Schon das Plakat ist verstörend: Ein blutroter ausgezehrter Männerkörper hängt leblos in den schneeweißen Armen einer Frau, ihre mondbleichen Gesichtszüge grotesk verzerrt. So geht Expressionismus. Kokoschkas Theaterperformance „Mörder, Hoffnung der Frauen“ im Jahr 1909 ist nur eine von vielen Irritationen, mit denen der Künstler sein Image als junger Wilder in Wien nachhaltig etablierte. Die Presse höhnte („Oberwildling“), das Publikum war echauffiert. Allerdings hatte das noch keine politischen Folgen.
Das Kunsthaus Zürich rollt jetzt in einer hochkarätigen Retrospektive das Leben des Jahrhundertkünstlers auf, der die Verwerfungen des 20. Jahrhunderts am eigenen Leib zu spüren bekam und dessen Werk nicht nur von häufigen Stilwechseln geprägt war, sondern auch von großer humanistischer Energie.
Im Fieber
Im Biotop der Wiener Avantgarde konnte sich der junge Kokoschka kreativ austoben. Zwischen Kabarett Fledermaus, Wiener Werkstätte und Secession entwickelte er schnell seinen eigenen Stil, der Drang zum Gesamtkunstwerk lag in der Luft, das kam dem vielseitig talentierten Absolventen der Kunstgewerbeschule gelegen. Schon bald nahm ihn Adolf Loos unter seine Fittiche, der Mentor vernetzte ihn mit Karl Kraus, Arnold Schönberg und Peter Altenberg und verschaffte ihm Porträtaufträge im In- und Ausland.
Die fiebrigen Jahre vor dem Ersten Weltkrieg machten aus Kokoschka einen rastlosen Bohemien. Seine Mitarbeit bei der expressionistischen Zeitschrift „Der Sturm“ ließ ihn zwischen Wiener und Berliner Avantgarde hin- und her pendeln. Esoterik und Weltschmerz lagen in der Luft, Kokoschka fing in seinen Porträts den Zeitgeist ein und schaute tief, legte, wie in den Porträts „Adolf Loos“ (1909) und „Anton von Webern“ (1914), Seelenlandschaften frei. „Jack the Ripper“ wurde er einmal genannt. Einer, der die Fassade herunterreißt.
Amour fou
Fatal und leidenschaftlich war seine Beziehung zu Alma Mahler. Das It-Girl der Wiener Künstler- und Intellektuellenszene beflügelte ihn zu Höhenflügen und trieb ihn am Ende fast in den Wahnsinn. Die Ausstellung zeigt ein Doppelbildnis der beiden, das die Ratlosigkeit der Liebenden angesichts solcher Ausweglosigkeit erschreckend widerspiegelt.
Und selbstverständlich, möchte man sagen, kommt auch diese Ausstellung nicht ohne die berühmte Kuriosität der Alma-Puppe aus: Noch Jahre nach Beendigung der schwierigen Beziehung arbeitete sich Kokoschka daran ab und ließ eine Stoffpuppe mit dem Aussehen der Geliebten anfertigen. Eine Rekonstruktion des bizarren Fetischs aus weißem Fell sitzt in einer Art Ehrenloge zwischen Gemälden und Vitrinen. 1914 meldete sich Kokoschka von der Liebesfront ab und freiwillig zum Kriegsdienst. Er wurde schwer verwundet, da wie dort.
Ausstellungshinweis
Oskar Kokoschka. Eine Retrospektive. Kunsthaus Zürich. Von 14. Dezember 2018 bis 10. März 2019
Die Ausstellung ist eine Kooperation mit dem Leopold Museum und ist ab Anfang April 2019 in Wien zu sehen.
Das druckgrafische Werk Kokoschkas ist zurzeit im Salzburger Museum der Moderne zu sehen, bis 17.2.2019.
Heimatlos
In seinen Jahren in Dresden von 1917 bis 1923 und auf jahrelangen Reisen, die ihn nach Nordafrika und in den Nahen Osten führten, änderten sich Kokoschkas Malstil und Technik mehrfach. Er experimentierte mit dickem Farbauftrag, versuchte dann wieder, „der Farbe Hitze und Kälte herauszulocken“. Städtebilder und Landschaften rückten in den Mittelpunkt. Neben seinen Stützpunkten in Dresden und Berlin lebte er auch in London und Paris, die ausgedehnten Reisen finanzierte ihm sein Berliner Galerist Paul Cassirer.
Die Wirtschaftskrise zu Beginn der 1930er Jahre trieb Kokoschka wieder nach Wien zurück. Dort erlebte er, wie unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuß die bürgerlichen Freiheiten immer mehr beschnitten wurden und 1933 eine ständestaatliche, autoritär-klerikale Diktatur Einzug hielt. Vier Jahre lang lebte er in Prag, musste aber 1938 von dort emigrieren, weil die Nazis seine Bilder als „entartet“ einstuften. In der Münchner Femeausstellung „Entartete Kunst“ waren neben neun Gemälden das Sturmplakat und eine Lithografieserie zur Bachkantate zu sehen. Im begleitenden Ausstellungsführer stellte man damals die rhetorische Frage, ob diese nicht als „Dilettantenarbeiten vom Insassen eines Irrenhauses“ gestaltet worden wären. Er galt als Hitlers „Kunstfeind Nr. 1“.
Exil und Spätwerk
Mit tschechischem Pass gelang es ihm und seiner Frau Olda, sich nach London abzusetzen. Acht Jahre später bekam er die britische Staatsbürgerschaft – und zog in die Schweiz. In den 1930er Jahren setzte die Politisierung des Künstlers ein, in London war er vor allem mit politischen Aktivitäten beschäftigt, schrieb Artikel für Zeitungen der Nazi-Gegner und half, finanzielle Mittel aufzutreiben. Seine Abscheu vor Nationalismus und seine persönliche Geschichte machten aus ihm einen erklärten Antifaschisten und in seinem Spätwerk zu einem Kämpfer für den Humanismus.
Als „Homo politicus“ war er aber eine ambivalente Figur, wie an mehreren Stellen im Katalog nachzulesen ist. Manchmal war der Pragmatismus des wirtschaftlichen Überlebens wohl einfach größer als der pathetische Heroismus. Als Highlights der Ausstellung werden von der Kuratorin Catherine Hug zwei Triptychen herausgestrichen: Die „Prometheus-Saga“ (1950) und „Thermopylae“ (1954). Sie zeigen, wie sehr Kokoschka sein Leben lang der griechischen Antike zugetan und der Abstraktion abgeneigt war.
Der Meister selbst war von dieser Arbeit restlos begeistert und hielt auch noch weitere 30 Jahre an der figürlichen Malerei fest. Von der lodernden Kraft des frühen Expressionsimus ist sie freilich weit entfernt. Und so zeigt die hervorragend kuratierte Schau auch: Zersplittert war nicht nur die Biografie von Kokoschka, auch sein Werk bleibt heterogen.