Einsatzkräfte in Straßburg
Reuters/Vincent Kessler
Schüsse in Straßburg

Motiv des Täters weiterhin unklar

Obwohl Anti-Terror-Spezialisten die Ermittlungen im Fall des Anschlags in Straßburg übernommen haben, will sich das französische Innenministerium nicht auf ein terroristisches Motiv des Täters festlegen. Die Zeugenaussagen zeichnen jedoch ein anderes Bild.

Ein terroristischer Hintergrund sei im Moment noch nicht sicher, sagte der Staatssekretär im Innenministerium, Laurent Nunez, Mittwochfrüh dem Sender RTL. Der mutmaßliche Täter sei zwar polizeibekannt gewesen, bisher jedoch nicht in Zusammenhang mit Terrorismus. Er sei mehrfach im Gefängnis gewesen, und dort sei auch eine Radikalisierung festgestellt worden, „allerdings nur in der religiösen Praxis“.

Der Angreifer vom Straßburger Weihnachtsmarkt rief nach Angaben von Zeugen jedoch „Allahu akbar“ (Gott ist unvergleichlich groß). Das teilte der zuständige Anit-Terror-Staatsanwalt Remy Heitz am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Straßburg mit. Angesichts des Zielorts, seiner Vorgehensweise und der Zeugenaussagen habe die Anti-Terror-Abteilung der Pariser Staatsanwaltschaft die Ermittlungen übernommen, so Heitz.

Angaben korrigiert: Zwei Tote, zwölf Verletzte

Der Täter hatte am Dienstagabend an drei Orten in Straßburg Angriffe verübt und Augenzeugenberichten zufolge wahllos um sich geschossen. Dabei kamen zwei Menschen ums Leben. Eine weitere Person sei hirntot, sagte Heitz. Zwölf Menschen wurden verletzt, sechs von ihnen sehr schwer. Der gesuchte Verdächtige ist 29 Jahre alt und stammt aus Straßburg. Der Mann heiße Cherif C., sagte Heitz.

Medienbericht: Festnahme in der Früh geplant

Der Täter sei bereits im Sicherheitsakt „Fiche S“ geführt worden – einer Liste von Personen, die verdächtigt werden, radikalisiert zu sein. Er soll nach Angaben der Polizei den Geheimdiensten als potenzieller Gewalttäter bekannt gewesen und bereits mehrfach im Gefängnis gewesen sein – allerdings nicht wegen Terrorakten, sondern wegen Einbrüchen, die er in Deutschland, Frankreich und der Schweiz verübt hatte.

Frankreichs Innenminister Laurent Nunez
APA/AFP/Christophe Archambault
Ein terroristischer Hintergrund sei im Moment noch nicht sicher, sagte Nunez

Nach Angaben aus informierten Kreisen hätte er Dienstagfrüh wegen anderer Vorwürfe – nach unterschiedlichen Angaben wegen bewaffneten Raubes oder im Zuge von Ermittlungen wegen versuchten Mordes – festgenommen werden sollen. Er wurde aber laut Franceinfo nicht in seiner Wohnung angetroffen. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung sollen Granaten gefunden worden sein.

Das Motiv für den Angriff auf den Straßburger Weihnachtsmarkt könnte Rache gewesen sein, hieß es in Sicherheitskreisen. Möglicherweise habe C. auf den Versuch seiner Festnahme durch die Polizei in Straßburg spontan reagiert. Den französischen Sicherheitsbehörden sei keine Vorbereitung eines Anschlags in Straßburg bekannt gewesen.

Nunez reagierte aber auch auf Verschwörungstheorien, wonach der Angriff organisiert worden wäre, um die Pläne der „Gelbwesten“ zu untergraben. „Ich bin wirklich empört darüber. Wie können wir solche Dinge sagen? Das sind eindeutig Verschwörungstheorien“, sagte er am Mittwoch in Radio France. Zwar wurden Demonstrationen in Straßburg für Mittwoch untersagt, „Gelbwesten“-Proteste werden voraussichtlich aber im Rest des Landes stattfinden.

Flucht nach Deutschland nicht ausgeschlossen

Seit Stunden fahnden Angaben der Polizei zufolge über 600 Einsatzkräfte nach dem Täter. Heitz bestätigte, dass sich derzeit vier Verwandte von C. in Haft befinden, nach seinem Bruder wird weiterhin gesucht. Nach wie vor ist auch unklar, wo sich der Gesuchte aufhält. Es ist laut Nunez unsicher, ob er sich überhaupt noch in Frankreich aufhalte. Es wird nicht ausgeschlossen, dass der Attentäter nach Deutschland geflüchtet sein könnte.

Höchste Sicherheitswarnstufe

Frankreichs Regierung ließ nach dem Anschlag die höchste nationale Sicherheitswarnstufe ausrufen. Das bedeutet etwa verstärkte Kontrollen an den Grenzen des Landes.

Die Grenzübergänge zwischen Frankreich und Deutschland werden derzeit verschärft kontrolliert. Nach Angaben der deutschen Polizei müssen sich Pendler auf Wartezeiten von bis zu 90 Minuten einstellen. „Solange die Lage nicht bereinigt ist, werden wir weiter kontrollieren“, sagte ein Polizeisprecher.

Als Sicherheitsmaßnahme bleibt auch der Weihnachtsmarkt in Straßburg geschlossen – ebenso wie die kulturellen Einrichtungen der Stadt, wie es in einer Mitteilung der Stadt hieß. Der Unterricht sollte am Mittwoch an Volks- und Vorschulen ausgesetzt werden. Eltern wurde geraten, ihre Kinder zu Hause zu lassen, wie die Präfektur mitteilte.

ORF-Korrespondent als Augenzeuge

ORF-Korrespondent Peter Fritz wurde zum Augenzeugen der Schießerei. Er berichtete bereits unmittelbar nach dem Vorfall im Kurznachrichtendienst Twitter von Schüssen und einer Evakuierung, dann von dramatischen Szenen – auch per Telefon aus Straßburg.

Fritz (ORF) über die Fahndung in Straßburg

ORF-Korrespondent Peter Fritz berichtet aus Frankreich über die Schüsse in Straßburg sowie den aktuellen Stand der Fahndung.

Unter den Toten ist ein Tourist aus Thailand, der nur wenige Stunden zuvor in Straßburg eingetroffen war. Medienberichten zufolge starb er an einem Kopfschuss. Fritz schilderte, wie er und andere Zeugen versucht hätten, dem Mann Erste Hilfe zu leisten. Nach 45 Minuten hätten sie die Wiederbelebungsversuche eingestellt, nachdem ein per Telefon verbundener Arzt ihnen mitgeteilt habe, dass es keinen Sinn mehr habe. Bis zu diesem Zeitpunkt seien keine offiziellen medizinischen Helfer zum Anschlagsort gekommen. „Die Polizei war sofort da, aber offenbar hat man Rettungskräfte gar nicht in die Nähe gelassen“, so Fritz.

EU-Parlament gedenkt der Straßburger Opfer

Nach dem Angriff in der Altstadt von Straßburg gedachte das Europaparlament mit einer Schweigeminute der Opfer. „Wir denken an die drei Menschen, die getötet wurden“, sagte der Präsident des Parlaments, Antonio Tajani, am Mittwoch. Zugleich sicherte er Frankreich die „Solidarität“ der EU-Volksvertretung zu. Demokratie sei stärker als Hass und Gewalt.

Er drückte Frankreich sein Mitgefühl aus, nachdem das Land bereits wiederholt Ziel ähnlicher Taten geworden ´war. Die Kraft der Freiheit und der Demokratie gewinne jedoch gegen Gewalt, Verbrechen und Terrorismus, sagte Tajani. Deshalb setze das Parlament trotz der Bluttat seine Arbeit fort.

Erschütterte Reaktionen aus dem Ausland

In Paris wurde in der Nacht ein Krisenstab eingerichtet, auch Präsident Emmanuel Macron war anwesend. Er versprach den Opfern des Angriffs die Solidarität Frankreichs. Aus dem Ausland kamen zahlreiche Beileidsbekundungen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen drückte den Angehörigen der Opfer sein „tiefes Beileid“ aus. Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte, er sei mit den Gedanken bei den Opfern der „feigen Schießerei“.

„Erschüttert über die schreckliche Nachricht aus Straßburg“, schrieb der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert auf Twitter. „Welches Motiv auch immer hinter den Schüssen steckt: Wir trauern um die Getöteten und sind mit unseren Gedanken und Wünschen bei den Verletzten.“ Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker verurteilte das Attentat „mit großer Entschiedenheit“: „Meine Gedanken sind bei den Opfern der Schießerei in Straßburg.“ Die britische Premierministerin Theresa May äußerte sich „schockiert und traurig über die schreckliche Attacke in Straßburg“.