NME Magazin
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„NME“, „Spex“, Viva

Das Massensterben der Popmedien

Für Popmedien war 2018 ein fatales Jahr. Der britische „NME“, der über Jahrzehnte tonangebend war, ist seit heuer Geschichte. Mit Jahresende stellt der Musiksender Viva den Betrieb ein – auch die Magazine „Spex“, „Intro“ und „Groove“ sind zum letzten Mal erschienen. Dass klassischen Formaten das Publikum abhandenkommt, ist keine große Überraschung. Tragfähige Geschäftsmodelle sind kaum in Sicht.

Das popmediale Massensterben des Jahres 2018 wird als ein besonders erbarmungsloses in die Mediengeschichte eingehen. Alteingesessene Printtitel wie „Spex“ hat es ebenso erwischt wie den einst einflussreichen TV-Sender Viva. Die Marktbereinigung kennt auch keine inhaltlichen Grenzen: Sie betrifft Magazine für Musikenthusiasten spezifischen Genrezuschnitts wie „Groove“, aber auch auf Masse ausgerichtete Gratismedien wie „Intro“. Und auch in geografischer Hinsicht herrscht wenig Erbarmen.

Popmedien stecken im deutschsprachigen Raum wie im Mutterland der Popmusik, Großbritannien, in der Krise. US-amerikanischen Medien geht es nicht viel besser. Doch so brutal sich die Bilanz lesen mag – große Fassungslosigkeit hat keine der Nachrichten verursacht, sondern höchstens das eine oder andere nostalgische Gefühl ausgelöst. Für alle betroffenen Medien war es ein erwartetes Ende. Die Frage lautete nicht ob, sondern wann.

Neues Konsumverhalten

Für die Verdrängung klassischer Popmedien sorgt vor allem der radikale technische Wandel und ein damit einhergehendes geändertes Konsumverhalten in Sachen Musik. Aus einer Mangelware wurde ein ständig verfügbares Überangebot. Das ist nichts Neues. Neu ist die Deutlichkeit, mit der sich der großflächige Wandel zunehmend zeigt.

Insbesondere der Umstand, dass junge Hörer mit Musikkonsum via Smartphone sozialisiert werden, verändert das mediale Angebot. Hat für eine intensivere Auseinandersetzung einst kein Weg an Musikmagazinen vorbeigeführt, so bedarf es längst keines Medienwechsels mehr. Über Musik wird dort gelesen, wo sie auch konsumiert wird – im Netz.

Mola Adebisi
APA/dpa/Roland Scheidemann
Mola Adebisi – Moderatorenlegende bei Viva

Auch ein Wandel der Wechselwirkungen

Daher bedeutet die Entwicklung keineswegs das Ende des Popjournalismus – der findet längst in einschlägigen Portalen und Plattformen statt. Doch mit dem Aus für viele Popmedien verschwinden Relikte einer Ära, in der die Definitionsmacht bei einigen wenigen Medien konzentriert war, was letztlich auch für Wechselwirkungen zwischen Medien und Musik sorgte. Das war über lange Zeit prägend. Der generelle Wandel ist daher ein äußerst tiefgreifender, der viele Rückkoppelungen verursacht.

Aus nach 66 Jahren

Gerade das Beispiel des „NME“ („New Musical Express“) zeigt, wie sehr sich die Verhältnisse verändert haben. Im März des heurigen Jahres ist das Musikblatt nach genau 66 Jahren zum letzten Mal als Printausgabe erschienen – die Medienmarke existiert online weiter. Die digitale Konkurrenz hatte bereits seit einigen Jahren dafür gesorgt, dass der „NME“ in inhaltlicher Hinsicht in der Bedeutungslosigkeit verschwunden war. Um zu wissen, was Pop-Britannien bewegt, bestand schon lange keine Notwendigkeit mehr, an den Kiosk zu gehen. Digitale Kanäle erwiesen sich als adäquateres Mittel. Die Auflage sank drastisch. Zuletzt erschien das Blatt als Gratismagazin.

Magazin als Hype-Maschine

Zu Hochzeiten des „NME“ war das Magazin ein aktives Element der britischen Musikmaschinerie, das neue Trends und Hypes im Wochenrhythmus ausrief – mitunter in einer Aufgeregtheit, die der britischen Yellow Press in nichts nachstand. Insbesondere die Britpopwelle der 1990er Jahre wurde von großem medialen Getöse begleitet.

Rivalitäten zwischen Bands wurden konstruiert, um dem Musikgeschehen gewisse Seifenopernqualitäten zu verleihen – eine Form der Berichterstattung, die auch das Entstehen von Bands und Künstlern eines gewissen Zuschnitts begünstigte – die bereit waren, das mediale Spiel des „NME“ mitzuspielen. Es ging darum, Stars zu machen oder sie abzumontieren – immer mit einer gehörigen Portion Verklärung und großem Interesse an den Ausschweifungen von Bands und Musikern.

Social-Media-Figuren statt mythischer Ikonen

Daher wird das Ende des traditionsreichen „NME“ und vieler anderer Popmedien nicht nur in Zusammenhang mit dem generellen medialen Strukturwandel gebracht. Mit der Digitalisierung vollzieht sich auch ein kultureller Wandel, der klassische Medien sehr alt aussehen lässt.

Bestand deren Geschäft über lange Zeit im Erschaffen mythischer Ikonen, die größer als das Leben zu sein hatten, so ist der breitenwirksame Popstar von heute eine transparente Social-Media-Figur, beschreibt etwa die „taz“ die Transformation. Genauso haben in einer globalisierten Welt die großen Kreativmetropolen an Strahlkraft eingebüßt. Die verschwundene Definitionsmacht einiger weniger Titel bedeutet im Grunde einen Demokratisierungsprozess. Klassische Gatekeeper haben stark an Bedeutung verloren. Unter solchen Rahmenbedingungen als Printtitel zu bestehen ist schwierig.

Letzte „Spex“-Ausgabe erschienen

Auch „Spex“, das einflussreichste deutschsprachige Musikmagazin, hat heuer angesichts des eingebrochenen Anzeigengeschäfts nach 38 Jahren Schluss gemacht. In den 1980er Jahren wurde das Magazin mit einer Berichterstattung, die über Musik hinausging und auch gesellschaftliche wie poptheoretische Themen miteinbezog, zum relevanten Player und bestimmte den Diskurs. Auch das Ende von „Spex“ war keine Überraschung. Krisen und Neuausrichtungen waren seit Jahren ständige Begleiter. Der Glanz alter Tage war längst verflogen. Identität konnte das Blatt keine mehr finden. Am 17. Dezember ist die finale Ausgabe erschienen.

Auswege aus der Krise sind kaum in Sicht. Und die schwierigen Rahmenbedingungen zeigen sich bei jenen Magazinen, die noch in Print erscheinen, deutlich. Titel wie das deutsche „Rolling Stone“ setzen angesichts mangelnder junger Leserschaft auf die Verwaltung und Kanonisierung der Musikgeschichte. Die goldenen Jahre der Rock- und Popgeschichte sind wichtiger inhaltlicher Kern.

Edle Schuhe und Pommes

Die Ratlosigkeit spiegelt sich aber auch hier in Form von Lifestyle-Themen und Konsumanleitungen wider, die bereits viele andere Popmedien ins Grab gebracht haben. Herrenmode und gehobenes Schuhwerk bestimmen die Anzeigen, als handle es sich beim durchschnittlichen Musikfan um Angehörige des mittleren und höheren Managements, die ihre Authentizität mit einer großen Vinylsammlung zum Ausdruck bringen wollen. Und selbst vor Kulinarik wird nicht haltgemacht: Edle Pommes in Entenfett werden so zum Rock-’n’-Roll-Thema und zeugen davon, dass die Identitätskrise der Popmedien noch länger andauern dürfte.