Mit dem Aufkommen von Mediatheken wie der ORF-TVthek und Streamingdiensten wie Netflix und Flimmit ist das Reden über Fernsehserien zur heiklen Gratwanderung geworden. Wer in der Kantine oder unter Freunden über die neuesten Entwicklungen in der Lieblingsfernsehserie diskutieren will, läuft Gefahr, den anderen Anwesenden die Spannung zu ruinieren. Um den in der Netflix-Ära so gefürchteten Spoiler zu vermeiden, halten die einen die Ohren zu, die anderen nicken sich nur wissend zu.
Die Lösung ist denkbar einfach – Filme und Serien werden immer häufiger gleichzeitig geschaut. Das australische Onlinemagazin Junkee betitelt den Trend „Netflix Viewing Party“: Das entscheidende Kriterium dafür ist, dass man nicht an einem Ort zusammentrifft, sondern alle Beteiligten vor ihren eigenen Laptops und Tablets sitzen.
Pyjama, Chips und die Lieblingsserie
Dabei steht Gemütlichkeit im Vordergrund. Man muss sich nicht erst zusammen auf ein Sofa quetschen, vom Pyjama zur Jogginghose ist jedes Outfit zu Hause erlaubt. Zu zweit oder dritt ist die Umsetzung recht leicht zu bewerkstelligen: Ausgerüstet mit den richtigen Snacks für einen Streamingabend rufen sich die Couch-Potatoes im Messenger ihrer Wahl zusammen und drücken möglichst gleichzeitig auf den „Play“-Knopf.

Komplizierter wird es, wenn die Gruppe größer ist. Statt Uhrenvergleich unter großem logistischen Aufwand versprechen einige Apps Abhilfe. Schon seit einigen Jahren bietet etwa das kalifornische Unternehmen Rabbit eine Lösung an, bei dem sich eine Gruppe von bis zu 200 Leuten ein einziges Browserfenster teilen. Ein Gruppenmitglied sucht den gewünschten Film oder die Serie aus, die anderen 199 dürfen zuschauen (was jedoch sehr wahrscheinlich den Nutzungsbedingungen der meisten Streamingdienste widersprechen dürfte).
Auch andere Entwicklerinnen und Entwickler folgen dem Trend mit Apps mit klingenden Namen wie „Netflix Party“ und „Watch2Gether“, die das gemeinsame Schauen erleichtern sollen. So besteht bei vielen dieser Dienste etwa die Möglichkeit, nicht nur per Text, sondern wahlweise auch per Mikrofon und Webcam zu kommunizieren – der bequeme Lieblingspyjama lässt sich so aber natürlich nicht mehr vor der Runde verstecken.
„Viewing Party“ als Geschäftsmodell
Als Alternative zu kleinen privaten Grüppchen gibt es aber auch größere Events, bei denen gemeinsam gestreamt wird. Die australische Seite nennt als Beispiel einen „Dawson’s Creek“-Marathon, bei dem mittels Twitter heftig diskutiert wurde. Auch „Buffy the Vampire Slayer“ wurde auf diesem Weg unter Nutzerinnen und Nutzern in dem Kurznachrichtendienst eifrig kommentiert.
Doch auch als Geschäftsmodell könnte die „Viewing Party“ Fuß fassen. So bieten schon jetzt YouTube-Stars und bekannte Gaming-Streamer gemeinsame Filmabende per Rabbit an. Das hat allerdings seinen Preis: Auf Plattformen wie Patreon muss man sich erst das Recht erkaufen, sich „gemeinsam“ mit dem Lieblingsstreamer oder der Lieblingsstreamerin über den Film auszutauschen.
Was Netflix kann, kann der „Tatort“ schon lange
Letztlich ist die „Viewing Party“ ein Stück Fernsehgefühl für die Netflix-Generation. Ziel ist es, einen Freundes- oder Bekanntenkreis auf dem selben Stand zu halten. Per Rabbit und Co. schauen ist die Streamingvariante des „Tatort“-Schauens um 20.15 Uhr: Wer nicht gleich zum Telefonhörer greift, um das Geschehen zu kommentieren, kann sich zumindest am nächsten Tag darüber austauschen.
So viel zeitliche Freiheit die Streamingdienste auch bieten – das gleichzeitige Fernseherlebnis wird schnell zum Hürdenlauf. Das bemängelt auch der „Guardian“: Einen gemeinsamen Termin finden, der für alle Interessierten passt, gutes Timing, damit niemand der Handlung voraus ist und Multitasking, um gleichzeitig schauen und sich austauschen zu können. Bleibt am Ende immer noch der „Tatort“: Die Terminsuche übernimmt in dem Fall die Fernsehzeitschrift, das Timing der Sender. Und wer aufs Multitasking nicht verzichten will: Auf Twitter werden die Folgen stets heftig diskutiert.