Vor knapp einem Jahr, am 16. Dezember um 16.00 Uhr, hatten die beiden Bundesobmänner auf dem Wiener Kahlenberg erste inhaltliche Details zum Koalitionspakt und das künftige Regierungsteam präsentiert. Man wolle Österreich besser machen, sagte ÖVP-Chef Kurz damals. Weniger Regeln und Regulierungen solle es geben, es solle aber auch ein Land der Vielfalt sein und Grundwerte haben, die für alle gelten und von allen eingehalten werden. „Die Chemie stimmt“, so FPÖ-Chef Strache damals. Man könne nicht alles anders machen, „aber vieles besser“.
Ein Jahr später betonte Kurz bei der Pressekonferenz, dass Österreich angesichts der weltweiten Krisen weiter eine „Insel der Seligen“ sei. Aber der Wettbewerb im 21. Jahrhundert sei hart, „einige Länder holen uns ein, andere überholen uns“, sagte Kurz. Er sei mit dem Versprechen an die Spitze des Landes gekommen, Österreich nach vorn zu bringen. Jeder sollte sich selbst entfalten können und auf Sozialleistungen zurückgreifen können, wenn man sie benötige. Laut Kurz hat man das auch geschafft.
Kurz: „Trendwende geschafft“
So habe man etwa nach der „Schuldenpolitik“ der vergangenen Jahre eine „Trendwende“ eingeleitet. Kurz verwies auf das ausgeglichene Budget für das Jahr 2019. Auch die Reform der Rot-Weiß-Rot-Card, die Entlastung im Tourismus und der Familienbonus, „der die größte Familienentlastung in der Geschichte der Zweiten Republik darstellt“, seien Meilensteine der Regierung. Der Kanzler unterstrich, dass auch die Reformen im Bildungsbereich, bei den Sozialversicherungsträgern und beim Arbeitszeitgesetz wichtige Errungenschaften seien.
Neben den innenpolitischen Themen stand vor allem im zweiten Halbjahr die EU-Ratspräsidentschaft Österreichs im Mittelpunkt. „Der ‚Brexit‘ ist das große Thema“, so Kurz. Der Austritt Großbritanniens sollte ordentlich und organisiert über die Bühne gehen. Ebenfalls im Fokus des Ratsvorsitzes seien der Schutz der Außengrenzen und der Westbalkan, „eine Region, die uns sehr am Herzen liegt“.
Auf die Frage einer Journalistin, ob man das Ziel in Sachen Migration erreicht habe, wiederholte Kurz, dass das Hauptaugenmerk auf dem „Brexit“ lag. Aber langsam würden einzelne Maßnahmen im Bereich der Migration umgesetzt. So gebe es heute „klare Regeln für NGOs im Mittelmeer“. Man bekenne sich auch zum Außengrenzschutz. „Ich gebe zu, dass die Zahl der Flüchtlinge seit dem Jahr 2015 gesunken ist. Wir werden auch weiter dafür einstehen, dass die Zahl der Toten im Mittelmeer gesenkt wird“, so der Kanzler, der auf den Ende Dezember stattfindenden Afrikagipfel verwies.
Analyse von Hans Bürger (ORF)
ORF-Innenpolitikressortleiter Hans Bürger analysiert die Zurückhaltung der internationalen Journalisten, die demonstrative Harmonie der Regierungsspitze und den kommenden EU-Wahlkampf.
Drei Schwerpunkte für das Jahr 2019
Der Bundeskanzler bedankte sich bei der Bevölkerung für die Unterstützung in den vergangenen Monaten. „Mir persönlich gibt das sehr viel Kraft“, so Kurz. Der „rot-weiße-rote Reformzug“ gehe aber weiter. Drei Schwerpunkt werde es im kommenden Jahr geben: zum einen eine Steuerentlastung, die vor allem kleine und mittlere Einkommen betreffen werde. Bei einer Regierungsklausur Mitte Jänner würden die Vorbereitungen dafür abgeschlossen, dann sollen die Ziele der Steuerreform 2020 festgelegt werden, bis 15. April der dazu passende Budgetrahmen stehen und am 15. Oktober das entsprechende Doppelbudget beschlossen werden.
Zum anderen die Pflegereform, damit Österreich für die steigende Zahl an Pflegebedürftigen „gerüstet“ ist. Im Ministerrat am Mittwoch werde es den ersten „Startschuss“ des „Masterplans Pflegereform" geben. Als dritten Schwerpunkt kündigte Kurz die Digitalisierung an. „Das Jahr 2019 wird für mich das Jahr der Digitalisierung sein“, so der Kanzler. Man wolle eine „moderne Verwaltung“, um mit der Bevölkerung kommunizieren zu können. Außerdem sollen der 5G-Ausbau forciert und das „digitale Klassenzimmer“ implementiert werden. „Die Digitalisierung ist eine große Chance für den ländlichen Raum“, so der Kanzler, der beispielsweise die Pendler ansprechen will.
Rede von Bundeskanzler Kurz
Bundeskanzler Sebastian Kurz spricht unter anderem über die Migrationspolitik der Regierung, die Steuerreform und die Schwerpunkte des österreichischen EU-Ratsvorsitzes.
Außenpolitisch, sagte Kurz, müssten die Spannungen mit Russland abgebaut und der Ukraine-Konflikt deeskaliert werden. Außerdem seien das Bevölkerungswachstum in Afrika und der wirtschaftliche Aufstieg Chinas Themen im kommenden Jahr. Auch Richtung USA schielte der Bundeskanzler, der für einen „fairen Freihandel“ plädierte, der nicht wieder infrage gestellt wird. Eine Frage nach der Klimapolitik wurde von Kurz nicht beantwortet.
Harmonie über alles
Vizekanzler Strache beschwor in seinen Ausführungen das harmonische Klima in der Regierung – man arbeite professionell und ohne Zwietracht zusammen und habe so schon weit mehr zustande gebracht als Regierungen zuvor. Man sei gewählt, um zu regieren und zu reformieren – „und wir werden dem Vertrauen gerecht“. Die Opposition, insbesondere die Sozialdemokratie, agiere mit falschen Behauptungen und Unterstellungen, schade sich damit letztlich aber nur selber.
Breiten Raum gab Strache dem Wohlergehen älterer Menschen. Es sei ein Skandal, dass Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet hätten, nicht genügend zum Leben hätten. Künftig werde es für alle, die zumindest 40 Jahre im Berufsleben standen, eine Mindestpension von 1.200 Euro geben. Auf sein eigenes Ressort kam Strache dann auch zu sprechen: Man arbeite daran, Österreich wieder zu einer Sportnation zu machen, die Menschen für Bewegung zu begeistern und das allgemeine Gesundheitsniveau anzuheben – das sie auch eine sozioökonomische Verantwortung. Jeder präventiv ausgegeben Euro spare spätere Kosten im Gesundheitssystem.
Rede von Vizekanzler Strache
Vizekanzler Heinz-Christian Strache spricht unter anderem über die Zusammenlegung der Sozialversicherungsanstalten, die Reform der Mindestsicherung und die Arbeitszeitflexibilisierung.
In den Mittelpunkt der Regierungspressekonferenz rückten aber auch der niederösterreichische Landesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ) und das umstrittene Asylquartier in Drasenhofen. FPÖ-Chef Strache verteidigte die Maßnahme seines Parteikollegen. Er sah den Tatbestand, dass jugendliche Asylwerber in Drasenhofen eingesperrt wurden, nicht ausreichend bewiesen. Kurz verwies nach zahlreichen Fragen zu dem Thema auf ein laufendes Gepräch zwischen Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) und Waldhäusl: „Wenn es Sie wirklich interessiert, wie die Sache weitergeht, müssen wir alle diesen Termin abwarten.“
NEOS: „Viel Lärm um nichts“
Die Opposition zeigte sich von der zufriedenen Regierungsbilanz nicht beeindruckt. „Viel Lärm um nichts“, sagte NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger. Die Regierung setze statt auf Reformen auf Spaltung. „Statt echter Reformen gab es vor allem Showpolitik“, so die NEOS-Klubobfrau. Für Bruno Rossmann von Jetzt zeigte das erste Jahr der neuen Regierung, dass es ÖVP und FPÖ vor allem um das Umfärben der Republik, Postenschacher und Klientelpolitik geht. „Dazu kommen ein Totalversagen im Klimaschutz und eine systematische Benachteiligung des unteren Einkommensdrittels.“
Auch die SPÖ kritisierte die Regierung. Zum ersten Mal werde das Leben vieler in der Phase einer Hochkonjunktur schwerer statt leichter, so SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda. „Für mich gibt es eine klare Messlatte für die Politik: Wurde den Menschen das Leben leichter gemacht oder nicht?“, sagte Drozda.
Kritik kam auch von der Österreichischen Krebshilfe. Krebshilfe-Präsident Paul Sevelda forderte einmal mehr ein Rauchverbot in der Gastronomie. Ein bereits beschlossenes Gesetz dazu wurde ja auf Wunsch der FPÖ wieder aufgehoben.
Die Umweltorganisationen Global 2000, Greenpeace und WWF Österreich monierten, dass das erste Amtsjahr der Bundesregierung von Frontalangriffen auf den Umweltschutz und Versäumnissen im Klimaschutz geprägt gewesen sei. Unter dem Vorwand der Verfahrensbeschleunigung werde Umweltrecht scheibchenweise demontiert. „Das ist ein geradezu fahrlässiger Kurs. Die Bundesregierung riskiert mehr Umweltverschmutzung und Klimaschäden in Österreich“, so Hanna Simons vom WWF Österreich.