Die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer
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Kramp-Karrenbauer

„Allen Flügeln Raum geben“

Die CDU in Deutschland hat Annegret Kramp-Karrenbauer zur neuen Parteichefin gewählt und damit die 18 Jahre währende Ära von Angela Merkel beendet. Die Wahl galt als Richtungsentscheidung. Kramp-Karrenbauer muss nun den Drahtseilakt vollführen, einerseits ihren Mitte-Kurs zu halten und andererseits den konservativen Parteiflügel einzubinden – und die AfD zu bekämpfen.

Die neue CDU-Vorsitzende rechnet nach ihrer Wahl mit keinem Auseinanderdriften der Flügel, sieht es aber als ihre zentrale Aufgabe, den Zusammenhalt zu bewahren. Denn vor dem Parteitag am Freitag in Hamburg war befürchtet worden, dass sich die CDU nach einem ungewöhnlichen innerparteilichen Wahlkampf dreier Spitzenpolitiker um Merkels Nachfolge dauerhaft spalten könnte. Nur 35 Stimmen Vorsprung hatte Kramp-Karrenbauer gegenüber ihrem Gegenkandidaten in der Stichwahl, Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz.

„Ich kann keinen Riss erkennen“, sagte Kramp-Karrenbauer am Freitagabend in der ZDF-Sendung „Was nun?“. Auch ihre Konkurrenten Merz und Gesundheitsminister Jens Span hätten auf dem Parteitag erklärt, der Zusammenhalt sei ihr größtes Ziel. Zugleich habe sie am meisten Respekt vor dieser Herausforderung. Es gehe auch darum, „allen Flügeln Raum zu geben, das ist absolut notwendig, aber das wird keine einfache Aufgabe sein“.

„Team“ soll Parteiarbeit organisieren

Vor allem der konservative Flügel der Partei hatte deutlich gemacht, dass er nur mit Merz die Chance sehe, in der Nach-Merkel-Ära Wähler der AfD zurückzugewinnen. Mit Merz habe sie am Nachmittag verabredet, sich in den nächsten Tagen zusammenzusetzen und seine künftige Rolle zu klären, sagte Kramp-Karrenbauer dem ZDF. Merz selbst forderte direkt nach der Bekanntgabe des Wahlsieges von Kramp-Karrenbauer seine Anhänger auf, künftig die Saarländerin zu unterstützen. Das wurde mit großem Applaus der CDU-Delegierten auf dem Parteitag beantwortet.

Knappes Rennen um CDU-Vorsitz

482 Stimmen für Friedrich Merz – weiter kommt Wahlleiter Daniel Günther im aufbrausenden Jubel nicht, denn damit ist klar: Merz ist Konkurrentin Annegret Kramp-Karrenbauer (517 Stimmen) knapp unterlegen.

Kramp-Karrenbauer kündigte bereits am Freitagabend an, ein „Team“ zu bilden, das die Arbeit der Partei in den kommenden Monaten organisieren solle. Hauptaufgabe sei es, jetzt die Partei zusammenzuhalten. Spahn, der dritte Kandidat im Rennen um den Parteivorsitz, bot ihr die Zusammenarbeit an: „Ich habe immer gesagt: Ja, ich kandidiere für die Führung des Teams. Aber ich möchte in jedem Fall im Team bleiben.“

Traut sich das Kanzleramt zu

Die Wahl war mit Spannung erwartet worden, weil mit dem Chefposten bei der größten deutschen Partei immer auch der Anspruch auf eine spätere Kanzlerkandidatur verbunden wird. Es sei ihre „Herzensangelegenheit“, dafür zu sorgen, dass sich die CDU „unter gleichzeitiger Wahrung staatspolitischer Verantwortung“ nach ihrer Amtszeit neu aufstellen könne, sagte Merkel. Sie appellierte zudem, dass die CDU geschlossen bleiben müsse.

Annegret Kramp-Karrenbauer  und Angela Merkel
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Die neue CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer gilt als Vertraute von Kanzlerin Merkel

Kramp-Karrenbauer bekräftigte gegenüber dem ZDF, dass sie sich auch die Kanzlerschaft zutraut. „Wenn ich nicht glauben würde, dass ich auch dieses Amt bewältigen könnte, dann hätte ich mich wie gesagt nicht um den Parteivorsitz bewerben dürfen“, sagte sie. „Ob und wie es dann dazu kommt, hängt mit der Gesamtsituation zusammen.“ Sie ließ aber erkennen, dass für sie ein Amtswechsel nicht ansteht.

„Stern“-Journalist über den CDU-Wechsel

Kramp-Karrenbauer wird versuchen, sich innerhalb der CDU zu profilieren, und Merkel wird nicht bis zur nächsten Wahl Kanzlerin bleiben. So lautet die Einschätzung von „Stern“-Journalist Hans-Ulrich Jörges in der ZIB2.

„Heute auf dem Parteitag ist sehr deutlich geworden, dass die Partei will, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt und ihre Arbeit fortsetzt“, sagte sie. „Sie wird im Moment auch ganz dringend gebraucht, wenn man sich die Situation in Europa anschaut.“ Merkel selbst hatte gesagt, bis zum geplanten Ende der Legislaturperiode 2021 im Amt bleiben zu wollen.

Auseinandersetzung mit AfD

In der Auseinandersetzung mit der AfD müsse sich die CDU stärker profilieren, so Kramp-Karrenbauer. Sie wolle mit der Konkurrenz von Rechtsaußen aber sachlich streiten. „Das muss nicht die Auseinandersetzung sein, die unter der Gürtellinie stattfindet, so wie das bei der AfD der Fall ist, oder die sehr schrill im Ton ist“, erklärte Kramp-Karrenbauer. Die CDU muss 2019 schwierige Wahlkämpfe gerade gegen die AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg bestehen.

Kramp-Karrenbauer hatte sich am Freitag in einer Stichwahl mit 517 zu 482 Stimmen gegen Merz durchgesetzt. Spahn war als Drittplatzierter mit 157 Stimmen nicht in die Stichwahl gekommen. Bis zu 67 davon könnten ins Lager von Kramp-Karrenbauer gewechselt sein – gut 42 Prozent. Im Freundeskreis von Merz war ursprünglich für den Fall einer Stichwahl eher damit gerechnet worden, dass 80 Prozent oder noch mehr dann den Sauerländer wählen.

Parteispitze neu gewählt

Die 999 anwesenden Delegierten wählten am Abend die komplette Parteispitze neu, also auch die Parteivizes, das Präsidium und den Bundesvorstand. Merz stellte sich nach seiner Niederlage nicht zur Wahl. Stellvertretende Vorsitzende bleiben der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier, Bundesagrarministerin Julia Klöckner, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet, der Innenminister von Baden-Württemberg, Thomas Strobl, und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen.

Gesundheitsminister Spahn wurde erneut ins Präsidium gewählt. Daneben wurden der niedersächsische Wirtschaftsminister Bernd Althusmann, Kulturstaatsministerin Monika Grütters, der Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels, Karl-Josef Laumann, Schatzmeister Philipp Murmann sowie der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer und der thüringische CDU-Landesvorsitzende Mike Mohring ins Präsidium gewählt.

„Das letzte Einhorn in Europa“

Kramp-Karrenbauer betonte in ihrer Bewerbungsrede vor allem ihre 18-jährige Regierungserfahrung und wies darauf hin, dass sie bereits Wahlen mit mehr als 40 Prozent gewonnen habe. Es sei einfach, scharfe Parolen gegen den politischen Gegner zu entwickeln – aber das reiche nicht. Die CDU müsse eigene Positionen entwickeln und dürfe sich nicht von den Parteien der politischen Ränder treiben lassen. Entscheidend sei, dass der Staat bestehende Gesetze auch strikt umsetze. „Wir sind kein politischer Gemischtwarenladen“, warnte sie. „Wir sind so etwas wie das letzte Einhorn in Europa – die letzte große existierende Volkspartei“, sagte sie mit Blick auf die Niederlagen der christdemokratischen Parteien in anderen EU-Staaten.

Sowohl Kramp-Karrenbauer als auch Merz forderten in ihren Reden eine Entbürokratisierung und Zurückhaltung des Staates etwa bei der wirtschaftlichen Regulierung. „Wenn wir Mut haben, dann lösen wir die Bremsen für die im Land, die etwas tun wollen“, sagte die ehemalige saarländische Ministerpräsidentin. Sie erneuerte ihren Vorschlag aus einem Reuters-Interview, mit den Dieselbußgeldern gegen die Autokonzerne VW und Audi einen Fonds für saubere Luft zu finanzieren. Zudem sprach sie sich gegen eine Abschaffung des Werbeverbots beim Abtreibungsparagrafen 219 aus – das ist eines der Streitthemen in der Großen Koalition.