Blumen zum Gendenken am Ort des Anschlags
AP/Jean Francois Badias
Nach Anschlag

Trauer und Sorge in Frankreich

Nach dem Anschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt läuft weiterhin die Fahndung nach dem untergetauchten Attentäter. Die Polizei bat mittlerweile die Bevölkerung um Hilfe. Straßburg ist im Ausnahmezustand, ganz Frankreich trauert um die Opfer. Präsident Emmanuel Macron sprach von Terror „im Herzen der Nation“.

Frankreichs Polizei entschloss sich am Mittwochabend, öffentlich nach dem Verdächtigen Cherif Chekatt zu fahnden. Dazu gab es einen offiziellen Fahndungsaufruf mit Foto, die Bevölkerung wurde um Mithilfe bei der Suche nach dem weiterhin flüchtigen 29-Jährigen gebeten. Der Gesuchte sei „gefährlich“, warnte die französische Polizei im Kurzbotschaftendienst Twitter. „Greifen Sie auf keinen Fall selber ein.“ Wer Informationen über seinen Aufenthaltsort hat, soll sofort die Polizei verständigen.

Präsident Macron rief am Mittwoch angesichts der Krise in seinem Land zu politischer Zurückhaltung auf. Die aktuellen Geschehnisse verlangten von jedem verantwortungsvollen politischen Anführer Ruhe und Mäßigung, sagte Regierungssprecher Benjamin Griveaux nach einer Kabinettssitzung unter Vorsitz Macrons. Der Präsident erinnerte bei der Sitzung an die Schrecken des Terrors in Frankreich. „Die terroristische Bedrohung ist immer noch im Herzen des Lebens unserer Nation“, zitierte ihn Griveaux. „Solidarität der gesamten Nation für Straßburg, unsere Opfer und ihre Familien“, schrieb Macron zuvor auf Twitter.

Fahndungsfoto des mutmaßlichen Attentäters
AP/Französische Polizei
Die Fahndung wurde am Mittwoch öffentlich gemacht

Schweigeminuten und Gedenken

In der Hauptstadt Paris wurde die Beleuchtung des Eiffelturms für eine Trauerminute ausgeschaltet – „zu Ehren der Opfer“, so Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Sie drückte ihre „Unterstützung für die Angehörigen und alle Straßburger“ aus. Auch an vielen anderen Orten in Frankreich wurde der Opfer gedacht. Am Straßburger Münster läutete zu Mittag zehn Minuten lang die Totenglocke, im Plenarsaal des Europaparlaments und in der Pariser Nationalversammlung hielten die Abgeordneten Schweigeminuten ab.

Auch Papst Franziskus verurteilte den Anschlag. Mit „Traurigkeit und Sorge“ habe der Heilige Vater von dem am Dienstagabend verübten Attentat erfahren, hieß es in einem Kondolenzschreiben des vatikanischen Staatssekretärs Pietro Parolian an den Straßburger Erzbischof Luc Ravel. Der Papst bete für die Familien der Todesopfer und alle beim Attentat betroffenen Personen.

Eifelturm in Paris
APA/AFP/Geoffroy Van Der Hasselt
Der Eiffelturm in der Nacht auf Donnerstag

Verletzt und auf der Flucht

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft hatte Chekatt am Dienstagabend mit einer automatischen Pistole das Feuer nahe dem Straßburger Münster, wo auch in diesem Jahr der Weihnachtsmarkt stattfindet, eröffnet. Er sei dann durch die Fußgängerzone gelaufen und habe Menschen beschossen und mit einem Messer angegriffen. Nach Angaben von Zeugen rief er „Allahu Akbar“ (Gott ist unvergleichlich groß), wie die Staatsanwaltschaft erklärte.

Soldaten eröffneten später das Feuer auf den Täter, wie Innenminister Christophe Castaner sagte. Sie verletzten ihn am Arm, konnten ihn aber nicht stoppen. Der Angreifer floh schließlich mit einem Taxi aus der Altstadt in Richtung des Wohnviertels Neudorf, wo sich seine Spur verlor. Nach Behördenangaben wurden bei dem Angriff zwei Menschen getötet, ein drittes Opfer wurde später für hirntot erklärt. Zwölf Menschen wurden verletzt.

Anti-Terror-Einsatz verstärkt

In Frankreich beteiligten sich nach Angaben des Innenministeriums mehr als 700 Sicherheitskräfte an der Fahndung nach dem gebürtigen Straßburger. Chekatts Mutter, sein Vater und zwei Brüder wurden nach Angaben aus Ermittlerkreisen am Mittwoch festgenommen und verhört. Es gab zudem mehrere Hausdurchsuchungen.

Die französische Regierung will auch die Soldaten im Anti-Terror-Einsatz verstärken. In den kommenden Tagen sollen sich rund 1.300 weitere Soldaten der „Operation Sentinelle“ anschließen, wie Premierminister Edouard Philippe ankündigte. Dabei handelt es sich um eine Einsatztruppe, die nach dem islamistischen Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ im Jänner 2015 ihre Arbeit aufnahm.

Schweizer Einsatz bei Terrorfahndung

Bei der Fahndung nach dem Attentäter kam es in der Schweiz nahe der deutschen Grenze zu einem Polizeieinsatz. Die Kantonspolizei Aargau gab jedoch schnell Entwarnung. Eine Reisende habe Donnerstagfrüh bei Rheinfelden den Verdacht geäußert, der Gesuchte sei in ihrem Zug, sagte ein Polizeisprecher.

Die Polizei habe den Mann an der nächsten Haltestelle in Frick rund zehn Kilometer südlich von Bad Säckingen in Baden-Württemberg aus dem Zug geholt und eingehend überprüft. Sie habe schnell festgestellt, dass es sich bei dem Mann nicht um den Verdächtigen handelt. Solche Einsätze nach Hinweisen von Passanten oder Passagieren gebe es alle Tage, sagte der Sprecher.

Angreifer vor Tat aus Deutschland angerufen

Chekatt wurde nach Angaben der Staatsanwaltschaft vom französischen Inlandsgeheimdienst DGSI überwacht und wegen seiner Radikalisierung als Gefährder geführt. Bisher habe es aber keine Erkenntnisse über eine bevorstehende islamistische Tat gegeben, hieß es aus dem Innenministerium.

Einem Medienbericht zufolge wurde Chekatt unmittelbar vor der Tat aus Deutschland angerufen. Er habe aber nicht abgehoben, berichtete das Inforadio des rbb am Mittwochabend unter Berufung auf Sicherheitskreise. Unklar sei, wer ihn anrief und warum. Dieser Frage würden deutsche Ermittler nun intensiv nachgehen, berichtet das rbb Inforadio.

Eigentlich sollte der Mann in der Früh vor der Tat festgenommen werden. Der Einsatz sei im Zusammenhang mit „einer versuchten Tötung“ bei einem Raubüberfall gestanden, sagte Innenstaatssekretär Laurent Nunez. Dabei fanden die Ermittler nach Angaben der Staatsanwaltschaft Waffen in der Wohnung des Verdächtigen: eine Granate, Munition und vier Messer.

Französische Einsatzkräfte
Reuters/Vincent Kessler
Polizisten kontrollieren mehrere Grenzübergänge von Deutschland nach Frankreich

Nach Angaben des Innenministeriums von Baden-Württemberg war der Verdächtige auch in Deutschland aktenkundig: 2016 war er wegen zweifachen Einbruchdiebstahls zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Ein Jahr später wurde er nach Frankreich abgeschoben. Als Gefährder wurde er aber in Deutschland nicht geführt.

Die Behörden schließen nicht aus, dass er nach Deutschland gelangt sein könnte. Die deutsche Bundespolizei fahndete deshalb „mit verstärkten Kräften“ im deutsch-französischen Grenzgebiet. Chekatt soll einem Medienbericht zufolge unmittelbar vor der Tat aus Deutschland angerufen worden sein. Er sei aber nicht ans Telefon gegangen, berichtete das Inforadio des rbb am Mittwochabend unter Berufung auf Sicherheitskreise. Unklar sei, wer ihn anrief und warum. Dieser Frage würden deutsche Ermittler nun intensiv nachgehen, berichtete das rbb Inforadio.

ORF-Korrespondent als Augenzeuge

Das österreichische Außenministerium verwies auf die angespannte Lage nach dem Terroranschlag. „Die Innenstadt ist komplett gesperrt. Meiden Sie das Zentrum und folgen Sie den Anweisungen der Sicherheitskräfte“, heißt es auf der Website.

ORF-Korrespondent Peter Fritz wurde zum Augenzeugen der Schießerei. Er berichtete bereits unmittelbar nach dem Vorfall im Kurznachrichtendienst Twitter von Schüssen und einer Evakuierung, dann von dramatischen Szenen – auch per Telefon aus Straßburg.

ORF-Korrespondent Fritz über die Fahndung in Straßburg

ORF-Korrespondent Peter Fritz berichtet aus Frankreich über die Schüsse in Straßburg sowie den aktuellen Stand der Fahndung.

Fritz schilderte, wie er und andere Zeugen versucht hätten, einem Schussopfer Erste Hilfe zu leisten. Nach 45 Minuten hätten sie die Wiederbelebungsversuche eingestellt, nachdem ein per Telefon verbundener Arzt ihnen mitgeteilt habe, dass es keinen Sinn mehr habe. Bis zu diesem Zeitpunkt seien keine offiziellen medizinischen Helfer zum Anschlagsort gekommen. „Die Polizei war sofort da, aber offenbar hat man Rettungskräfte gar nicht in die Nähe gelassen“, so Fritz.