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Reuters/Ralph Orlowski
Offenes Rennen

CDU entscheidet über Merkel-Nachfolge

Tag der Entscheidung bei der CDU: Am Freitag wird beim Parteitag in Hamburg der oder die neue Vorsitzende gewählt. Nach 18 Jahren räumt Angela Merkel den Platz an der Parteispitze. Allen drei derzeit bekannten Kandidaten – Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz und auch Jens Spahn – werden Chancen auf den CDU-Vorsitz eingeräumt. Doch den einen oder anderen könnte die Geschichte einholen.

Beobachter gehen von einem knappen Rennen aus, der Ausgang der Wahl sei völlig offen, so die Einschätzung. Kramp-Karrenbauer führt laut ARD-„Deutschlandtrend“ zwar bei den CDU-Wählern, laut „Süddeutscher Zeitung“ gab es im Gegenzug dafür bei den Landesverbänden eine leichte Präferenz für Merz. Spahn gilt als Außenseiter und war in Umfragen und bei den Regionalkonferenzen abgeschlagen, das heiße aber gar nichts, meint die „Süddeutsche“ – bei einem Parteitag sei die Stimmung noch mal anders. CDU-intern wird allerdings mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Merz und Kramp-Karrenbauer gerechnet.

Das Interesse scheint auf jeden Fall groß: Die drei Kandidaten waren im Vorfeld durch die deutschen Bundesländer getourt und hatten insgesamt acht Regionalkonferenzen besucht. Die Stimmung war laut „Süddeutscher“ gut. Fast 4.000 Menschen kamen laut CDU zur Konferenz in Nordrhein-Westfalen, rund 2.000 zu der in Baden-Württemberg – die zwei Bundesländer stellen die meisten der 1.001 Delegierten. In beiden Bundesländern soll die Sympathie mehr in Richtung Merz gehen.

Deutscher Gesundheitsminister Jens Spahn, Generalsekretärin der CDU Annegret Kramp-Karrenbauer und CDU-Politiker Friedrich Merz
APA/AFP/John Macdougall
Friedrich Merz, Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn (v. l. n. r.) stellen sich der Wahl zum CDU-Parteivorsitzenden

Bei der geheimen Abstimmung sind die Delegierten nicht gebunden, die insgesamt 17 Landesverbände geben ihren Mitgliedern keine Wahlempfehlung. Laut CDU-Bundesgeschäftsführer Klaus Schüler sollen noch weitere 15 weitere CDU-Mitglieder Bereitschaft bekundet haben, als Vorsitzende zu kandidieren. Keiner davon habe aber bisher die notwendige Unterstützung aus der Partei vorweisen können. Vor der Wahl wird Merkel ihre letzte Rede als CDU-Vorsitzende halten, schon am Freitag könnte laut Schüler ihre Nachfolge feststehen.

Unterstützung von ganz oben für Merz

In den Tagen vor dem Parteitag mehrten sich die Wahlempfehlungen prominenter CDU-Vertreter für die bereits bekannten Kandidaten. So sprach sich neben EU-Kommissar Günther Oettinger auch die graue Eminenz der CDU, Wolfang Schäuble, für Merz als neuen Parteichef aus – und sorgte damit für einigen Wirbel. Wirtschaftsminister Peter Altmaier sah darin gar einen „Dammbruch“ – er stellte sich in Reaktion darauf offiziell hinter Kramp-Karrenbauer.

Birgit Schwarz (ORF) analysiert CDU-Ausgangslage

Die CDU-Spitze wählt am Freitag ihre neue Parteivorsitzende bzw. ihren neuen Parteivorsitzenden. ORF-Korrespondentin Birgit Schwarz analysiert die Ausgangslage.

Der wirtschaftsliberale Politikwiedereinsteiger Merz kann auch auf die Unterstützung des Wirtschaftsflügels der CDU sowie der deutschen Mittelstandsvereinigung (MIT) und der konservativen Werte-Union setzen. Merz soll laut Umfragen bei den Männern der CDU stärker punkten – die meisten CDU-Delegierten sind Männer. Obwohl die Junge Union (JU) keine offizielle Wahlempfehlung ausgesprochen hat, gilt es als wahrscheinlich, dass auch die 111 JU-Mitglieder mehrheitlich für Merz sind.

CDU-Frauen für Kramp-Karrenbauer

Die langjährige saarländische Ministerpräsidentin und amtierende CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer wird von der Frauen-Union unterstützt, die sich als erste Organisation der Partei hinter Kramp-Karrenbauer gestellt hat. Doch auch der Arbeitnehmerflügel der CDU und die Kommunalpolitischen Vereinigung (KPV) haben sich für sie ausgesprochen. 461 Delegierte sind Mitglied der KPV, was allerdings nichts über deren finales Abstimmungsverhalten aussagt – es gibt Mehrfachmitgliedschaften, wie mit der MIT und der Jungen Union.

Deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Generalsekretärin der CDU Annegret Kramp-Karrenbauer
APA/AFP/John Macdougall
Merkel holte Kramp-Karrenbauer aus dem Saarland nach Berlin

CDU-intern heißt es, je liberaler und nördlicher ein CDU-Landesverband, desto eher gehe die Präferenz Richtung Kramp-Karrenbauer. Dezidiert für sie ausgesprochen haben sich die Ministerpräsidenten des Saarlands und Schleswig-Holsteins. Als tendenzielle Unterstützer gelten zudem Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Kanzleramtschef Helge Braun. Bei ihrem Wechsel vom Saarland nach Berlin galt die als Ministerpräsidentin erfolgreiche Kramp-Karrenbauer als in der gesamten CDU beliebt.

Außenseiter Spahn warnt vor Spaltung

Außenseiter Spahn verteidigte die öffentlichen Wahlempfehlungen für Merz und Kramp-Karrenbauer. Es sei das Recht jedes Delegierten, zu sagen, für wen man stimmen will und warum, so Spahn am Donnerstag gegenüber dem TV-Sender Phoenix. Das gehöre zu solch einem Verfahren dazu, so der deutsche Gesundheitsminister. Entscheidend sei, dass niemand beschädigt werde und die CDU danach noch genauso geschlossen und gut weitermachen könne wie bisher. Beobachter warnen davor, dass die Wahl zwischen dem „Erneurer“ Merz und der Merkel-Vertrauten Kramp-Karrenbauer die CDU spalten könnte.

Deutscher Gesundheitsminister Jens Spahn
AP/Markus Schreiber
Gesundheitsminister Spahn gilt als Außenseiter bei der Wahl

Auch Kramp-Karrenbauer rief am Donnerstag zu Einigkeit auf. „Wichtig ist – und das wissen, glaube ich, alle drei Kandidaten – dass die CDU auch nach der Wahl morgen geschlossen bleibt“, sagte sie im ZDF. Dass Schäuble für Merz Partei ergriffen habe, überrasche sie nicht, er habe schon vorher für ihn Sympathien gezeigt. Zu keiner Prognose ließ sich CSU-Chef Horst Seehofer hinreißen. Auch zu möglichen Favoriten wollte sich der deutsche Innenminister nicht äußern.

Gespanntes Verhältnis zwischen Merkel und Merz

Merkel will zwar den CDU-Vorsitz abgeben, aber weiter Kanzlerin bleiben. Das könnte im Fall einer Wahl von Merz für Friktionen sorgen, dann die Beziehung der beiden gilt als schwierig, seitdem sie 2002 den Fraktionsvorsitz für sich beansprucht hatte. Merz musste seinen Platz räumen und ließ im Anschluss keine Gelegenheit aus, Merkel bei Parteifreunden und Journalisten schlechtzumachen, und schlug Angebote von Merkel für mehr Kooperation aus.

Friedrich Merz und Angela Merkel, nach einem Parteitag der CDU 2001
AP/Eckehard Schulz
Merz und Merkel im Jahr 2001, damals war die Welt noch in Ordnung – bis Merkel den CDU-CSU-Fraktionsvorsitz für sich selbst in Anspruch nahm und Merz daraufhin aus Protest die Politik für die Wirtschaft tauschte

Schäuble hat an der Loyalität von Merz zu Merkel keinen Zweifel. „Ich habe die Entscheidung getroffen, loyal zu Angela Merkel zu stehen. Und Friedrich Merz wird das auch“, sagte er dem Berliner „Tagesspiegel“ (Dienstag-Ausgabe). Merz hatte, nur Minuten nachdem Merkel angekündigt hatte, den CDU-Vorsitz abzugeben, seine Kandidatur verkündet. Schäuble soll die Kandidatur von Merz lange vorbereitet haben.

Merz gilt als Mann der Wirtschaft

Merz muss zudem gegen das Image eines Wirtschaftslobbyisten ankämpfen, das ihm seit Jahren anhaftet. Der Multifunktionär und Netzwerker ist Aufsichtsratsvorsitzender des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock in Deutschland, der gerade wegen der umstrittenen „Cum-Ex“-Geschäfte im Visier von Ermittlungen steht. Er führt weiters unter anderem auch den Aufsichtsrat des Unternehmens WEPA, das etwa Toilettenpapier herstellt. Außerdem leitet er das Kontrollgremium des Flughafens Köln-Bonn und ist Aufsichtsratsmitglied bei der Privatbank HSBC Deutschland.

Über 200 Anträge

Neben der Wahl der CDU-Spitze wird beim Parteitag auch über 200 Anträge debattiert werden. Dazu zählt auch die Unterstützung des UNO-Migrationspakts.

Der Ex-Politiker sitzt zudem im Verwaltungsrat des Schweizer Zugsbauers und Siemens-Konkurrenten Stadler Rail. Seit Anfang Jänner 2018 ist Merz „Brexit“-Beauftragter der CDU-geführten Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. Er soll außerdem die Beziehungen zum schwierigen Partner USA unter Präsident Donald Trump stärken. Seine Aufsichtsratsmandate will er dem Vernehmen nach niederlegen, sollte er im Dezember zum neuen CDU-Vorsitzenden gewählt werden.

Merkel gibt sich gelassen

Merkel selbst zeigte sich am Donnerstag bei einem Rundgang durch die Parteitagshalle gelassen. Auf die Delegierten komme bei der Wahl „eine wichtige Aufgabe zu, damit auch die Weichen für die zukünftige Führungsmannschaft zu stellen“. Sie freue sich aber auf den Tag und sei „wie alle anderen auch natürlich gespannt. Das ist Demokratie pur, wenn Auswahl besteht.“ Sie machte erneut klar, dass sie gewillt sei, mit einer oder einem neuen Vorsitzenden als Kanzlerin weiterzuarbeiten.

Deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel
APA/AFP/John Macdougall
Merkel bei der Inspektion der Parteitagshalle am Donnerstag – sie wird am Freitag ihre letzte Rede als Vorsitzende halten

Es sei nun der Zeitpunkt gekommen, wo für die Bundestagswahl die Vorbereitungen getroffen werden müssten „in Zeiten, die sich sehr stark ändern“. Sie selbst sei „dankbar für diese Zeit, die hinter mir liegt“, und freue sich, „als Bundeskanzlerin noch weiter arbeiten zu können“. Auf die Frage, ob sie eine Spaltung der Partei fürchte, sagte sie, es sei gut, „dass wir in einer Demokratie leben, dass wir Meinungsfreiheit, Pressefreiheit kennen“. Und in diesem Rahmen habe sich auch alles abgespielt.