EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
Reuters/Eric Vidal
Juncker-Kritik

„So kann Europa nicht funktionieren“

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat heftige Kritik an den EU-Staaten geübt. Vor allem beim Thema Grenzschutz sprach er in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ erneut von einer „himmelschreienden Heuchelei“. Die geplante Aufstockung der Grenzschutzagentur Frontex war unter österreichischer Ratspräsidentschaft um mehrere Jahre verschoben worden.

Gerade diejenigen, die bisher den unterentwickelten Außengrenzschutz lautstark kritisiert hätten, wollten sich nicht engagieren, kritisierte Juncker: „So kann Europa nicht funktionieren. Wir müssen schnell handeln, damit wir vorbereitet und die EU-Außengrenzen auch wirklich unter Kontrolle sind.“

Die Kommission sei aufgefordert worden, die Kontrolle der Küsten aufzubauen und zu verstärken. Die EU-Kommission hatte daraufhin im September vorgeschlagen, Frontex bis 2020 eine ständige Reserve von 10.000 Einsatzkräften zur Verfügung zu stellen – rund 8.500 mehr als heute.

Aufstockung bis 2027?

Der Schutz der Außengrenze wurde von den Staats- und Regierungschefs im Juni zur Priorität erklärt, geblieben ist davon wenig. Beim EU-Gipfel im Dezember einigten sich die EU-Staaten darauf, das Frontex-Mandat auf die Zusammenarbeit mit Nicht-EU-Staaten auszuweiten und Abschiebungen leichter durchführen zu können. Die Aufstockung von Frontex wurde aber verschoben.

Frontexbeamter im Hafen von Lesbos
Reuters/Giorgos Moutafis
Frontex-Beamte sind an der EU-Außengrenze wie hier auf der griechischen Insel Lesbos im Einsatz

Die österreichische Ratspräsidentschaft hatte nach Kritik an dem Vorschlag der EU-Kommission einen Kompromiss vorgelegt. Die ständige Reserve soll erst bis 2027 statt bis 2020 auf die Zahl von 10.000 Beamte und Beamtinnen aufgestockt werden. Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) hatte Anfang Dezember von 2025 als „machbaren Zeitplan“ gesprochen.

Kurz unterstützt „eisern“ Kommissionsvorschlag

Dieses Ergebnis verärgerte Juncker. Zwei Jahre hätten alle EU-Staats- und Regierungschefs einen besseren Schutz der europäischen Außengrenze gefordert. „Und jetzt kommen plötzlich von vielen Seiten Bedenken. Das sei ein Eingriff in die nationale Souveränität, alles ginge viel zu schnell und die Zahlen seien zu hoch gegriffen“, brachte Juncker seinen Ärger gegenüber der „Welt“ vor.

Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte in seiner Bilanzrede zur EU-Präsidentschaft „eisern“ den Kommissionsvorschlag der Aufstockung bis 2020 unterstützt. Die personelle Aufstockung werde aber leider von einigen Mitgliedstaaten – oft jene an der Außengrenze – blockiert, so Kurz. Entsprechend wird auch Österreich im ersten Halbjahr 2019 den Einsatz bei Frontex nicht zusätzlich verstärken, hieß es kürzlich aus dem Innenministerium. Von Jänner bis Juni werden nun 284 Beamte für die EU-Grenzschutzagentur abgestellt.

Juncker bietet frühere „Post-Brexit“-Gespräche an

Gegenüber der „Welt am Sonntag“ nahm Juncker auch zum Brexit Stellung und betonte, dass entgegen mancher Andeutungen es nicht die Intention der EU sei, mit allen Mitteln Großbritannien in der Union zu halten. Er gehe davon aus, dass die Briten die EU verlassen. Entsprechend bot Juncker Großbritannien an, die Gespräche über die Beziehungen zur EU nach dem Brexit vorzuziehen.

Man müsse nicht bis zum offiziellen Austrittstermin am 29. März warten. Es sei bereits möglich, am Tag nach der für Mitte Jänner geplanten Abstimmung im britischen Unterhaus mit den Vorbereitungen zu beginnen. Allerdings forderte der Kommissionspräsident eine klare Ansage von Großbritannien zu den künftigen Beziehungen zur EU: „Mein Appell ist: Rauft euch zusammen und sagt uns dann Bescheid, was ihr denn nun wollt.“ Da Großbritannien die EU verlassen wolle und nicht umgekehrt, müsse London Lösungen vorschlagen.