Hand mit Geldbörse
ORF.at/Christian Öser
Mindestsicherung

Kritik an Kürzungen für Familien

Die Regierung hat am Mittwoch ihr Modell für die neue Mindestsicherung präsentiert, bei dem es zu Kürzungen kommen soll. Besonders betroffen sind Personen mit schlechten Deutschkenntnissen und Familien – und zwar egal, ob es sich dabei um österreichische oder ausländische Familien handelt. Humanitäre Organisationen sind besorgt, Verfassungsrechtler äußern hingegen nur wenige Bedenken.

In mehr als der Hälfte der Haushalte mit Mindestsicherungsbeziehern und -bezieherinnen leben Minderjährige. Direkt betroffen sind rund 80.000 Kinder und Jugendliche, denn so viele der insgesamt 230.000 Menschen, die in Österreich von der Mindestsicherung abhängig sind, sind unter 18 Jahre alt. Das berichtete das Ö1-Morgenjournal am Donnerstag – mehr dazu in oe1.ORF.at.

Davon sind fast 65.000 unter 14 Jahre alt, knapp 13.000 sind zwischen 14 bis 18 Jahren. Insgesamt waren somit im Vorjahr fast ein Drittel aller Mindestsicherungsbezieher Kinder und Jugendliche. Je nachdem, wie groß die von der Mindestsicherung abhängige Familie ist, in der sie leben, kommen auf sie nun Kürzungen zu. Ausnahme sind Kinder von Alleinerziehenden, für die es Zuschläge geben soll.

Je mehr Kinder, desto größer die Einschnitte

Betrachte man aber eine Kernfamilie mit zwei Erziehungsberechtigten und einem Kind, so betrage das Minus pro Monat laut Regierungszahlen bis zu 70 Euro, rechnet das Ö1-Morgenjournal vor. In Haushalten mit zwei Kindern und beiden Eltern mit Mindestsicherung steige demnach das Minus auf bis zu 130 Euro im Monat, bei drei Kindern auf mindestens 160 Euro.

Das gilt aber nur für Familien mit ausreichenden Deutschkenntnissen oder österreichischem Pflichtschulabschluss. Bei fehlender Qualifikation summiere sich das monatliche Minus laut Arbeiterkammer im Durchschnitt auf mindestens 445 Euro bei einem Kind und über 580 Euro bei drei Kindern. Laut Ö1 könnte es aber in manchen Bundesländern auch zu höheren Einschnitten kommen.

Abseits der Opposition kommt die Kritik unter anderem vom Katholischen Familienverband Österreich (KFÖ), konkret an der Deckelung für Mehrkindfamilien. „Es darf nicht egal sein, wie viele Menschen von einem Einkommen leben müssen“, so der KFÖ in einer Aussendung. „Das muss auch für Mindestsicherungsbezieher gelten. Es darf nicht egal sein, wie viele Personen mit einer Sozialhilfe auskommen müssen“, kritisierte KFÖ-Präsident Alfred Trendl die geplante Deckelung für Mehrkindfamilien, gleich, ob Alleinverdienende oder Alleinerziehende: Er befürchtet die Ausweitung von Kinderarmut und die Ausgrenzung von Mehrkindfamilien.

Diakonie: „Weder fair noch gerecht“

Auch Maria Katharina Moser, Direktorin der Diakonie Österreich, kritisiert die gestaffelten Beiträge bei Kindern, die pro Mindestsicherungsbezug 215 Euro für das erste Kind, 129 Euro für das zweite Kind und 43 Euro ab dem dritten Kind vorsehen. Der Vergleich eines Familienvaters mit niedrigem Einkommen mit einer Familie mit drei Kindern in der Mindestsicherung sei irreführend: „Verliert ein Familienvater mit drei Kindern und einem geringen Nettoeinkommen seinen Arbeitsplatz, bekommt er Arbeitslose. Die ist so niedrig, dass er Anspruch auf Aufstockung aus der Mindestsicherung hat", so Moser. Vorausgesetzt, es kann auf kein Vermögen – etwa ein Sparbuch oder eine Lebensversicherung – zugegriffen werden.

Werde die Mindestsicherung für kinderreiche Familien gesenkt, schade das „genau dem viel zitierten fleißigen Geringverdiener mit Kindern, für den die Bundesregierung mehr Fairness verlangt. Das ist weder fair noch gerecht.“ Rund 75 Prozent der Haushalte, die Mindestsicherung beziehen, „stocken auf“, heißt es von der Diakonie. Das bedeute, sie beziehen „ein Einkommen aus Arbeit, Arbeitslosenversicherung oder Notstandshilfe, das so niedrig ist, dass sie ein Anrecht auf Ergänzung aus der Mindestsicherung haben, um das Mindeste zum Leben zu sichern.“ Dabei sei es völlig egal, woher der „fleißige“ Arbeiter komme.

SOS Mitmensch: Kinderlose Paare kriegen weniger

SOS Mitmensch warf der Regierung vor, die Bevölkerung in die Irre zu führen, und veröffentlichte mehrere „Richtigstellungen“ zu den Aussagen der Bundesregierung. So würden nicht nur arbeitslose und nicht arbeitsfähige Personen „teilweise massiv“ verlieren, sondern auch arbeitende Menschen und Pensionisten, die ihr Einkommen auf die Höhe der Mindestsicherung aufstocken.

Elternpaare mit mehreren Kindern würden spätestens ab dem dritten Kind in allen Bundesländern dramatisch verlieren – und das unabhängig von der Staatsbürgerschaft, betonte auch SOS Mitmensch. Aber auch Paare ohne Kinder würden erheblich weniger bekommen: In Wien etwa bis zu 1.036 Euro im Jahr, wenn sie Pflichtschulabschluss bzw. Sprachnachweis haben, und bis zu 8.236 Euro im Jahr ohne Pflichtschulabschluss bzw. Sprachnachweis.

Zu den von der Regierung positiv herausgestrichenen Verbesserungen für Alleinerziehende merkte die NGO an, dass diese „nur eine Spur mehr“ erhielten – und das auch nur dann, wenn sie Pflichtschulabschluss bzw. Sprachnachweis haben. Und nur dann, „wenn sie nicht mehr als zwei Kinder haben, andernfalls verlieren auch sie teils dramatisch“.

Kritik von ÖGB und AK

Der ÖGB zeigte sich indes erfreut darüber, dass die Alleinverdiener- und Kinderabsetzbeträge bei der Mindestsicherung ab Herbst 2019 entgegen den Aussagen bei der Präsentation doch nicht leistungsmindernd angerechnet werden sollen. Sozialministerin Hartinger-Klein (FPÖ) hatte diesen Schritt nach dem Ministerrat noch angekündigt, auch war dieses Vorhaben in den Presseunterlagen vermerkt. Hartinger-Kleins Sprecher nahm das später zurück und sprach von einem „Fehler in der Unterlage“. „Die ExpertInnen des ÖGB sind dann gerne beim Auffinden weiterer Fehler behilflich, um die Regierung vor einer weiteren Blamage zu bewahren – und die Menschen vor einem weiteren Huschpfusch-Gesetz“, richtete Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB, via Aussendung aus.

AK-Präsidentin Renate Anderl mahnte die Regierung in diesem Zusammenhang zu „mehr Sorgfalt“: „Es verunsichert die Menschen, wenn die Reform der Mindestsicherung hochoffiziell nach dem Ministerrat präsentiert wird – und dann legt die Regierung keinen Gesetzestext vor und muss sich noch am selben Tag selbst korrigieren.“ Darüber hinaus kritisierte Anderl, dass die Pläne dennoch starke Kürzungen bedeuten.

„Mindestsicherung keine Versicherungsleistung“

Kritisch äußerten sich auch mehrere Professoren heimischer Universitäten. Die Regierung erwecke den Eindruck, insbesondere bei Zugewanderten und Asylberechtigten einsparen zu wollen, hieß es in einem auf der Homepage des Instituts für Soziologie veröffentlichten offenen Schreiben. „Treffen werden die geplanten (…) Kürzungen aber insbesondere kranke Menschen, Menschen mit Behinderungen, PensionistInnen, Kinder sowie Erwerbstätige, deren Einkommen oder Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung nicht zu einem menschenwürdigen Leben ausreichen“, schreiben die Unterzeichner.

Auch betonen die Professoren vom Institut für Soziologie der Universität Wien, dass das Anrecht auf diese Unterstützungsleistung unabhängig von bisherigen eigenen Beiträgen zur Sozialversicherung ist. „Denn die meist vorübergehend bezogene Mindestsicherung ist keine Versicherungsleistung, sondern soll als unterstes Auffangnetz notleidenden Menschen ein Leben in Würde ermöglichen.“

Verfassungsexperten nur leicht skeptisch

Verfassungsexperten äußern angesichts der Neuerung nur leichte Bedenken, ob die Mindestsicherungsregelung in verfassungsrechtlicher Hinsicht wasserdicht ist. Es gelte nun, die genaue Ausformulierung des Gesetzestextes abzuwarten, sagte etwa der Salzburger Uniprofessor und Ex-VfGH-Mitglied Rudolf Müller zur APA. Unionsrechtlich hingegen sollten die Bestimmungen halten, so EU-Rechtsexperte Walter Obwexer. Müller will vor einer endgültigen Bewertung die Vorlage des Gesetzestextes abwarten, die für Ende der Woche vorgesehen ist.

Er hält aber die degressive Gestaltung der Mindestsicherung für Kinder für unproblematisch. Zwar sei die Höhe der Geldleistung sehr niedrig angesetzt, aber: „Deckel ist das keiner (…), da dürfte die Regierung auf der sicheren Seite sein.“ Auch im Falle von größeren finanziellen Verlusten für Familien im Gegensatz zu den bisherigen Regelungen sieht Müller eher keine verfassungsrechtlichen Probleme, denn hier könne man über die Regelung für Härtefälle abfedern: „Wenn dann definitionsgemäß ausgeschlossen ist, dass Härtefälle entstehen, kann ich jeder Verfassungswidrigkeit den Giftzahn ziehen“, will Müller auch hier noch den Gesetzestext abwarten.

Das einzige „große Fragezeichen“ ist für Müller der Sprachnachweis, den auch Österreicher bringen müssten. Dieser soll neben der Vorlage eines Pflichtschulabschlusses auch durch ein Vorsprechen bei der Behörde möglich sein. Es sei die Frage, wie sich dieses Vorsprechen gestalten soll: „Was prüft der Beamte und wie.“ Hier gebe die Formulierung in der Punktation zu viel Spielraum: „Das könnte ein verfassungsrechtliches Problem sein, weil es den Vollzug nicht hinreichend bestimmt.“ Aber auch das sei eine Frage der gesetzlichen Ausformulierung.