Britische Premierministerin Theresa May
AP/Virginia Mayo
Tory-Aufstand überstanden

May reist mit Gegenwind nach Brüssel

Nach dem gescheiterten Aufstand vieler ihrer Torys in London setzt Premierministerin Theresa May nun auf die Hilfe der EU: Der Gipfel am Donnerstag in Brüssel beschäftigt sich erneut mit den britischen Austrittsplänen. Die Staats- und Regierungschefs wollen dazu beitragen, dass der fertige EU-Austrittsvertrag eine Mehrheit im britischen Parlament findet und eine chaotische Trennung Ende März vermieden wird.

Wie das ohne Nachverhandlungen geschehen soll, ist allerdings offen. May sagte, sie wolle in Brüssel „rechtliche und politische Rückversicherungen“ hinsichtlich der „Backstop“ genannten Garantie für eine offene Grenze zwischen Nordirland und Irland suchen. Die Regelung im „Brexit“-Vertrag ist bei britischen Abgeordneten heftig umstritten. Die EU signalisiert Entgegenkommen, allerdings in sehr engen Grenzen und ohne Vertragsänderung.

May soll Gelegenheit erhalten, den Stand der Dinge zu erläutern. „Da die Zeit davonrennt“, werde man auf dem EU-Gipfel zudem über den Stand der Vorbereitung auf ein „No Deal“-Szenario diskutieren, teilte EU-Ratspräsident Donald Tusk in seinem Einladungsschreiben den EU-Staats- und -Regierungschefs mit.

117 Parteifreunde gegen May

Am Mittwochabend stellte sich einmal mehr die Widerstandsfähigkeit Mays heraus, als sie ein Misstrauensvotum ihrer konservativen Torys mit einer Mehrheit von 200 der 317 Abgeordneten überstand. Rund zwei Stunden lang hat die mit Spannung erwartete Abstimmung der Torys gedauert, die 317 Stimmzettel wurden per Hand ausgezählt.

Eine Gruppe ihrer eigenen Torys hatten sich formiert, um May als Regierungschefin loszuwerden. Immerhin 117 ihrer Parteifreunde stimmten am Mittwoch gegen sie – somit überstand sie das Votum fürs Erste, doch ist es kein Ergebnis, das ihr eine lange Verschnaufpause garantiert.

Denn es ist weiterhin unklar, wie May ihr Austrittsabkommen durchs Parlament bringen will. May rief nach dem Votum daher zur Geschlossenheit auf. Politiker aller Seiten müssten nun zusammenkommen, sagte sie vor ihrem Amtssitz. Jetzt komme es darauf an, den „Brexit“ abzuliefern. Eine „erhebliche Zahl“ an Abgeordneten habe gegen sie gestimmt, sagte May. „Ich habe mir angehört, was sie gesagt haben.“

May ruft zu Geschlossenheit auf

Nach der gewonnenen Abstimmung wandte sich die Premierministerin am Mittwochabend an ihre Parteifreunde. Sie habe ihre Stimmen gehört, so May. Doch nun müsse man geschlossen agieren.

Hinter dem Misstrauensantrag gegen May standen hauptsächlich die „Brexit“-Hardliner ihrer Fraktion um den erzkonservativen Hinterbänkler Jacob Rees-Mogg. Das Ergebnis sei „schrecklich“, sagte er nach der Abstimmung. „Sie muss dringend zur Queen gehen und zurücktreten.“

Kein Antreten in vier Jahren

Kurz vor dem Beginn des Wahlgangs hatte sich die Regierungschefin mit einer Ansprache an ihre Parteifreunde gewandt. Es sei ein „kraftvoller und bewegender Moment“ gewesen, schrieb ein konservativer Abgeordneter auf Twitter über den Auftritt Mays hinter verschlossenen Türen. Die Premierministerin habe angekündigt, nicht mehr zur kommenden Wahl in vier Jahren antreten zu wollen. Den „Brexit“ wolle sie aber durchziehen, und zwar zum angekündigten Termin. Nun darf zwölf Monate lang kein parteiinterner Misstrauensantrag mehr gegen May gestellt werden.

Mays Mehrheit hatte sich am Mittwoch schon vor der Abstimmung langsam abgezeichnet. Britische Medien berichteten von ihren guten Chancen, das Votum für sich zu entscheiden. May hatte bereits Mittwochfrüh bei einem kurzen Statement vor ihrem Amtssitz Downing Street 10 angekündigt, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gegen einen Rücktritt zu kämpfen.

Abstimmung „vor 21. Jänner“

Neben einem Rücktritt stand für May auch eine vorzeitige Neuwahl nicht zur Debatte. Eine Parlamentswahl sei „zu diesem Zeitpunkt“ nicht im nationalen Interesse, sagte May bei der wöchentlichen Fragestunde im Parlament am Mittwoch. Auf die Frage, ob sie ein zweites „Brexit“-Referendum ausschließen könne, sagte sie: "Ich glaube, wir sollten das Referendum respektieren, das 2016 stattgefunden hat.“ Damals stimmte eine knappe Mehrheit der Briten für den Austritt des Landes aus der EU. Dieser soll plangemäß am 29. März 2019 erfolgen.

Weiteres Vorgehen Richtung „Brexit“

Trotz der gewonnenen Abstimmung ist eine Mehrheit für Theresa Mays Deal nicht in Sicht. ORF-Korrespondentin Cornelia Primosch über Mays Pläne.

Anlass des Misstrauensvotums war das Chaos rund um den von May mit der EU ausgehandelten „Brexit“-Vertrag. Zuletzt sorgte Mays Entscheidung, die für Dienstag geplante Parlamentsabstimmung über das „Brexit“-Abkommen kurzfristig zu verschieben, um eine drohende Niederlage zu vermeiden, für eine neuerliche Eskalation. Wann die Parlamentsabstimmung nun erfolgen soll, ist noch offen. Angekündigt wurde lediglich eine Abstimmung „vor dem 21. Jänner“. Ein Termin im Jänner gilt Ratskreisen zufolge als wahrscheinlich.

DUP-Widerstand gegen „Backstop“

Viel Unzufriedenheit gibt es auch in der nordirischen Democratic Unionist Party (DUP), deren zehn Abgeordnete Mays Minderheitsregierung stützen. Sie fordert, dass May diese Auffanglösung für Nordirland im „Brexit“-Vertrag verwirft. Diese als „Backstop“ bezeichnete Garantie, dass keine Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland stattfinden sollen, stößt auf heftigen Widerstand. Der „Backstop“ müsse aus dem Abkommen entfernt werden, sagte DUP-Chefin Arlene Foster.

Anti-Bexit-Plakat an der Grenze zu Nordirland
AP Photo/Peter Morrison
Besonders die Grenzfrage stößt auf Widerstand. May hofft auf die Möglichkeit zu Nachverhandlungen

May traf dazu am Donnerstag den irischen Regierungschef Leo Varadkar. Diplomaten bestätigten das in Brüssel. Auch EU-Ratschef Donald Tusk kündigte ein Gespräch mit May noch vor Beginn des EU-Gipfels am Nachmittag an. Ein Sprecher Varadkars hatte laut Reuters angekündigt, dass es vor dem Gipfel zu einem bilateralen Gespräch der beiden Regierungschefs kommen sollte. May hatte ursprünglich für Mittwoch geplant, nach Dublin zu reisen, war dann aber aufgrund des Misstrauensvotums in London geblieben.

Tour de Force durch EU-Städte

May hatte bereits am Dienstag bei Tusk und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Brüssel und zuvor in Den Haag beim niederländischen Premier Mark Rutte und bei der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in Berlin darum geworben, weitere Zusicherungen von der EU zu bekommen und so doch noch eine Mehrheit für den „Brexit“-Vertrag im britischen Parlament zu finden.

Kein Aufschnüren des Deals

Tusk und auch Juncker hatten bereits vor dem Treffen am Abend in Brüssel Neuverhandlungen neuerlich ausgeschlossen. Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sprach sich am Mittwoch weiterhin gegen ein Aufschnüren des „Brexit“-Abkommens aus. Kurz zeigte sich aber gesprächsbereit mit Blick auf Zugeständnisse an Großbritannien. „Klar ist, das Austrittsabkommen wird nicht geöffnet und geändert“, sagte Kurz vor einem Treffen mit EU-Ratspräsident Donald Tusk am Mittwochabend in Brüssel.

Am Donnerstag traf Kurz erneut mit dem "Brexit-"Chefverhandler der Briten, Michel Barnier und Juncker zusammen. „Unser Ziel ist es, einen ‚Hard Brexit‘ zu vermeiden“, sagte Kurz. „Insofern wird es auch eine Diskussion mit Theresa May geben, ob man in gewissen Fragen noch ein Stück weit besser erklären und konkretisieren kann, wie die zukünftigen Beziehungen aussehen sollen“, so der Bundeskanzler. Klar sei aber, „dass wir sicherlich nicht das Austrittsabkommen noch einmal öffnen werden. Wir haben ein und dasselbe Ziel, einen ‚Hard Brexit‘ zu vermeiden.“ Dazu brauche es aber die Zustimmung im britischen und im Europäischen Parlament, „und daran arbeiten wir“, sagte der Kanzler.