Türkische Fahne durch eine zerbrochene Fensterscheibe
Reuters/Baz Ratner
Türkei

Gülen-Neffe zu Haft verurteilt

Ein Gericht in der türkischen Hauptstadt Ankara hat einen Neffen des islamischen Predigers Fethullah Gülen zu sieben Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Die türkische Regierung macht Gülen für den Putschversuch von 2016 verantwortlich. Gülens Neffe Selman Gülen sei wegen „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ der Prozess gemacht worden, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Dienstag berichtete.

Selman Gülen hatte die Anschuldigungen zurückgewiesen und angegeben, seinem Onkel nur einmal im Leben begegnet zu sein. Er warf dem Gericht vor, nur wegen des Verwandtschaftsverhältnisses angeklagt worden zu werden. Bereits im Oktober war Gülens Bruder Kutbettin Gülen unter demselben Vorwurf zu zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt worden.

Gülen lebt seit 1999 im Exil im US-Bundesstaat Pennsylvania. Die türkische Regierung macht ihn für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich. Er weist das zurück und bestreitet jede Verwicklung in den Putschversuch. Seine Bewegung war lange mit der islamisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) von Präsident Recep Tayyip Erdogan verbündet, bevor sich die beiden Männer 2013 im Streit um Macht und Posten überwarfen.

Erdogan beharrt auf Gülen-Auslieferung

Heute wirft Erdogan seinem einstigen Verbündeten vor, systematisch Polizei, Justiz und Militär unterwandert zu haben, um die Macht im Staat zu übernehmen. Erdogan fordert von den USA die Auslieferung Gülens. Laut türkischen Angaben sagte US-Präsident Donald Trump das bereits zu. Das stimme nicht, hieß es nun aus dem Weißen Haus. Trump habe keine Auslieferung Gülens zugesagt. Auf dem G-20-Gipfel in Buenos Aires vor gut zwei Wochen habe es keine solche Zusage Trumps an Erdogan gegeben, sagte ein hochrangiger US-Regierungsvertreter am Montagabend (Ortszeit) in Washington. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte im Parlament in Ankara über angebliche US-Bemühungen zur Ausweisung Gülens berichtet.

Nach Angaben Cavusoglus sprachen Trump und Erdogan am Rande des G-20-Gipfels über die türkische Forderung nach Gülens Auslieferung. „Trump hat gesagt, dass es Bemühungen gibt, vor allem den Terroristenanführer auszuweisen“, sagte Cavusoglu am Montag mit Blick auf Gülen. Die türkische Regierung fordert von den USA die Auslieferung von insgesamt 84 mutmaßlichen Gülen-Anhängern. Das US-Justizministerium teilte mit, man werde „alles neue Material“ überprüfen, das die türkische Regierung in Zusammenhang mit dem Auslieferungsgesuchen zur Verfügung stelle. Eine Entscheidung über eine Auslieferung werde „auf der Basis der Fakten und der relevanten US-Gesetze“ erfolgen.

Verhaftungen gehen weiter

Seit dem Putschversuch greift die Regierung gegen angebliche Terrorverdächtige und Regierungskritiker hart durch. Erst am Montag hatten Staatsanwälte in drei Provinzen mindestens 111 Menschen zur Fahndung ausgeschrieben und im Lauf der Razzien Dutzende Menschen inhaftiert, unter ihnen viele Soldaten. Zwischen dem 10. und dem 17. Dezember allein sollen laut einer am Montag veröffentlichten Stellungnahme des Innenministeriums 421 Menschen wegen angeblicher Verbindungen zu den Putschisten festgenommen worden sein.

Insgesamt sind nach offiziellen Zahlen von Mitte November seit 2016 rund 218.000 Menschen kurz- oder längerfristig in Gefängnissen gelandet. Mehr als 140.000 Menschen wurden aus dem Staatsdienst entlassen. Die international scharf kritisierten Maßnahmen treffen auch Akademiker, Menschenrechtler und Journalisten.

Tausende „wegen Gülen-Verbindung“ verhaftet

Fast 2.000 Menschen wurden wegen des Militärputsches bereits zu lebenslanger Haft verurteilt. Wie die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu am Dienstag meldete, erhielten 987 Menschen lebenslange Haftstrafen und 956 verschärfte lebenslange Haftstrafen. Diese Strafe ersetzt in der Türkei die Todesstrafe und hat härtere Haftbedingungen.

Von 289 Prozessen, die nach dem versuchten Staatsstreich begannen, wurden laut Anadolu bisher 239 beendet – das sind gut 80 Prozent. Von den verbliebenen 50 Verfahren finden 18 in Ankara statt und neun in Istanbul. Laut Anadolu wurden 3.050 Menschen wegen Verbindungen zu Gülen verurteilt, davon 1.123 zu Haftstrafen zwischen einem und 20 Jahren.