Blumen zum Gendenken am Ort des Anschlags
APA/AFP/ Patrick Hertzog
Bestürzung nach Straßburg

„Terror immer noch im Herzen der Nation“

Bewaffnete Polizisten und Soldaten im historischen Zentrum, ein geschlossener Weihnachtsmarkt, Kerzen und Blumen auf den Straßen – der Angriff auf den Straßburger Weihnachtsmarkt hat Frankreich erneut in Angst und Schrecken versetzt. Die Polizei bat nun die Bevölkerung um Hilfe bei der Suche nach dem Attentäter.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat nach Angaben seines Sprechers nach dem Anschlag an die Schrecken des Terrors in seinem Land erinnert. „Die terroristische Bedrohung ist immer noch im Herzen des Lebens unserer Nation“, zitierte Regierungssprecher Benjamin Griveaux den Präsidenten am Mittwoch in Paris nach der Kabinettssitzung unter dem Vorsitz Macrons.

Die Gedanken seien an diesem Tag bei den Opfern, ihren Familien und Angehörigen, sagte Griveaux. Zudem denke man an die Straßburger. Sie sollten wissen, dass die Franzosen und die Regierungsmitglieder jetzt bei ihnen seien.

Fahndungsfoto des mutmaßlichen Attentäters
AP/Französische Polizei
Die Fahndung wurde am Mittwoch öffentlich gemacht

Nach dem Anschlag vom Dienstag fahndet die französische Polizei nun öffentlich nach dem Verdächtigen Cherif Chekatt. Die Polizei gab am Mittwoch einen offiziellen Fahndungsaufruf heraus, in dem sie die Bevölkerung um Mithilfe bei der Suche nach dem 29-Jährigen bat.

Zudem verstärkt die französische Regierung die Soldaten im Anti-Terror-Einsatz. In den kommenden Tagen sollen sich rund 1.300 weitere Soldaten der „Operation Sentinelle“ anschließen, wie Premierminister Edouard Philippe am Mittwochabend ankündigte. Dabei handelt es sich um eine Einsatztruppe, die nach dem islamistischen Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ im Jänner 2015 ihre Arbeit aufnahm.

Terrorverdacht erhärtet

Gerade im Dezember ist Straßburg mit seinen Weihnachtsmärkten ein beliebtes Ziel von Touristen und Touristinnen. Doch Dienstagabend erschütterte ein Anschlag die Idylle. Bei den Attacken an drei Orten in der Straßburger Innenstadt hatte der Tatverdächtige laut dem Pariser Anti-Terror-Staatsanwalt Remi Heitz Dienstagabend eine Handfeuerwaffe und ein Messer dabei.

„Auf seinem Weg hat er mehrfach das Feuer mit einer Handfeuerwaffe eröffnet und ein Messer benutzt, mit dem er Menschen getötet und schwer verletzt hat“, so Heitz. Zwei Menschen kamen ums Leben, eine weitere Person sei hirntot, sagte Heitz weiter. Zwölf Menschen wurden verletzt, sechs von ihnen sehr schwer. Augenzeugenberichten zufolge schoss der Täter wahllos um sich und rief „Allahu akbar“ (Gott ist unvergleichlich groß).

Straßburg im Ausnahmezustand

Am Tag nach den Schüssen ist der Platz vor dem Straßburger Münster fast menschenleer. ORF-Korrespondentin Eva Twaroch berichtet über den Ermittlungsstand.

Angesichts dieser Aussagen, des Zielorts und der Vorgehensweise des Täters habe die Anti-Terror-Abteilung der Pariser Staatsanwaltschaft die Ermittlungen übernommen, so Heitz. Auch der Bürgermeister Straßburgs, Roland Ries, geht von einem Terrorakt aus: „Was gestern passiert ist, war unbestreitbar ein Terroranschlag.“

Bewaffnete Polizisten und Soldaten

Weite Teile der Innenstadt wurden noch in der Nacht abgeriegelt, schwer bewaffnete Polizisten bewachten die verbarrikadierten Zugänge und ließen nur die ständig heranrasenden Polizeiautos durch. Bis in die frühen Morgenstunden herrschte Großalarm in der elsässischen Metropole. Menschen, die in der Nähe des Tatorts wohnen, konnten nicht nach Hause. Auch das EU-Parlament, das in dieser Woche in Straßburg tagt, war über Stunden komplett abgesperrt, niemand durfte das Gebäude verlassen.

Doch auch am Mittwoch herrschte noch höchste Alarmstufe: Bewaffnete Polizisten und Soldaten im historischen Zentrum, geschlossene Konzert- und Theatersäle, ein abgeriegelter und menschenleerer Weihnachtsmarkt. Am zentralen Kleber-Platz mit seinem hohen Weihnachtsbaum blieb die eigens für die Adventzeit eingerichtete Eisbahn geschlossen. Einige Bürger haben Kerzen und Blumen für die Opfer niedergelegt.

„Die Innenstadt ist komplett gesperrt“

Am berühmten Münster der Elsass-Metropole läutete mittags zehn Minuten lang die Todesglocke, im Plenarsaal des Europaparlaments und in der Pariser Nationalversammlung gedachten die Abgeordneten in einer Schweigeminute der Opfer des Anschlags. An den öffentlichen Gebäuden der Elsass-Metropole waren die Flaggen auf halbmast. Ein Vertreter der Großen Moschee geißelte einen „gemeinen, feigen und barbarischen Akt“ und forderte die muslimischen Gläubigen auf, bei der traditionellen Freitagszeremonie auch für die Opfer zu beten.

Papst Franziskus verurteilte den Anschlag. Der Heilige Vater habe mit „Traurigkeit und Sorge“ von dem am Dienstagabend verübten Attentat erfahren. Er verurteile derartige Taten streng, schrieb der vatikanische Staatssekretär Pietro Parolin in einem Kondolenzschreiben an den Straßburger Erzbischof, Luc Ravel.

ORF-Korrespondent als Augenzeuge

Das österreichische Außenministerium verwies auf die angespannte Lage nach dem Terroranschlag. „Die Innenstadt ist komplett gesperrt. Meiden Sie das Zentrum und folgen Sie den Anweisungen der Sicherheitskräfte“, heißt es auf der Website.

ORF-Korrespondent Peter Fritz wurde zum Augenzeugen der Schießerei. Er berichtete bereits unmittelbar nach dem Vorfall im Kurznachrichtendienst Twitter von Schüssen und einer Evakuierung, dann von dramatischen Szenen – auch per Telefon aus Straßburg.

ORF-Korrespondent Peter Fritz über die Fahndung in Straßburg

ORF-Korrespondent Peter Fritz berichtet aus Frankreich über die Schüsse in Straßburg sowie den aktuellen Stand der Fahndung.

Unter den Toten ist ein Tourist aus Thailand, der nur wenige Stunden zuvor in Straßburg eingetroffen war. Medienberichten zufolge starb er an einem Kopfschuss. Fritz schilderte, wie er und andere Zeugen versucht hätten, dem Mann Erste Hilfe zu leisten. Nach 45 Minuten hätten sie die Wiederbelebungsversuche eingestellt, nachdem ein per Telefon verbundener Arzt ihnen mitgeteilt habe, dass es keinen Sinn mehr habe. Bis zu diesem Zeitpunkt seien keine offiziellen medizinischen Helfer zum Anschlagsort gekommen. „Die Polizei war sofort da, aber offenbar hat man Rettungskräfte gar nicht in die Nähe gelassen“, so Fritz.

Fahndung auf Hochtouren

Unterdessen wurde in Frankreich und im auch benachbarten deutschen Grenzraum weiter auf Hochtouren nach dem Täter gefahndet. Die französischen Behörden schließen nicht aus, dass der Mann in der Nacht zum Mittwoch über die knapp drei Kilometer von Neudorf entfernte Grenze nach Deutschland gelangt ist.

Die deutsche Bundespolizei teilte mit, im deutsch-französischen Grenzraum werde „mit verstärkten Kräften“ nach dem Täter gefahndet. Es sei davon auszugehen, dass dieser nach wie vor hochgefährlich ist. In Frankreich waren mehr als 600 Polizisten und Gendarmen im Einsatz. Die Grenzübergänge zwischen Frankreich und Deutschland werden derzeit verschärft kontrolliert.

27-mal in drei Ländern verurteilt

Der Geheimdienst hatte den Mann bereits früher als Sicherheitsrisiko eingestuft. Der Verdächtige, ein 29 Jahre alter Straßburger, sei in Deutschland, Frankreich und der Schweiz insgesamt 27-mal verurteilt worden.

Später kam heraus, dass der Mann auch in Luxemburg kriminell wurde. Seine DNS sei bei einem versuchten Einbruchsdiebstahl im Jahr 2012 am Tatort gefunden worden, sagte ein Sprecher der Regierung in Luxemburg am Mittwoch. Danach sei auch ein Strafverfahren gegen C. eingeleitet worden.

In Frankreich wurde der Täter bereits im Sicherheitsakt „Fiche S“ geführt – einer Liste von Personen, die verdächtigt werden, radikalisiert zu sein. Er soll nach Angaben der Polizei den Geheimdiensten als potenzieller Gewalttäter bekannt gewesen und bereits mehrfach im Gefängnis gewesen sein – allerdings nicht wegen Terrorakten, sondern wegen Einbrüchen, die er in den drei Ländern verübt hatte. Laut Heitz soll er sich im Gefängnis radikalisiert haben.

In Deutschland nicht als Gefährder geführt

Deutsche Sicherheitsbehörden suchen mit nach dem Täter und fahnden auch nach dessen Bruder. Die beiden französischen Staatsbürger mit nordafrikanischen Wurzeln wohnten nach Informationen aus Sicherheitskreisen zuletzt in Straßburg. Sie würden in Frankreich als radikalisiert eingestuft und dem Straßburger Islamistenmilieu zugerechnet, sagte ein hochrangiger Sicherheitsexperte dem Berliner „Tagesspiegel“.

Französische Einsatzkräfte
Reuters/Vincent Kessler
Polizisten kontrollieren mehrere Grenzübergänge von Deutschland nach Frankreich

In Deutschland tauchen die Namen allerdings nach dpa-Informationen nicht in der Datei für islamistische Gefährder auf. Aus Sicherheitskreisen hieß es, die Registrierungsschwelle in Frankreichs „Fiche-S-Datei“ sei deutlich niedriger als für die Aufnahme in die deutsche Gefährderdatei.

Medienbericht: Festnahme in der Früh geplant

Nach Angaben aus informierten Kreisen hätte Chekatt Dienstagfrüh wegen anderer Vorwürfe – nach unterschiedlichen Angaben wegen bewaffneten Raubes oder im Zuge von Ermittlungen wegen versuchten Mordes – festgenommen werden sollen. Er wurde aber laut Franceinfo nicht in seiner Wohnung angetroffen. Nach Angaben des Staatsanwalts fanden Ermittler in der Wohnung des Verdächtigen Waffen. Darunter seien eine Granate, Munition und vier Messer.

Das Motiv für den Angriff auf den Straßburger Weihnachtsmarkt könnte Rache gewesen sein, hieß es in Sicherheitskreisen. Möglicherweise habe der 29-Jährige auf den Versuch seiner Festnahme durch die Polizei in Straßburg spontan reagiert. Den französischen Sicherheitsbehörden sei keine Vorbereitung eines Anschlags in Straßburg bekannt gewesen.