Hände von Politikern auf einem Tisch
APA/Hans Punz
Duzen in der Politik

Ein Mittel der Machtaneignung

Sprache ist Macht – vor allem in der Politik. Wenn Politiker und Politikerinnen bei TV-Diskussionen beginnen zu duzen, kann man laut Expertinnen also davon ausgehen, dass mehr dahintersteckt als eine freundschaftliche Geste. Denn gerade hinter dem Du-Wort verbirgt sich oft eine große Bedeutung, die weit über die informelle Anrede hinausgeht.

Das Du-Wort kann laut Wirtschaftscoach Christine Bauer-Jelinek mehrere Aufgaben erfüllen: „Einmal ist es ein Zeichen der Zugehörigkeit zu einer Partei oder Gruppe, dann wieder kann es Ausdruck einer persönlichen nahen Beziehung sein. Und wieder ein anderes Mal wird es als Kampfstrategie zur Abwertung oder zur Vereinnahmung des Gegenübers eingesetzt“, so die Autorin von Werken wie „Geheime Spielregeln der Macht“.

Das bestätigt auch die Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak: „Wenn beispielsweise ein Chef seinen Arbeiter duzt, umgekehrt jedoch nicht, ist dies immer auch ein Zeichen von Macht und Machtdemonstration“, sagte Wodak gegenüber ORF.at. In der Soziolinguistik gelte das Du als Versuch, eine bestimmte Nähe und gleiche Ebene herzustellen – unabhängig von Alter und Autorität, so Wodak. Diese Nähe könne jedoch auch unangenehm oder nicht gewollt sein – ausgedrückt wird das dann üblicherweise damit, dass das Du nicht erwidert wird und man beim formellen Sie bleibt.

„‚Du Trottel‘ sagt man schneller als ‚Sie Trottel‘“

So heißt es etwa auch im Duden: „Es ist durchaus möglich, dass sich Menschen bedrängt oder nicht respektiert fühlen, wenn sie ungefragt geduzt werden.“ Ähnlich sah das der ehemalige Kanzler Franz Vranitzky. Als er einmal gefragt wurde, warum er mit dem Du so geize, soll Vranitzky laut „Kurier“ geantwortet haben: „Weil man schneller ,Du Trottel‘ sagt als ,Sie Trottel‘.“

Dass Sprache gerade in der Politik eine enorme Rolle spielt, davon ist Wodak überzeugt: „Sie bietet nicht nur die Möglichkeit, politische Information an die Öffentlichkeit zu bringen und Leute zu informieren, sondern auch auf sie Einfluss zu nehmen und sie von den eigenen Standpunkten zu überzeugen“, so die Sprachwissenschaftlerin. Verbale Kniffe lassen sich vor allem bei TV-Diskussionen beobachten: „Talkshows sind moderne Gladiatorenkämpfe, da muss man das Publikum auch mit Tricks für sich gewinnen, wenn man punkten will“, so Bauer-Jelinek gegenüber ORF.at.

Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP), Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ), ORF-Moderatorin Claudia Reiterer, SPÖ-Bundesparteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner, NEOS-Bundesparteivorsitzende Beate Meinl-Reisinger und Maria Stern, Parteiobfrau von JETZT
ORF
Gernot, Beate und Pamela: Blümel, Rendi-Wagner und Meinl-Reisinger duzten einander in „Im Zentrum“ teilweise

Blümel duzte Oppositionschefinnen

Das Du-Wort fiel auch bei der letzten Folge der ORF-Sendung „Im Zentrum“ des Öfteren. Während Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP) die Oppositionschefinnen konsequent duzte, wechselten sowohl Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) als auch Beate Meinl-Reisinger (NEOS) daraufhin immer wieder unentschlossen zwischen dem formellen Sie und dem informellen Du hin und her. Auch bei Zusehern und Zuseherinnen sorgte die „Duzerei“ – zumindest auf Twitter – für Irritation.

Üblicherweise vereinbaren laut Bauer-Jelinek „erfahrene Politiker und Politikerinnen“ vor einem öffentlichen Auftritt, ob sie einander duzen oder siezen wollen. „Wenn man dies verabsäumt, muss man damit rechnen, vom Gegner durch ein überraschendes Du in Verlegenheit gebracht zu werden.“ Es gebe darauf nämlich keine elegante Reaktionsmöglichkeit – denn übernimmt die geduzte Person das Du, sei das ein Zeichen von Schwäche. Doch auch das Gegenteil erscheine „seltsam“, so Bauer-Jelinek. Sie empfiehlt bei Fernsehdiskussionen im deutschsprachigen Raum grundsätzlich, das Sie zu wählen: „Es wirkt professioneller und ermöglicht die nötige Distanz.“

„Chuzpe“ oder „Retourkutsche“?

Dass das Du-Wort dagegen nicht unbedingt persönliche Nähe herstelle, sondern einen Hintergrund haben könnte, zeigt Wodak an einer von Blümel in „Im Zentrum“ gemachten Aussage. Wörtlich sagte der Kanzleramtsminister zur SPÖ-Parteichefin: „Du warst noch nicht in der Politik, aber die letzten Jahrzehnte war es de facto so, dass die SPÖ-ÖVP-Koalition sehr viel gestritten hat.“

„Im Zentrum“ zu einem Jahr Regierung

Am Sonntagabend diskutierten die Parteispitzen in „Im Zentrum“ darüber, wie sich Österreich in einem Jahr ÖVP-FPÖ-Regierung verändert hat.

„Blümel steckt hier seine Position als Autorität ab und erklärt Rendi-Wagner, was früher war. Dabei setzt er voraus, dass sie, die erst seit Kurzem in der Politik ist, keine Ahnung hat“, analysiert Wodak, die sich an eine Lehrer-Schüler-Situation erinnert fühlt. „Eine ziemliche Chuzpe“, so die Sprachwissenschaftlerin mit Verweis darauf, dass Rendi-Wagner immerhin habilitierte Ärztin ist.

Die „Presse“ geht hingegen davon aus, dass es sich bei der Verwendung des Du-Wortes lediglich um eine „Retourkutsche“ handle, da Rendi-Wagner Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in ihrer Parteitagsrede ebenso nur mit seinem Vornamen angesprochen habe, als sie fragte, was denn der „liebe Sebastian“ all die Jahre gemacht habe.

„Du“-Vereinbarung zwischen Politikern

Neu ist das Duzen in der Politik auf jeden Fall nicht. Bereits 2013 sprach der damalige ÖVP-Chef Michael Spindelegger bei einer TV-Konfrontation Kanzler Werner Faymann (SPÖ) mit du an. Der zeigte sich davon jedoch sichtlich irritiert und siezte zurück. Danach gab es allerdings eine ausdrückliche Vereinbarung, einander in Zukunft auch in der Öffentlichkeit zu duzen – schließlich sei man auch privat seit Langem per Du, so die Erklärung.

Dennoch: Im Fernsehen werde traditionellerweise gesiezt, schrieb Armin Wolf in einem Blog zur Nationalratswahl 2013 über „Wahl-DUelle“ – spätestens, „seit Bruno Kreisky 1975 im ersten heimischen TV-Duell überhaupt seinem ÖVP-Kontrahenten Josef Taus forsch erklärte: ‚Tun’s mich nicht dauernd schulmeistern. Manchmal kommen S‘ mir vor wie a Gouvernante’.“

„Das Du macht Große klein und Kleine groß“

Auch innerhalb der Fraktionen ist es üblich, einander zu duzen. Geht es jedoch über die Parteigrenzen hinweg, kann ein Du weitaus mehr bedeuten, wie es in einer Analyse der „Zeit“ über den TV-Auftritt des FDP-Politikers Christian Lindner und von Robert Habeck (Grüne) Anfang November hieß. Während die Grünen bei der Bayern-Wahl im Oktober die großen Gewinner waren (Platz zwei mit 17,8 Prozent), musste die FDP um den Einzug in den Landtag zittern.

„Christian Lindner jedoch hat Robert Habeck vor allem deshalb dauernd Robert genannt, um eine Gleichrangigkeit herzustellen, die es politisch nicht mehr gibt. Roberts Grüne sind in jene Höhen aufgestiegen, von denen Christians Freidemokraten nur träumen durften. Habeck machte den Fehler, sich auf Lindners Duzen einzulassen, womit er sich und die Grünen verzwergte. Christian wusste das“, so der Autor, der mit folgendem Fazit schloss: „Das Du macht Große klein und Kleine groß.“