Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker
Reuters/Yves Herman
„Brexit“-Vertrag

Juncker schließt Neuverhandlung aus

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat am Dienstagvormittag ein für den Abend anstehendes Treffen mit der britischen Regierungschefin Theresa May bestätigt. Gleichzeitig erteilte Juncker Mays Wunsch nach einer Neuverhandlung des „Brexit“-Vertrages eine klare Absage.

„Der Deal, den wir erreicht haben, ist das Beste, was wir bieten können. Das ist der einzige Deal. Es gibt keinen Raum für Neuverhandlungen“, sagte Juncker dazu im Europaparlament in Straßburg. „Aber natürlich kann der Raum intelligent genutzt werden, um weitere Klarheit zu schaffen“, so Juncker, der andeutete, dass der „Brexit“ auf dem am Donnerstag anstehenden EU-Gipfel sehr wohl ein Thema sein werde.

Juncker bezeichnete den „Brexit“ als „Überraschungsgast“ des EU-Gipfels. Er sei „überrascht, denn wir hatten uns am 27. November mit der britischen Regierung geeinigt, aber es scheint jetzt Probleme auf den letzten Metern zu geben“. Zu den von britischer Seite angesprochenen „großen Problemen mit dem Backstop Irland“ sagte Juncker: „Das müssen wir vorbereiten, das ist notwendig für die gesamte Kohärenz dessen, was wir niedergeschrieben haben. Irland wird nie alleingelassen werden.“

Die britische Premierministerin Theresa May und der niederländische Premierminister Mark Rutte
AP/Peter Dejong
Mays erste Station am Dienstag war ein Treffen mit dem niederländischen Premier Mark Rutte

Arbeitsfrühstück mit Rutte

Da im britischen Unterhaus eine Ablehnung drohte, hatte May am Montag die für Dienstagabend geplante Parlamentsabstimmung über das mit Brüssel ausgehandelte „Brexit“-Abkommen abgesagt. Neben Juncker will May am Abend in Brüssel auch EU-Ratspräsident Donald Tusk von der Notwendigkeit weiterer Verhandlungen überzeugen. Auch Tusk schloss neue Verhandlungen über das „Brexit“-Abkommen bereits aus. Man sei aber „bereit zu diskutieren, wie die Ratifizierung durch das Vereinigte Königreich erleichtert werden kann“, hatte Tusk am Montag via Twitter mitgeteilt.

Vor den Gesprächen mit den EU-Spitzen in Brüssel traf May am Donnerstagvormittag bereits mit ihrem niederländischen Amtskollegen Mark Rutte in Den Haag zusammen. Rutte hatte bereits vor dem Arbeitsfrühstück mit May signalisiert, dass er keine Aussichten auf Nachverhandlungen sieht. Nach dem Treffen sprach Rutte dennoch von einem „nützlichen Gespräch“, bei dem er mit May den letzten Stand der Dinge besprochen habe.

„Liegt an London“

Am frühen Nachmittag wird May bei der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in Berlin erwartet. Eine Sprecherin der deutschen Regierung hatte gesagt, die Initiative liege bei den Briten: „Es ist jetzt zunächst Sache der britischen Regierung, den europäischen Partnern zu erläutern, wie sie sich das weitere Vorgehen vorstellt.“

Offiziell werden so wie auf EU-Ebene auch von den Mitgliedsstaaten Nachverhandlungen strikt abgelehnt. Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sieht keine Chance für das Aufschnüren des „Brexit“-Abkommens. „Es wird definitiv keine Nachverhandlung über den Austrittsvertrag geben“, sagte Kurz der britischen „Financial Times“ (Dienstag-Ausgabe). „Der Deal, den wir im Moment haben, ist ein guter und ausgewogener Deal, und ich glaube, es liegt im Interesse von uns allen, ein No-Deal-Szenario zu vermeiden.“

May hofft auf „weitere Zusicherungen“

Im Parlament hatte May angekündigt, sie werde ihren EU-Kollegen die „deutlichen Bedenken“ des britischen Unterhauses vortragen und „weitere Zusicherungen“ aus Brüssel verlangen. Die Premierministerin steckt in der Zwickmühle. Auf der einen Seite haben die 27 anderen EU-Staaten deutlich gemacht, dass sie das mühsam zwischen Brüssel und London ausgehandelte Austrittsabkommen nicht neu verhandeln wollen.

Auf der anderen Seite fordern die britischen Abgeordneten Änderungen, insbesondere bei den Regeln für die künftige Grenze zwischen Irland und Nordirland – dem „Backstop“. Damit ist die Garantie gemeint, dass die Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland offen bleibt.

Der irische Außenminister Simon Coveney will nach eigenen Worten am Dienstag ein detailliertes Konzept ins Kabinett einbringen, in dem es um die Vorbereitungen für verschiedene "Brexit-Szenarien geht. Dabei müssten auch Vorbereitungen für den Fall getroffen werden, dass Großbritannien die EU ohne ein Abkommen verlasse, sagte er dem irischen Sender RTE. Coveney geht wie viele andere auch davon aus, dass sich nach der Verschiebung der britischen Parlamentsabstimmung der Wortlaut des Austrittsabkommens nicht mehr ändern werde.

Änderungen in „Erklärung“?

Auch der Europaexperte Anand Menon vom Londoner King’s College sagte der Nachrichtenagentur AFP, beim Austrittsabkommen werde es vermutlich keine Änderungen geben – möglicherweise aber bei der politischen Erklärung zum „Brexit“. Dieses juridisch nicht bindende Dokument umreißt die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU. In der Erklärung könnten beide Seiten noch einmal ihre Überzeugung bekräftigen, dass die „Backstop“-Lösung nie zur Anwendung kommen müsse, sagte Menon.

Theresa May
APA/AFP/PRU
May sagte am Montag im britischen Unterhaus die an sich für Dienstag geplante „Brexit“-Abstimmung wieder ab

„Man muss sehen, welche Zusicherungen Theresa May will“, sagte ein EU-Diplomat. Die Frage sei, ob die „Brexit“-Hardliner mit einer „kosmetischen Formulierung“ zufrieden seien.

„Ich kann dem nicht mehr folgen“

Die Verschiebung der Unterhausabstimmung am Montag war eine weitere Wende im Drama um den „Brexit“ – das politische Chaos in London sorgt bei den übrigen Europäern zunehmend für Fassungslosigkeit. „Ich kann dem nicht mehr folgen“, schrieb der „Brexit“-Verhandlungsführer des Europaparlaments, Guy Verhofstadt, auf Twitter. „Nach zweijährigen Verhandlungen will die Tory-Regierung die Abstimmung verschieben.“ Es sei Zeit für eine Entscheidung.

Zumal das Zeitfenster für einen geregelten „Brexit“ immer kleiner wird: Das britische Parlament wird zwischen 20. Dezember und 7. Jänner nicht zusammenkommen. Da eine Abstimmung zum Austrittsabkommen zwischen dem „Brexit“-Gipfel und dem 20. Dezember unwahrscheinlich erscheint, dürfte sie nach jetzigem Stand erst im kommenden Jahr stattfinden. Großbritannien wird im kommenden März aus der EU austreten.