Rumänin blickt aus einem Zug
picturedesk.com/EPA/Robert Ghement
Binnenmigration

Die mobilsten Europäer

Landläufig gelten Polinnen und Polen seit Jahren als jene, die in besonders großen Zahlen ihr Land verlassen, um in einem anderen EU-Staat einen Job zu suchen und damit ihren Lebensmittelpunkt verlagern. Tatsächlich sind es aber Bürgerinnen und Bürger jenes Landes, das von Österreich den EU-Vorsitz übernommen hat: Rumänien.

Das hat meist freilich klare wirtschaftliche und soziale Ursachen: Die Lebenssituation ist oft vergleichsweise schlecht, und es fehlt vor allem an Jobs. In den Zielländern sind die Menschen wiederum – gerade in bestimmten Branchen wie Pflege – fast unersetzliche Arbeitskräfte.

Rumänen sind dabei nicht nur relativ zur Gesamtbevölkerung, sondern auch in absoluten Zahlen innerhalb der EU am mobilsten: Laut Datenbank der EU-Statistikbehörde Eurostat leben 2017 3,2 Millionen Rumänen im EU-Ausland (Großbritannien eingerechnet, Anm.). Das waren 14,04 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes. In absoluten Zahlen Nummer zwei ist Polen – allerdings mit 700.000 Personen Abstand: 2,5 Mio. Polinnen und Polen oder 6,16 Prozent leben demnach in einem anderen EU-Land. Prozentuell gesehen ist allerdings Litauen mit 11,33 Prozent (365.000 Menschen) das zweitmobilste Land.

Wenig Arbeitsmigration aus Griechenland

Portugal ist mit Abstand jenes Mittelmeer-Land, das am meisten Abwanderung in andere EU-Staaten verzeichnet – 1,2 Millionen Menschen oder beinahe elf Prozent. Überraschend niedrig angesichts der schweren Wirtschaftskrise des Landes ist die Abwanderung aus Griechenland mit 4,4 Prozent. Luxemburg wiederum ist aufgrund seiner zentralen Lage und Kleinheit traditionell ein Land, aus dem viele hinausmigrieren – aber auch viele, auf Zeit, zuwandern.

Grafik zu Bürgern im EU-Ausland
Grafik: ORF.at; Quelle: Eurostat

Kroatien auf Platz fünf

Kroatien ist ebenfalls stark von Abwanderung betroffen. Das Land ist mit fast zehn Prozent der Bevölkerung (451.000 Menschen) an fünfter Stelle. Aus der Slowakei wanderten gut sechs Prozent ab. Die Migration aus Ungarn ist dagegen mit 4,25 Prozent relativ niedrig. In Slowenien beträgt die Rate 3,1 Prozent, in Tschechien liegt sie mit 1,6 Prozent sogar deutlich unter dem heimischen Wert.

Hinweis zu den Daten

Zypern und Malta sind nicht berücksichtigt. Von ihnen gibt es keine oder nur unvollständige Daten.

Österreich liegt, was die Mobilität betrifft, im Mittelfeld: Gut drei Prozent oder 240.000 Personen sind im EU-Ausland gemeldet. Im unteren Bereich der Skala finden sich die zwei EU-Schwergewichte Frankreich und Deutschland, mit jeweils 1,17 Prozent der Bevölkerung. Das hat einerseits mit der wirtschaftlichen Stärke und andererseits mit der Größe des Landes zu tun. Beide Faktoren wirken dämpfend auf Abwanderung, die generell ganz überwiegend berufliche Gründe hat. Andere Migrationsgründe – private Beziehungen, Pensionsmigration in ein Land mit niedrigeren Lebenskosten oder angenehmerem Klima oder zur Ausbildung – fallen statistisch vergleichsweise viel weniger ins Gewicht.

Die Sicht der Ökonomen auf Mobilität

Auch, um die EU im globalen Wettbewerb zu stärken, forciert die EU-Kommission seit Jahren die Mobilität ihrer Bürgerinnen und Bürger. Dabei zielt sie einerseits vor allem auf Auszubildende – ob in Schule, an Unis oder Lehrlinge – und auf Arbeitskräfte ab. Brüssel versucht die nicht zuletzt für Unternehmen förderliche Beweglichkeit durch verschiedene Initiativen zu fördern – von Stipendienprogrammen bis hin zu EU-weiten Jobbörsen.

Makroökonomisch gilt die Mobilität auch als wichtiger Faktor, um Wirtschaftsschocks regional abzufedern. So kam eine Untersuchung bereits 2013 zum Schluss, dass in mittel- und osteuropäischen EU-Staaten die Abwanderung nach 2009 deutlich stärker als in den EU-15-Staaten (inklusive Österreich, Anm.) war. Und Mobilität gilt demnach auch als Schlüssel für das Funktionieren der Währungsunion.

Personenfreizügigkeit ist eine der vier Grundfreiheiten, die die Basis des Binnenmarkts und der Union bilden. Politisch ist die Personenfreizügigkeit ein heikleres Thema als diejenige des Güterverkehrs. Die Interessen der Länder mit EU-interner Nettozuwanderung spießen sich oft mit jenen mit Nettoauswanderung. Für letztere, es handelt sich sämtlich um die wirtschaftlich schwächeren Staaten, ist etwa der Geldstrom, der von den im EU-Ausland Lebenden ins eigene Land zurückfließt, oft volkswirtschaftlich wichtig.

Italien Zielland Nummer eins

Für rumänische Binnenmigranten ist Italien mit Abstand das erste Ziel. Mehr als eine Million der 3,2 Mio. Personen mit rumänischem Pass befinden sich dort. An zweiter und dritter Stelle folgen Spanien mit fast 700.000 und Deutschland mit 500.000. Österreich ist das sechstwichtigste Zielland mit gut 90.000. In Relation zur eigenen Bevölkerung ist das freilich ein deutlich höherer Anteil als in Deutschland. Österreich ist zugleich unter diesen Ländern das geografisch nächstgelegene.

Konkreter Fall: Entsenderichtlinie

Eine Konfliktzone bei der Frage innereuropäische Mobilität war erst vor wenigen Monaten politisch entschärft worden: Nach jahrelangem Ringen hatten sich EU-Kommission, EU-Parlament und die nationalen Regierungen im Frühjahr 2018 auf eine Novelle der Entsenderichtlinie geeinigt. Die Union verschärfte damit die Regeln für den Einsatz von Arbeitskräften aus Niedriglohnländern in reichere EU-Staaten.

Mehrere osteuropäische EU-Länder, darunter Polen, Litauen, Lettland und Ungarn, stimmten nur widerwillig zu. Sie befürchten die Kündigung von Beschäftigten. Viele Arbeiter in ihren Ländern würden ihren Job verlieren, und außerdem gebe es negative Auswirkungen auf die Klein- und Mittelbetriebe im eigenen Land, betonten sie.

Die Entsendung von Arbeitern werde auf 18 Monate – zwölf Monate mit Option auf Verlängerung um weitere sechs – beschränkt. Und im Zielland müssen sie die gleichen Löhne erhalten wie Einheimische. Die Verschärfung war vor allem vom neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron, aber auch von Österreich (noch unter der SPÖ-ÖVP-Regierung) gefordert worden. 2016 gab es 2,3 Millionen Arbeiter, die in andere EU-Staaten geschickt wurden – um zwei Drittel mehr als noch 2010.