Szene des Films „Astrid“
Filmladen Filmverleih
„Astrid“

Als Lindgren zur Rebellin wurde

Pernille Fischer Christensen hat Astrid Lindgrens Jahre des Erwachsenwerdens verfilmt – gleichsam die Vertreibung einer Teenager-Pippi aus dem Bullerbü ihrer Kindheit. Selten sieht man im Kino ein Drama, das so viel Lebensfreude und Emanzipationsdrang in sich vereint. In der Rolle der jungen Lindgren überzeugt die Entdeckung Alba August.

Viel lässt sich diskutieren darüber, welche pädagogischen Konzepte am ehesten zum Ziel führen. Und darüber, was das Ziel ist – funktionierende Rädchen für das System zu produzieren, selbstverliebte Egomaninnen oder doch glücksfähige, mitfühlende Menschen, die aber „Minderleister“ sind? Der Film erinnert an eine Weisheit, die über all diese Überlegungen erhaben ist: völlig wurst, was, aber es kommt jedenfalls etwas Gutes dabei raus, wenn man ganz viel Liebe reinsteckt.

Wer Lindgrens „Bullerbü“-Reihe gelesen hat, der kennt das Grundgefühl ihrer Kindheit, das sie stets schlicht als „glücklich“ beschrieb. Eine Kindheit ohne Optimierungszwang: viel frische Luft, Flausen im Kopf, eine Rasselbande von Geschwistern, Freundinnen und Freunden, die (meistens) zusammenhält, Eltern, deren Herz selbst dann vor Liebe übergeht, wenn sie böse schimpfen müssen – und das müssen sie oft.

Fotostrecke mit 8 Bildern

Szene des Films „Astrid“
Filmladen Filmverleih
Alba August (l.) verkörpert die junge Astrid Lindgren, Isak Lydik Radion, einen kleinen Buben
Szene des Films „Astrid“
Filmladen Filmverleih
Henrik Rafaelsen in der Rolle des Chefredakteurs der der jungen Astrid eine Chance gibt
Szene des Films „Astrid“
Filmladen Filmverleih
Astrid muss eine schwierige Entscheidung treffen
Szene des Films „Astrid“
Filmladen Filmverleih
Die junge Frau nimmt ihr Leben selbst in die Hand – allen Widerständen zum Trotz
Szene des Films „Astrid“
Filmladen Filmverleih
Sich nichts gefallen lassen und von Generation zu Generation Liebe weitergeben: das Lindgren-Prinzip
Szene des Films „Astrid“
Filmladen Filmverleih
Als Mutter (Maria Bonnevie) eines notorischen Sturschädels hat man es nicht leicht
Szene des Films „Astrid“
Filmladen Filmverleih
Der Film befeuert nicht nur jegliche Emanzipationsbestrebungen des Publikums, er ist einfach schön
Szene des Films „Astrid“
Filmladen Filmverleih
Die junge Lindgren scheint immer genau gewusst zu haben, was sie will. Links im Bild Björn Gustafsson.

Karrierestart als Volontärin

Was bei dieser Erziehung im Fall von Lindgren herauskam: ein grundsätzlich gut gelaunter Sturschädel mit nicht zu bändigender Lebensenergie, wie man ihn wiederum aus den Pippi-Langstrumpf-Büchern kennt. Dargestellt wird dieses Mädchen in ihren Jahren des Erwachsenwerdens, als Teenager und Twen von der 25-jährigen dänischen Schauspielerin Alba August. Mehr brauchte es eigentlich nicht: das oben beschriebene Grundgefühl und August, die es strahlend, glänzend verkörpert.

Aber der Film ist mehr, er erzählt – um bei dem Bild zu bleiben – die Vertreibung Pippis aus Bullerbü. Am Anfang wird die Information eingeblendet, dass das Drehbuch von Lindgrens Leben „inspiriert“ sei, aber eigentlich hält es sich recht genau an die Eckdaten der Biografie. Lindgren durfte – ungewöhnlich für eine nicht sehr wohlhabende Familie – eine weiterführende Schule besuchen und wurde – ebenso ungewöhnlich – schon im Alter von 18 als Volontärin bei einer Lokalzeitschrift engagiert.

Den Konventionen trotzen

(Für alle, die dem Rest der Filmhandlung unbedarft folgen wollen: Achtung, in diesem Absatz werden spannende Entwicklungen vorweggenommen, danach nicht mehr.) Und dann: Astrid wird vom viel älteren Chefredakteur schwanger. Sie will das Kind bekommen, koste es, was es wolle – und es kostet viel. Heimlich verlässt sie Schweden und bringt ihren Sohn in Dänemark auf die Welt, wo sie ihn zunächst einer Pflegemutter überlässt. Ihre eigene Mutter ist panisch – sie fürchtet, wegen der mangelnden konservativen Moral ihrer Tochter das Lehen des Pfarrers zu verlieren, auf das die Familie angewiesen ist. Astrids Vater laviert herum. Unterstützung ist da keine.

Also muss Lindgren ihre Frau stehen und, den Konventionen der Zeit zum Trotz, ihren Weg gehen, beruflich und privat. Hier wächst der Film über das Einzelschicksal hinaus. Die Regeln waren starr, ganz besonders für eine junge Frau. Lindgrens Mutter wurde aufgerieben zwischen ihrer Liebe zur Tochter und dem Drang, sie zu disziplinieren, Geschehenes ungeschehen zu machen, um die heile Welt nur ja nicht zu erschüttern.

„Immer nur zuhören“

Alle, die Lindgrens Biografie nicht genau kennen, werden gebannt der ungemein packenden Handlung folgen. Aber auch für jene, die schon wissen, wie die Sache ausgeht, ist der Film ein Gewinn, was neben den schön-kitschigen Schweden-Bildern nicht zuletzt an August liegt, die entweder eine schauspielerische Meisterleistung erbringt oder vom Typ her so passgenau gecastet wurde, dass es eine Freude ist. Oder beides. Sie zeigt als Astrid: So stark kann ein Mensch sein, auch wenn ihm von der Gesellschaft keine starke Rolle zugewiesen wurde.

Die Geschichte Astrid Lindgrens

Mit den Geschichten von Pippi Langstrumpf wurde die schwedische Autorin Astrid Lindgren einst bekannt. Nun kommt der Film „Astrid“ über Lindgrens Jugend in die Kinos.

August hat ihre eigene Emanzipationsgeschichte hinter sich, vielleicht weniger spektakulär, aber immerhin sehr sympathisch. Gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ sagte sie über ihren normalen Schulunterricht, dass ihr das „Immer-nur-Zuhören und Mitschreiben und so“ ungemein schwergefallen sei. Deshalb habe sie an eine Schule mit Theaterschwerpunkt gewechselt.

Eine Heldin auch für die heutige Zeit

Dieser Schulwechsel sei ihre Rettung gewesen: „Körperlichkeit, Interaktion, all diese Dinge lagen mir deutlich mehr als das Stillsitzen. (…) So wuchs mein Selbstbewusstsein – und plötzlich klappte es auch mit den anderen Schulfächern besser.“ Dass sie nun den vorläufigen Höhepunkt ihrer jungen Karriere ausgerechnet als Astrid Lindgren erreicht, passt perfekt: „Man könnte wohl sagen, dass sie für mich so etwas wie eine Heldin oder sogar ein Idol war.“

Astrid, ob die im Film oder die echte, eignet sich jedenfalls hervorragend als Heldin für junge Menschen, die man unbedingt ins Kino schleppen sollte, damit sie sich anstecken mit dem selbstbestimmten Pippi-Virus, von dem man sich wünscht, er würde sich rasch ausbreiten in ganz Europa. Dann brauchte es vor lauter starken Individuen auch keine „starken Männer“ mehr.