Vermummte Polizisten bei einer Razzia in einem Lokal in Duisburg
APA/AFP/dpa/Christoph Reichwein
Trotz Großrazzien

’Ndrangheta „weiter stark und gefährlich“

Zwei Jahre haben die Behörden den Schlag gegen die italienische Mafia-Organisation ’Ndrangheta geplant. Mittwochfrüh schlugen sie schließlich in vier europäischen Ländern und Südamerika zu. Dutzende Verdächtige wurden verhaftet, Tausende Kilo Drogen sichergestellt. Doch die Ermittler warnten zugleich: Die Festnahmen seien für die ’Ndrangheta „nichts“. Es brauchte Tausende Festnahmen mehr.

Die erste Bilanz der Ermittler Mittwochmittag klang eindrücklich: Bei großangelegten Razzien mit Hunderten Beamten in Deutschland, Italien, Belgien und den Niederlanden wurden 84 Verdächtige verhaftete. An die 4.000 Kilogramm Kokain, 140 Kilogramm Ecstasy-Tabletten sowie rund zwei Millionen Euro wurden beschlagnahmt. Bei einer Pressekonferenz der europäischen Justizbehörde Eurojust in Den Haag lobten die Beamten die internationale Zusammenarbeit, die den konzertierten Schlag erst möglich gemacht habe.

Zugleich relativierten die Ermittler aber: Italiens Anti-Mafia-Staatsanwalt Federico Cafiero de Raho wies etwa darauf hin, dass die ’Ndrangheta weiterhin stark und gefährlich sei: „Wenn wir glauben, wir haben die ’Ndrangheta ausgehoben, dann täuschen wir uns.“ Laut den italienischen Ermittlern sind die Festnahmen „für die ’Ndrangheta nichts“. Die Festnahmen müssten in die Tausende und das beschlagnahmte Geld in die Milliarden Euro gehen.

Pressekonferenz in Den Haag zur Operation Pollino
AP/Peter Dejong
Die Ermittler aus vier europäischen Ländern waren an Planung und Durchführung der Operation beteiligt

Grenzüberschreitende Ermittlungen

Dennoch waren die Beamten mit der Operation unter dem Codenamen „Pollino“ zufrieden. Eurojust-Vizepräsident Filippo Spiezia sprach von einem „außerordentlichen Erfolg“. Möglich sei das durch die Bildung eines gemeinsamen grenzüberschreitenden Ermittlerteams gewesen, das seine Arbeit bereits Anfang 2016 aufgenommen habe. Nach Angaben des niederländischen Staatsanwalts Fred Westerbeke begannen die Ermittlungen, nachdem bei zwei italienischen Restaurants im Süden der Niederlande der Verdacht von Geldwäsche aufgekommen war. Dabei seien kriminelle Verbindungen nach Deutschland und Kalabrien – der Heimat der ’Ndrangheta – entdeckt worden.

Weltweit aktiv

Die ’Ndrangheta hat ihren Ursprung im süditalienischen Kalabrien, ihre kriminellen Machenschaften aber längst auf ganz Italien und ins Ausland ausgeweitet. Nach Angaben der italienischen Behörden ist sie die einzige Mafia-Organisation, die auf allen Kontinenten präsent ist.

Allein in Deutschland seien bis zum Beginn der Pressekonferenz gegen Mittag 14 Verdächtige in Gewahrsam genommen worden, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt von Duisburg, Horst Bien. Es sei unter anderem wegen Drogenhandels, Geldwäsche und Mitgliedschaft in einer ausländischen kriminellen Organisation ermittelt worden. 65 Razzien wurden laut Bien durchgeführt. Gegen 47 Beschuldigte werde in einem laufenden Verfahren ermittelt. Allein in Deutschland seien 440 Beamte im Einsatz gewesen, sagte Christian Hoppe, Leitender Kriminaldirektor des deutschen Bundeskriminalamts (BKA).

„’Ndrangheta in Deutschland angekommen“

Hoppe wies zugleich darauf hin, dass die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen seien. „Wir haben dem Netzwerk der Mafia ein Netzwerk der Strafverfolgungsbehörden entgegengesetzt. Wir werden das intensiv weiter fortsetzen.“ Denn: „Die ’Ndrangheta ist in Deutschland angekommen“, so der BKA-Direktor. Mit den Einnahmen aus dem Drogenhandel würden vor allem Restaurants erworben. Auch bei dem nun festgenommenen mutmaßlichen Haupttäter in Deutschland soll es sich laut offiziellen Angaben um einen Lokalbesitzer aus Pulheim bei Köln handeln.

Vermummte Polizisten bei einer Razzia in einem Lokal in Duisburg
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Zahlreiche Lokale in Deutschland sollen in der Hand der Mafia sein

Ermittler in Italien warnten bereits länger davor, dass die ’Ndrangheta ein wichtiges Standbein in Deutschland gebildet habe. Im Sommer erklärte die nationale Anti-Mafia-Behörde, dass die kalabrische Mafia in Deutschland ähnliche Strukturen aufgebaut habe wie in ihrer Heimat. Was auch bedeutet, dass Politik und Wirtschaft akut gefährdet sind, von der Mafia infiltriert zu werden.

Bereits 2007 war deutlich geworden, dass Deutschland wohl mehr ist als nur Drogenabsatzmarkt und Rückzugsgebiet für Mafiosi, denen es in ihrer Heimat zu brenzlig geworden ist. In dem Jahr erreichte die Fehde zweier Mafia-Familien in Duisburg im Ruhrgebiet einen blutigen Höhepunkt – sechs Menschen wurden erschossen. Ein Streit zwischen dem Pelle-Vottari-Clan und dem Strangio-Nirta-Clan war der Auslöser. Das Blutbad war zugleich eine Art Betriebsunfall für die Mafia, die sonst sehr darauf achtet, unsichtbar zu bleiben, weil das besser für das Geschäft ist.

Vermehrt Häfen in Nordeuropa genutzt

Laut den italienischen Behörden benützt die ’Ndrangheta vermehrt nordeuropäische Häfen, da diese nicht so stark kontrolliert würden. Dank der weit verzweigten Verbindungen der ’Ndrangheta seien Drogen in die Häfen von Rotterdam in den Niederlanden und Antwerpen in Belgien geschmuggelt und von dort in ganz Europa weiterverkauft worden. Westerbeke sagte, es habe auch Razzien in Suriname gegeben, einer früheren niederländischen Kolonie in Südamerika.

In einem Hafen kamen auch die deutschen Ermittler auf die Spur der Mafia-Mitglieder. Im britischen Fährhafen Harwich sei vor zwei Jahren ein präparierter Pferdetransporter sichergestellt worden. In ihm fanden die Ermittler große Mengen Kokain. Den mutmaßlichen Mafiosi seien bisher mindestens 23 solcher Transporte von jeweils 80 Kilogramm Kokain aus den Niederlanden nach England zur Last gelegt worden, teilte die Kölner Polizei mit.