Britische Premierministerin Theresa May
Reuters/Piroschka Van De Wouw
May bei Merkel

Will „Brexit“-Deal nachverhandeln

Die britische Premierministerin Theresa May reist nach der Absage der „Brexit“-Abstimmung im Unterhaus am Dienstag zu einem Treffen mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel nach Berlin. May möchte den mühsam vereinbarten „Brexit“-Deal nochmals aufschnüren und nachverhandeln.

Auf Wunsch der britischen Seite werde Merkel May am frühen Nachmittag zum Gespräch empfangen, sagte Merkels Sprecher Steffen Seibert – eine eher ungewöhnliche Formulierung, die wohl Zurückhaltung signalisieren soll, in der Sache zu Zugeständnissen bereit zu sein. Zuvor wird May nach Angaben ihres Büros am Vormittag den niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte in Den Haag treffen.

Nach dem Besuch bei Merkel wird May auch noch nach Brüssel weiterfliegen und jedenfalls EU-Ratspräsident Donald Tusk treffen. Auch ein Gespräch mit Kommissionschef Jean-Claude Juncker ist geplant.

„Liegt an London“

Eine Sprecherin der deutschen Regierung hatte gesagt, die Initiative liege bei den Briten: „Es ist jetzt zunächst Sache der britischen Regierung, den europäischen Partnern zu erläutern, wie sie sich das weitere Vorgehen vorstellt.“ May hatte wegen der sich abzeichnenden Niederlage die „Brexit“-Abstimmung im Parlament abgesagt.

Wenn das Votum wie geplant am Dienstag abgehalten worden wäre, hätte es eine deutliche Ablehnung des Austrittsvertrags gegeben, sagte May im Unterhaus in London. Sie werde deshalb versuchen, bei anderen EU-Staaten und der EU-Kommission Verbesserungen zu erreichen.

Offiziell lehnt EU-Ratspräsident Tusk ebenso wie Vertreter Deutschlands und Frankreichs Nachverhandlungen ab. Im britischen Parlament zeichnete sich seit Wochen erheblicher Widerstand gegen das von May mühsam mit der EU-Kommission ausgehandelte Vertragswerk ab.

May hofft auf „weitere Zusicherungen“

Im Parlament hatte May angekündigt, sie werde ihren EU-Kollegen die „deutlichen Bedenken“ des britischen Unterhauses vortragen und „weitere Zusicherungen“ aus Brüssel verlangen. Die Premierministerin steckt in der Zwickmühle. Auf der einen Seite haben die 27 anderen EU-Staaten deutlich gemacht, dass sie das mühsam zwischen Brüssel und London ausgehandelte Austrittsabkommen nicht neu verhandeln wollen. Auf der anderen Seite fordern die britischen Abgeordneten Änderungen, insbesondere bei den Regeln für die künftige Grenze zwischen Irland und Nordirland – dem „Backstop“. Damit ist die Garantie gemeint, dass die Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland offen bleibt.

Änderungen bei „Erklärung“?

Der Europaexperte Anand Menon vom Londoner King’s College sagte der Nachrichtenagentur AFP, beim Austrittsabkommen werde es vermutlich keine Änderungen geben – möglicherweise aber bei der politischen Erklärung zum „Brexit“. Dieses juridisch nicht bindende Dokument umreißt die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU. In der Erklärung könnten beide Seiten noch einmal ihre Überzeugung bekräftigen, dass die „Backstop“-Lösung nie zur Anwendung kommen müsse, sagte Menon.

„Man muss sehen, welche Zusicherungen Theresa May will“, sagte ein EU-Diplomat. Die Frage sei, ob die „Brexit“-Hardliner mit einer „kosmetischen Formulierung“ zufrieden seien.

„Ich kann dem nicht mehr folgen“

Die Verschiebung der Unterhausabstimmung am Montag war eine weitere Wende im Drama um den „Brexit“ – das politische Chaos in London sorgt bei den übrigen Europäern zunehmend für Fassungslosigkeit. „Ich kann dem nicht mehr folgen“, schrieb der „Brexit“-Verhandlungsführer des Europaparlaments, Guy Verhofstadt, auf Twitter. „Nach zweijährigen Verhandlungen will die Tory-Regierung die Abstimmung verschieben.“ Es sei Zeit für eine Entscheidung.

Zumal das Zeitfenster für einen geregelten „Brexit“ immer kleiner wird: Das britische Parlament wird zwischen 20. Dezember und 7. Jänner nicht zusammenkommen. Da eine Abstimmung zum Austrittsabkommen zwischen dem „Brexit“-Gipfel und dem 20. Dezember unwahrscheinlich erscheint, dürfte sie nach jetzigem Stand erst im kommenden Jahr stattfinden. Großbritannien wird im kommenden März aus der EU austreten.