerte sich in der ZIB2 nur vage zu den weiteren Reformplänen der Bundesregierung beim Arbeitslosengeld bzw. speziell bei der Notstandshilfe. Diese werde in ein Modell eines Arbeitslosengeldes neu integriert, sagte er auf eine entsprechende Frage, bleibe also eine Versicherungsleistung. Wer lange genug gearbeitet hat, solle auf jeden Fall nicht in die Mindestsicherung fallen. Wie lange, ließ der Bundeskanzler offen. Diese Frage müsse noch geklärt werden.