Installation zeigt gehende Menschen am Konferenzgelände in Marrakesch
UN Photo/Mark Garten
Vor Unterzeichnung

Der UNO-Migrationspakt und seine Feinde

Unter dem Dach der UNO will sich die internationale Gemeinschaft einen Vertrag zur sicheren, geordneten und regulierten Migration geben. Die geplante Annahme des Paktes am Montag und Dienstag bei einer Konferenz im marokkanischen Marrakesch wurde im Vorfeld aber von Kritik und immer mehr Absagen überlagert.

Im September 2016 hatten sich mit der „New Yorker Erklärung“ die 193 UNO-Mitgliedsstaaten auf gemeinsame Prinzipien zum Umgang mit Flüchtlingen und Migranten geeinigt. Es ist der erste umfassende Ansatz weltweit, auf dessen Basis Länder besser zusammenarbeiten sollen, um gegen illegale und ungeordnete Migration vorzugehen und Migration sicherer für die Menschen zu machen.

Die formulierten 23 Ziele beinhalten auch Lösungsansätze für in Europa diskutierte Probleme: So sollen einige Migrationsursachen in den Herkunftsländern bekämpft werden, ebenso die Schlepperkriminalität. Der Grenzschutz soll gestärkt und „irreguläre Migration“ verhindert, „sichere und reguläre“ Grenzübertritte sollen dagegen ermöglicht werden. Ein weiteres Ziel behandelt die Erleichterung einer „würdevollen Rückkehr“ ins Ursprungsland. Zu den Zielen werden jeweils konkrete Handlungsvorschläge gemacht – rechtlich bindend ist der Pakt nicht.

Konferenzgelände in Marrakesch
UN Photo/Mark Garten
In den Konferenzräumlichkeiten in Marrakesch soll die Migrationspolitik auf neue Beine gestellt werden

Furcht vor staatlichem Hoheitsverlust

Dennoch fürchtet eine Reihe von Staaten um ihre nationale Hoheit – etwa könne aus den Leitlinien möglicherweise Gewohnheitsrecht werden, das mit der Zeit einklagbar werde. Eine Befürchtung der Gegner ist auch, dass die Ziele zu höheren Standards für die Ansprüche von Migranten führen werden. Regierungen mehrerer Länder haben das Abkommen bereits abgelehnt. Die USA waren als einziger der 193 Mitgliedsstaaten bereits aus den Verhandlungen ausgestiegen. Nachdem die UNO-Vollversammlung sich im Juli dieses Jahres auf einen Vertragsentwurf verständigt hatte, nahmen auch andere Länder von dem geplanten Regelwerk wieder Abstand.

Das erste aus Europa war Ungarn, am 31. Oktober gab Österreichs Regierung bekannt, den Pakt nicht zu unterschreiben – es folgten Tschechien, Polen, Bulgarien, die Slowakei und Lettland. In Belgien ist am Streit darüber gar die Regierungskoalition zerbrochen: Die Minister der flämischen Nationalistenpartei N-VA erklärten am Sonntag aus Protest gegen den Pakt ihren Rücktritt. Die Schweiz und Italien werden in Marrakesch nicht vertreten sein, weil die Regierungen in Bern und Rom erst die Parlamente entscheiden lassen wollen. Außerhalb Europas sträuben sich Australien, die Dominikanische Republik und Israel gegen eine Unterschrift.

Angleichung der Standards

Dabei hat der Pakt auch für die annehmenden Länder keine direkten Auswirkungen auf die Politik oder die Handhabe von Migration. Die Ziele können nach Belieben in nationales Recht umgesetzt werden, müssen aber nicht. Das Regelwerk soll seine Kraft – wie schon bei anderen Abkommen – über die politische Bindung seiner Mitglieder entfalten. Die UNO pocht auch darauf, dass durch die gleichen Standards künftig eine bessere internationale Zusammenarbeit bei der Migration möglich wird.

Konferenzgelände in Marrakesch
UN Photo/Mark Garten
Die USA machten den Anfang beim Ausstieg, Österreich folgte als zweites europäisches Land nach Ungarn

„Kein schlechtes Thema, kein gutes Thema“

Kritiker stoßen sich bei dem Pakt dagegen an der ihrer Meinung nach zu positiven Darstellung von Migration – daraus könne sich eine Werbewirkung entfalten. Tatsächlich wird diese als „Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung“ dargestellt. Gleichzeitig behandelt das Papier aber auch die Probleme und Gefahren irregulärer Migration. Die UNO-Sonderbeauftragte für Migration, Louise Arbour, sagte zu den Debatten darüber: „Migration ist ein Thema. Es ist kein schlechtes Thema, es ist kein gutes Thema, es ist ein Thema.“

Migranten sind nach der Definition der Internationalen Organisation für Migration (IOM) alle Menschen, die ihren Wohnort verlassen – egal aus welchen Gründen, wie lange oder ob freiwillig oder unfreiwillig. Die UNO zählte 2017 weltweit 258 Millionen Migranten. Die meisten befinden sich in Asien und Europa. Mehr als 60.000 Menschen starben laut IOM seit 2000 auf ihren Reisen oder in Gefangenschaft.

„Europapolitische Übeltat“ der Regierung

Unmittelbar vor dem Gipfel musste Österreich am Wochenende Schelte für seinen Rückzug aus dem Pakt einstecken. Die Entscheidung sei zwar das souveräne Recht jedes Landes, „dennoch bedauern wir das sehr“, sagte der deutsche Außenminister Heiko Maas gegenüber dem „Spiegel“. „Jede Ablehnung des Migrationspaktes ist Wasser auf die Mühlen derer, die böswillige Desinformationskampagnen gegen den Pakt fahren.“

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) dagegen verteidigte die Haltung der Regierung. „Der Inhalt dieses Pakts steht dem diametral entgegen, wofür ich die letzten Jahre eingetreten bin.“ Er habe, sagte Kurz im „Spiegel“, „die Lektion aus dem Jahr 2015“, als Hunderttausende unkontrolliert nach Europa einreisten, schneller gelernt als andere. Für den Luxemburger Außenminister Jean Asselborn stellt sich die Sache anders dar: „Was Kurz und (Vizekanzler Heinz-Christian, Anm.) Strache (FPÖ, Anm.) gemacht haben, ist eine europapolitische Übeltat. Sie treiben Europa in ein Bild der Zerrissenheit.“