Literaturkritiker |Ijoma Mangold
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Ijoma Mangold

Polternd gegen Diskriminierung

Fremdheit trotz völliger Anpassung – davon weiß Ijoma Mangold zu erzählen: Der Literaturchef der „Zeit“, geboren als Sohn einer Deutschen und eines Nigerianers, referierte im Dezember für den Integrationsfonds über seinen Alltag als „anderer“. ORF.at sprach mit ihm über Integration, das Kopftuchverbot und darüber, warum er „prophylaktisch“ ein pompöses, polterndes Auftreten an den Tag legt.

Von Deborah Feldmans Roman über ihren Ausbruch aus einer ultraorthodoxen Gemeinde über Natascha Wodins Geschichte als Tochter ehemaliger Zwangsarbeiter bis hin zu Mohamed Amjahids „Unter Weißen“ über das Leben in der deutschen Mehrheitsgesellschaft: Wenn Autorinnen und Autoren ihr eigenes Leben schreibend erkunden, dann sind es oft dramatische, manches Mal traumatische Erlebnisse, mit denen sie Lesende in den Bann schlagen.

Anders „Das deutsche Krokodil“, mit dem Ijoma Mangold in Österreich zu Gast war: Unter diesen Publikationen ist die Lebenserzählung des renommierten Literaturkritikers wahrscheinlich das undramatischste, alltäglichste und damit, wenn man so will, vielleicht auch das außergewöhnlichste Buch. Es schlägt nämlich nicht in das Fach des „literarisch sehr breit bewirtschafteten“ Genres der Opfergeschichte, wie Mangold im Interview betont.

Der im Vorjahr erschienene Bestseller erzählt die Geschichte eines gelungenen Lebens – die Geschichte einer Suche nach der eigenen Identität, von der Beschäftigung mit Blutsverwandtschaft und vor allem mit der Frage, was es heißt, in den 70er und 80er Jahren in einem westdeutschen Örtchen zu leben, wenn man eine dunklere Haut und krausere Haare hat als die Mehrheitsgesellschaft.

Mangold wächst in Dossenheim auf als Sohn einer Alleinerzieherin, sein Vater, ein Medizinstudent, geht bald nach seiner Geburt nach Nigeria zurück. Die afrikanischen Wurzeln, sie sind für den „Jungen“, wie Ijoma Mangold seinen auktorialen Erzähler nennt, nur begrenzt eine Bürde: Das in einem behüteten und bildungsbürgerlichen Umfeld aufwachsende Kind macht, wie Mangold im Interview bestätigt, kaum „buchstäbliche Diskriminierungserfahrungen“ – und ist doch grundlegend damit konfrontiert, anders zu sein.

Sprache und Habitus als Waffe

Während manche seine „Exotik“ verklären, fragen andere, ob er nicht „deutscher als deutsch“, also überassimiliert sei: Fast schon übermäßig begeistert sich der Teenager für Richard Wagner, Thomas Mann, die Preußen und Richard Strauss, also für klassisch deutsche Themen. Die Frage nach einer Überassimilation verneint Mangold im Interview („dass die Tatsache des fremden Blutes schon allein assimilierungsbedürftig ist, wäre eine rein rassistische These“), er berichtet aber erstaunlich offen über das, was er selbst „Überkompensation“ nennt.

Buchcover
Rowohlt Verlag

Ijoma Mangold: Das deutsche Krokodil. Meine Geschichte. Rowohlt. 352 Seiten, 20,60 Euro (gebundene Ausgabe), 12,40 Euro (Taschenbuch).

„Ich bin jemand, der beispielsweise sehr gerne in gute Restaurants geht. Wenn Sie ein Gourmetrestaurant betreten und Sie sehen auch nur halbafrikanisch aus, dann könnte es Ihnen theoretisch sehr leicht passieren, dass Sie der Kellner in die Küche schickt, weil er Sie für den Spüler hält.“ Was Mangold nie passiert ist, „aber ich lebte in der Alarmbereitschaft, es könnte passieren. Folglich hab ich mir einen Habitus zugelegt, der so pompös in meinem Auftreten ist, dass sicher kein Kellner auf diese Idee kommt.“ Eine Strategie, die ihre Wirkung zeigt – und die ihn außerdem zu einer markanten Figur des Literaturbetriebs gemacht hat, mit seinem dandyhaften, bürgerlich angehauchten und doch lässigen Erscheinungsbild.

Und da ist nicht zuletzt eine zweite, noch augenfälligere Waffe gegen vorschnelle Verurteilungen – sein, wie er im Buch ein wenig augenzwinkernd festhält, „grammatisch wie artikulatorisch furchterregend gestochenes Hochdeutsch (mit Neigung zu gewissen Altertümlichkeiten)“, das auch im Interview hervorblitzt.

„Angst ist ein schlechter Ratgeber“

Ob es jetzt dem Distinktionsgewinn dient oder nicht: Mangolds lustvoller Sprachgebrauch, seine Pointierungen und analytisch scharfsinnigen Beobachtungen machen „Das deutsche Krokodil“ jedenfalls zu einer genüsslichen und auch erhellenden Lektüre. Im Interview zeigt der Liberalkonservative, wie Mangold sich selbst nennt, dagegen nur begrenzt Lust an der Positionierung, wenn es um Fragen von Integration und Identität geht. Mangold bleibt gerne abwägend: „Ich finde es seltsam, dass man alles werten muss.“

So hat er beispielsweise zur Frage nach Kopftüchern in Schulen keine Meinung („eine zwiespältige, ambivalente und komplexe Angelegenheit“) und hält #metoo und andere Berichte von Diskriminierungserfahrungen zwar für wichtig, hat aber gleichzeitig „ein Unbehagen, dass wir heutzutage alle Termini der Anerkennung von Identitäten verhandeln. Weil ich doch eher die Vorstellung einer Bürgergesellschaft habe, wo wir qua unseres Status als Bürger am Gemeinwesen teilhaben und nicht qua unserer gruppenspezifischen Identität.“

„Das deutsche Krokodil“

Dass Mangold neben Besonnenheit auch Zugkräftigkeit schätzt, verrät übrigens auch der raffinierte Titel seiner Autobiografie: Der steht nicht nur für ein Krokodil aus Ebenholz, welches das Fensterbrett seines Elternhauses zierte und an Afrika erinnerte, was dem „Jungen“ früher peinlich war. Das Titel-Krokodil meint auch eine Lokomotive der Deutschen Bahn, die er sich einst sehnlich wünschte – Marke Märklin, ausgestattet mit so starken Motoren, dass sie selbst lange Güterzüge ziehen kann.