Der kleine Prinz in verschiedenen Ausgaben
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„Der kleine Prinz“:

Zwischen Kitsch und Humanismus

Als Kitsch belächelt und als humanistisches Jahrhundertwerk gefeiert: Der Klassiker „Der kleine Prinz“ ist 75 Jahre alt. Zwei Jahre nach dem Freiwerden der Rechte versucht der deutsche Rauch-Verlag verstärkt die Weitervermarktung: Er lässt den kleinen Prinzen sogar seine eigene Kommerzialisierung feiern.

In seinen 75 Jahren hat Antoine de Saint-Exuperys „Der kleine Prinz“ schon so einiges erlebt: Das vor allem unter Erwachsenen erfolgreichste Kinderbuch aller Zeiten erschien bereits als daumennagelgroße Miniausgabe, im Taschen- und im Bilderbuchformat. Es gibt den Prinzen handgedruckt, zweisprachig, in über 115 Sprachen übersetzt bis hin zum Klingonischen, als Hörspiel, Fernsehserie, Kinofilm, Oper und als Musical. Und obendrein ist der grünbemäntelte Held nicht nur äußerst reiseerfahren, sondern bekanntlich auch umfassend Merchandising-erprobt – was auch die Krähe bemerkt, die Martin Baltscheit dem Prinzen zur Seite stellt:

„‚Du bist ein Hörspiel, eine Tasse, ein Teller, Kochgeschirr, da feierst du sogar Weihnachten! Prinz als Puppe, Badehaube und Vitaminbonbon. Nur Prinzenkekse sehe ich nicht.‘ Sie starren auf die Warenkarawane, und der Vogel zählt weiter auf: ‚Dein Freund war fleißig. Spieluhr, Spardose, Schneekugel, Reisekoffer, Lätzchen, Nachtlicht, Filzpantoffel. Himmel, du musst sehr, sehr reich sein.‘“

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Rund um den Globus lieben nicht nur Kinder den kleinen Prinzen

„Setzen Sie auf das Original!“

„Der kleine Prinz“, das ist tatsächlich das große Geschäft – in Deutschland nicht zuletzt für den Düsseldorfer Karl-Rauch-Verlag, der mehr als 60 Jahre lang das deutsche Monopol auf das Kunstmärchen hatte und in dieser Zeit weit über zehn Millionen Stück absetzte. Auf Nachfrage zeigt sich der Verlag noch immer sehr zufrieden mit dem Vertrieb seines „Prinzen“, obwohl mit dem Freiwerden der Rechte vor knapp drei Jahren die Konkurrenz auf das Zugpferd mit aufgesprungen ist. „Setzen Sie auf das Original!“, flehten damals die Verlagsleiter die Buchhändlerinnen und -händler regelrecht an. Die meisten bekannten Sätze würden, so hieß es, in den Neuübersetzungen „ohnehin nur abgekupfert werden“.

Ganz so puritanisch gibt man sich selbst aber nicht: Neben einer Schmuckausgabe und einer für Kinder hat der Rauch-Verlag den Kinder- und Jugendbuchautor Baltscheit beauftragt, eine Weihnachtsversion zu gestalten. Darf und soll man so etwas überhaupt machen? Geworden ist es jedenfalls eine Weitererzählung: Der „Kleine Prinz“ wird da wieder auf die Erde geschickt, konkret in den Vorweihnachtsstress im Deutschland des 21. Jahrhunderts, wo er versucht, seinen Freund, den Piloten wiederzufinden, der nicht ganz zufällig Antoine heißt.

Tour de Force von Polizei bis Psychiatrie

Der eigentliche Grund der Reise von Batscheits „Kleinem Prinzen“ ist, dass sein Heimatplanet B612 – der Prinz teilte ihn mit zwei Vulkanen und einer Rose – nicht mehr existiert. Das Schaf, das der Pilot ihm einst gezeichnet hatte, hat nach der Rückkehr den Maulkorb abgeworfen und die geliebte Blume verspeist. Daraufhin, so Baltscheits Version, warf der Prinz das Schaf vom Planeten, was wiederum die Affenbrotbäume so in die Höhe schießen ließ, das B612 explodierte. Jetzt also ist der Prinz voller Kummer auf der Erde gelandet, und siehe da: Wie im Original begegnen ihm auch hier ichbezogene, in ihre Welt eingeschlossene Menschen.

In Baltscheits Neuinterpretation ist es schließlich eine moderne, in Motiven und Stil stark am Klassiker angelehnte Tour de Force, die der Prinz durchleben muss – eine Polizeibefragung und sogar ein Psychiatrieaufenthalt inklusive. Und zu guter Letzt kommt da auch noch ein porzellanenes Christkind zu Wort – und man fragt sich, ob sich der „Kleine Prinz“ das wirklich alles gefallen lassen muss.

„Eines Tages kann ich Wunder. Das könnte helfen“, lässt Baltscheit uns mit seinem Christkind kurz Hoffnung schöpfen, um es dann doch wieder so irdisch zu machen, dass es so manchen Leserinnen und Lesern die Zehennägel aufringeln wird: „Und wenn wir deinen Freund gefunden haben, feiern wir Weihnachten und schenken uns Dinge, die wir gebrauchen können: ein Navi, ein Kanu, ein Dreirad. Komm! Nimm mich mit und wärme mich mit deinem schönen Lachen. Ich sehe es, du bist ein guter Mensch.“

Bücherhinweis

Martin Baltscheit: Der Kleine Prinz feiert Weihnachten. 96 Seiten, gebunden, 15,50 Euro.

Isabel Pin: Kinder, wenn Euch ein Kleiner Prinz begegnet … Antoine de Saint-Exuperys Der kleine Prinz erzählt für Kinder. Altersempfehlung: 3 bis 6 Jahre, 64 Seiten, 12,40 Euro.

Antoine de Saint-Exupery: Der kleine Prinz. Übersetzt von Hans Magnus Enzensberger. dtv, 128 Seiten, im Taschenbuch 6,20 Euro.

„Entlüfteter“ Prinz von Hans Magnus Enzensberger

Aber zurück zum Original: Die Frage „Kinderbuch oder nicht?“ lässt sich beim Prinzen übrigens eher mit Nein beantworten. Es sei eine wiederkehrende Fehldeutung, dass Bücher "nur weil sie von kleinen Wesen handeln, Kinderbücher sind“, meinte der Verlagsleiter Hans-Gerd Koch kürzlich, „Der kleine Prinz“ sei keine „putzige Erzählung für die Kleinen“. Zu facettenreich und voller Seitenhiebe auf die Skurrilität der Erwachsenenwelt ist die Geschichte, die der damals schon bekannte Saint-Exupery 1943 im New Yorker Exil veröffentlichte. Der Titel „Kinder, wenn Euch ein Kleiner Prinz begegnet …“ soll da jetzt Abhilfe schaffen, eine Version, die sich neben der Kindertauglichkeit für die Kleinsten auch um sprachliche Nähe zum Originaltext bemüht.

Wer übrigens etwas anderes will, der sollte es wohl besser mit der Übersetzung von Hans Magnus Enzensberger versuchen: Anstelle des „Man sieht nur mit dem Herzen gut“ liest man bei Enzensberger ein „Man begreift gar nichts, wenn das Herz nicht dabei ist“. Das klingt gleich viel lapidarer, entspannter und cooler – und ist damit vielleicht auch eine Einladung an alle, die den „Kleinen Prinzen“ bisher peinlich gefunden haben. An Saint-Exuperys Plädoyer gegen soziale Kälte und Fantasielosigkeit ist nämlich – Naivität hin oder her – noch immer was dran.