Militärparade in Russland
Reuters/Maxim Shemetov
Abrüstungsvertrag

USA stellen Russland Ultimatum

Der Streit über den INF-Vertrag zum Verzicht auf atomare Mittelstreckenraketen zwischen den USA und Russland eskaliert. Die Vereinigten Staaten setzten Russland am Dienstag eine Frist von 60 Tagen, um sich wieder an den 1987 zwischen den USA und der Sowjetunion geschlossenen Vertrag zu halten. Unterstützung für die USA gab es zuvor von der NATO, die Russland erstmals einen klaren Verstoß gegen den Vertrag vorwarf.

Der Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (Intermediate Range Nuclear Forces, INF) verpflichtet beide Seiten zur Abschaffung aller landgestützten ballistischen Raketen und Marschflugkörper mit Reichweiten zwischen 500 und 5.500 Kilometern. Zugleich untersagt er auch die Produktion und Tests solcher Systeme.

Die USA werfen Russland seit Längerem vor, mit der Entwicklung eines Marschflugkörpers mit dem Namen Novator 9M729 (NATO-Code: SSC-8) gegen den Vertrag zu verstoßen. Russland dementiert das und hat im Gegenzug auch den USA schon mehrfach einen Vertragsbruch vorgeworfen. Ein Einlenken Moskaus gilt deswegen als sehr unwahrscheinlich.

US-Außenminister Mike Pompeo und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg
APA/AFP/John Thys
US-Außenminister Mike Pompeo mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg

US-Präsident Donald Trump hatte in diesem Zusammenhang bereits im Oktober erklärt, den INF-Abrüstungsvertrag aufkündigen zu wollen. Nach Angaben von US-Außenminister Mike Pompeo muss sich Russland innerhalb der nun gesetzten Frist wieder an den Vertrag halten, ansonsten sehen sich die Vereinigten Staaten nicht mehr an das Abkommen gebunden.

„Direkte Bedrohung für Europa“

Die USA würden in den kommenden 60 Tagen davon absehen, wieder Raketensysteme zu testen, sagte Pompeo. Danach sähe sich die Regierung in Washington aber gezwungen, den sechsmonatigen Prozess zum Ausstieg aus dem Abkommen zu beginnen, wenn Russland nicht einlenke. Russland habe dem US-Außenminister zufolge große Mengen an SSC-8-Raketen entwickelt.

Die Reichweite dieser Mittelstreckenraketen sind laut Pompeo „eine direkte Bedrohung für Europa“. Nun würden die nächsten Schritte mit den Verbündeten beraten.

NATO-Partner einig: Moskau bricht Abkommen

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte intensive diplomatische Bemühungen an, Russland zu einer Einhaltung des Abkommens zu bewegen. Die NATO hatte Russland kurz zuvor erstmals geschlossen vorgeworfen, mit neuen Marschflugkörpern gegen den INF-Vertrag zu verstoßen. Man rufe Russland auf, sofort und nachweisbar wieder volle Vertragstreue herzustellen, sagte Stoltenberg dazu.

Mit der NATO-Erklärung soll Russland eine letzte Gelegenheit erhalten, die vermutete Missachtung der Regeln des Vertrags zu beenden. Wenn es das nicht tut, könnte auf Bündnisebene zum Beispiel ein Ausbau der Raketenabwehr in Europa beschlossen werden. Auch der von Pompeo angedrohte Ausstieg aus einem der maßgeblichen Abrüstungsverträge aus der Zeit des Kalten Krieges wäre aus Beobachtersicht dann wohl kaum noch zu verhindern.

„Wollen keine neue Aufrüstungsspirale“

NATO-Partner befürchten, dass das ein fatales Signal wäre und ein neues Wettrüsten auslösen könnte. Sie wollen deswegen alle Möglichkeiten nutzen, um das Abkommen doch noch zu retten. „Wir denken, dass es klug ist, weiter zu versuchen, den Vertrag zu erhalten und Russland zur Vernunft zu bringen“, sagte der niederländische Außenminister Stef Blok.

Der deutsche Außenminister Heiko Maas wertete es unterdessen bereits als Erfolg, dass die USA den Vertrag am Dienstag noch nicht gekündigt hätten. Man wolle nun versuchen, das Thema internationale Rüstungskontrolle wieder auf die internationale Tagesordnung setzen, sagte Maas, der gleichzeitig betonte: „Wir wollen keine neue Aufrüstungsspirale in Europa – wir wollen schon gar keine neue nukleare Aufrüstungsspirale.“

„Kein Land, dem man ein Ultimatum stellt“

Das russische Außenministerium bestritt in einer ersten Reaktion weiter den Vorwurf, gegen den INF-Vertrag zu verstoßen. „Russland hält sich strikt an die Bestimmungen des Vertrages, und die amerikanische Seite ist sich dessen bewusst“, sagte dazu laut Reuters die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa.

Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses in der russischen Staatsduma, Wladimir Schamano, machte deutlich, dass Russland nicht die Absicht habe, auf die von den USA gestellte Forderung einzugehen. „Russland ist kein Land, dem man ein Ultimatum stellt“, sagte der Politiker. Auch Moskau habe an die USA Forderungen gestellt und keine Reaktion erhalten. „Wir werden deshalb nicht auf diese vermeintlichen Anschuldigungen antworten.“

Neues Abkommen als eigentliches US-Ziel?

In europäischen Militärkreisen wird unterdessen vermutet, dass auch die USA kein großes Interesse an einem Erhalt des Vertrags haben. Er verpflichtet nämlich nur Russland und sie selbst zum Verzicht auf die atomaren Mittelstreckenwaffen. Andere aufstrebende Militärmächte wie China können sie weiter entwickeln.

Ziel der USA könnte es deswegen sein, das INF-Abkommen durch einen neuen multilateralen Vertrag zu ersetzen. Alternativ könnten sie zur Abschreckung von Gegnern selbst neue landgestützte Mittelstreckensysteme bauen.