Französische and deutsche Einsatzkräfte
APA/AFP/Frederick Florin
Schüsse in Straßburg

Terrorverdacht erhärtet sich

Der Angreifer vom Straßburger Weihnachtsmarkt hat nach Angaben von Zeugen „Allahu akbar“ (Gott ist unvergleichlich groß) gerufen. Am Mittwoch zog die Anti-Terror-Abteilung der Pariser Staatsanwaltschaft die Ermittlungen an sich. Auch Straßburgs Bürgermeister geht von einem Terrorakt aus.

Hatte sich das französische Innenministerium Mittwochfrüh noch zurückhaltend in der Frage eines terroristischen Hintergrunds gezeigt, verhärtete sich nun der Verdacht auf ein terroristisches Motiv des Täters. Bei einer Pressekonferenz am Mittwoch in Straßburg teilte der Pariser Anti-Terror-Staatsanwalt Remi Heitz Aussagen der Zeugen öffentlich mit.

Angesichts dieser Aussagen, des Zielorts und der Vorgehensweise des Täters habe die Anti-Terror-Abteilung der Pariser Staatsanwaltschaft die Ermittlungen übernommen, so Heitz. Auch der Bürgermeister Straßburgs, Roland Ries, geht von einem Terrorakt aus: „Was gestern passiert ist, war unbestreitbar ein Terroranschlag.“

Angreifer tötete auch mit Messer

Bei seinen Attacken an drei Orten in der Straßburger Innenstadt hatte der Tatverdächtige Cherif C. laut Heitz Dienstagabend eine Handfeuerwaffe und ein Messer dabei. „Auf seinem Weg hat er mehrfach das Feuer mit einer Handfeuerwaffe eröffnet und ein Messer benutzt, mit dem er getötet und schwer verletzt hat.“ Augenzeugenberichten zufolge schoss er wahllos um sich.

Karte von Straßburg
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

In Straßburg kamen zwei Menschen ums Leben, eine weitere Person sei hirntot, sagte Heitz weiter. Zwölf Menschen wurden verletzt, sechs von ihnen sehr schwer. Am Vormittag hatte die Präfektur gleich zweimal die Anzahl der Toten und Verletzten korrigiert, zuletzt auf drei Tote und 13 Verletzte. Nach jetzigem Kenntnisstand des Außenministeriums sind keine Österreicher oder Österreicherinnen unter den Opfern. Heitz sagte weiter, nach Angaben des Fahrers eines Taxis, das der 29-Jährige bei seiner Flucht benutzt habe, sei der Verdächtige verletzt.

27-mal in drei Ländern verurteilt

Der Geheimdienst hatte den Mann bereits früher als Sicherheitsrisiko eingestuft. Der Verdächtige, ein 29 Jahre alter Straßburger, sei in Deutschland, Frankreich und der Schweiz insgesamt 27-mal verurteilt worden.

Der Täter sei bereits im Sicherheitsakt „Fiche S“ geführt worden – einer Liste von Personen, die verdächtigt werden, radikalisiert zu sein. Er soll nach Angaben der Polizei den Geheimdiensten als potenzieller Gewalttäter bekannt gewesen und bereits mehrfach im Gefängnis gewesen sein – allerdings nicht wegen Terrorakten, sondern wegen Einbrüchen, die er in den drei Ländern verübt hatte. Laut Heitz soll er sich im Gefängnis radikalisiert haben.

In Deutschland nicht als Gefährder geführt

Deutsche Sicherheitsbehörden suchen mit nach dem Täter und fahnden auch nach dessen Bruder Sami C. Die beiden französischen Staatsbürger mit nordafrikanischen Wurzeln wohnten nach Informationen aus Sicherheitskreisen zuletzt in Straßburg. Sie würden in Frankreich als radikalisiert eingestuft und dem Straßburger Islamistenmilieu zugerechnet, sagte ein hochrangiger Sicherheitsexperte dem Berliner „Tagesspiegel“.

Französische Einsatzkräfte
Reuters/Vincent Kessler
Polizisten kontrollieren mehrere Grenzübergänge von Deutschland nach Frankreich

In Deutschland tauchen die beiden Namen allerdings nach dpa-Informationen nicht in der Datei für islamistische Gefährder auf. Aus Sicherheitskreisen hieß es, die Registrierungsschwelle in Frankreichs „Fiche-S-Datei“ sei deutlich niedriger als für die Aufnahme in die deutsche Gefährderdatei.

Medienbericht: Festnahme in der Früh geplant

Nach Angaben aus informierten Kreisen hätte er Dienstagfrüh wegen anderer Vorwürfe – nach unterschiedlichen Angaben wegen bewaffneten Raubes oder im Zuge von Ermittlungen wegen versuchten Mordes – festgenommen werden sollen. Er wurde aber laut Franceinfo nicht in seiner Wohnung angetroffen. Nach Angaben des Staatsanwalts fanden Ermittler in der Wohnung des Verdächtigen Waffen. Darunter seien eine Granate, Munition und vier Messer.

Das Motiv für den Angriff auf den Straßburger Weihnachtsmarkt könnte Rache gewesen sein, hieß es in Sicherheitskreisen. Möglicherweise habe C. auf den Versuch seiner Festnahme durch die Polizei in Straßburg spontan reagiert. Den französischen Sicherheitsbehörden sei keine Vorbereitung eines Anschlags in Straßburg bekannt gewesen.

Flucht nach Deutschland nicht ausgeschlossen

Höchste Sicherheitswarnstufe

Frankreichs Regierung ließ nach dem Anschlag die höchste nationale Sicherheitswarnstufe ausrufen. Das bedeutet etwa verstärkte Kontrollen an den Grenzen des Landes.

Seit Stunden fahnden Angaben der Polizei zufolge über 600 Einsatzkräfte nach dem Täter. Heitz bestätigte, dass sich derzeit vier Personen aus dem Umfeld von C. in Haft befinden, nach seinem Bruder wird weiterhin gesucht. Nach wie vor ist auch unklar, wo sich der Gesuchte aufhält. Es ist laut Nunez unsicher, ob er sich überhaupt noch in Frankreich aufhalte. Es wird nicht ausgeschlossen, dass der Attentäter nach Deutschland geflüchtet sein könnte.

Die Grenzübergänge zwischen Frankreich und Deutschland werden derzeit verschärft kontrolliert. Nach Angaben der deutschen Polizei müssen sich Pendler auf Wartezeiten von bis zu 90 Minuten einstellen. „Solange die Lage nicht bereinigt ist, werden wir weiter kontrollieren“, sagte ein Polizeisprecher.

Strenge Sicherheitsmaßnahmen getroffen

Als Sicherheitsmaßnahme bleibt auch der Weihnachtsmarkt in Straßburg geschlossen – ebenso wie die kulturellen Einrichtungen der Stadt, wie es in einer Mitteilung der Stadt hieß. Der Unterricht sollte am Mittwoch an Volks- und Vorschulen ausgesetzt werden. Eltern wurde geraten, ihre Kinder zu Hause zu lassen, wie die Präfektur mitteilte.

Auch das österreichische Außenministeriums verwies auf die angespannte Lage nach dem Terroranschlag. „Die Innenstadt ist komplett gesperrt. Meiden Sie das Zentrum und folgen Sie den Anweisungen der Sicherheitskräfte“, heißt es auf der Website.

ORF-Korrespondent als Augenzeuge

ORF-Korrespondent Peter Fritz wurde zum Augenzeugen der Schießerei. Er berichtete bereits unmittelbar nach dem Vorfall im Kurznachrichtendienst Twitter von Schüssen und einer Evakuierung, dann von dramatischen Szenen – auch per Telefon aus Straßburg.

Fritz (ORF) über die Fahndung in Straßburg

ORF-Korrespondent Peter Fritz berichtet aus Frankreich über die Schüsse in Straßburg sowie den aktuellen Stand der Fahndung.

Unter den Toten ist ein Tourist aus Thailand, der nur wenige Stunden zuvor in Straßburg eingetroffen war. Medienberichten zufolge starb er an einem Kopfschuss. Fritz schilderte, wie er und andere Zeugen versucht hätten, dem Mann Erste Hilfe zu leisten. Nach 45 Minuten hätten sie die Wiederbelebungsversuche eingestellt, nachdem ein per Telefon verbundener Arzt ihnen mitgeteilt habe, dass es keinen Sinn mehr habe. Bis zu diesem Zeitpunkt seien keine offiziellen medizinischen Helfer zum Anschlagsort gekommen. „Die Polizei war sofort da, aber offenbar hat man Rettungskräfte gar nicht in die Nähe gelassen“, so Fritz.

Macron: Terror immer noch im Herzen der Nation

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erinnerte nach Angaben seines Sprechers nach dem Anschlag an die Schrecken des Terrors in seinem Land. „Die terroristische Bedrohung ist immer noch im Herzen des Lebens unserer Nation“, zitierte Regierungssprecher Benjamin Griveaux den Präsidenten am Mittwoch in Paris nach der Kabinettssitzung unter dem Vorsitz Macrons.

Die Gedanken seien an diesem Morgen bei den Opfern, ihren Familien und Angehörigen, sagte Griveaux. Zudem denke man an die Straßburger. Sie sollten wissen, dass die Franzosen und die Regierungsmitglieder jetzt bei ihnen seien.