Luftansicht eines bewirtschafteten Feldes
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Schwieriger Spagat

EU sucht „grüne Ziele“ im Agrarlabyrinth

Die EU will die Ausgaben für die Agrarpolitik in den kommenden Jahren deutlich senken. Zugleich hat man sich hohe Ziele gesteckt, was Klima-, Umwelt- und Artenschutz in der Landwirtschaft betrifft. Fachleute bezweifeln, dass der Spagat gelingt – nicht zuletzt, weil an der falschen Stelle gespart werde.

Derzeit laufen auf EU-Ebene die Verhandlungen über das langfristige EU-Budget für die Jahre 2021 bis 2027. Der größte Ausgabenposten sind Gelder für die Landwirtschaft. Und so bietet sich Brüssel und den Mitgliedsstaaten wieder einmal die Möglichkeit, die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) grundlegend umzumodeln. Nach Ansicht von Kritikerinnen und Kritikern ist das bitter nötig.

In ihrer jetzigen Form kämen die Förderungen hauptsächlich der Agrarindustrie zugute, befeuerten das Höfe-Sterben und gingen an den selbst gesteckten EU-Zielen in der Umwelt- und Klimapolitik vorbei – zu diesem Schluss kommen die Autorinnen und Autoren des kürzlich erschienenen „Agrar-Atlas 2019“, der von der den deutschen Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung und Umweltschutzorganisationen wie Global 2000 herausgegeben wird.

Warnung vor Renationalisierung

Die GAP ruht auf zwei Säulen: einerseits den Direkthilfen für landwirtschaftliche Betriebe, andererseits der Förderung des ländlichen Raumes. An diesem Modell will die EU-Kommission auch in Zukunft nicht rütteln. Der Anteil der Ausgaben für die Agrarpolitik am langjährigen Budget soll aber deutlich sinken, von derzeit 38 Prozent auf unter ein Drittel. Zwischen 2021 bis 2027 sollen jährlich 52 Milliarden Euro für Direktzahlungen und Strukturprogramme ausgeschüttet werden – bisher waren es 58.

Zwei Traktoren auf einem Feld
ORF.at/Christian Öser
Die EU-Kommission will auch in Zukunft am Zwei-Säulen-Modell in der GAP festhalten

Die EU-Kommission will die Agrarpolitik künftig auch anders organisieren. Den Staaten wird bei der Verwendung der GAP-Mittel deutlich mehr Flexibilität eingeräumt. Der Kommissionsvorschlag sieht vor, dass die Brüsseler Behörde wirtschaftliche, ökologische und soziale Ziele vorgibt. Die Länder arbeiten Pläne aus, mit denen sie erreicht werden sollen, die wiederum die Kommission absegnen muss.

„Wir können nicht jedes einzelne Detail dessen, was die Landwirte zu tun haben, von Brüssel aus entwerfen und vorschreiben“, sagt der hochrangige Kommissionsbeamte Tassos Haniotis der Plattform Euractive. Kritiker wie der grüne Europaabgeordnete Thomas Waitz sprechen dagegen von einer „Renationalisierung“ der Agrarpolitik. „Wenn 27 Länder alle unterschiedliche Förderprogramme haben, dann wird das nicht nur zu höchst ungleichen Bedingungen führen, sondern auch zu Marktverzerrungen“, sagt er gegenüber ORF.at.

Schieflage bei Direktzahlungen

90 Prozent der Direktzahlungen sind „entkoppelt“, wie es im Fachjargon heißt. Ihre Höhe richtet sich nicht nach der Ertragsmenge, etwa wie viele Tonnen Getreide geerntet wurden. Vielmehr ist sie an die Fläche gebunden, unabhängig davon, ob sie bewirtschaftet wird oder nicht. „Da die Betriebe in der EU sehr unterschiedlich groß sind, hat sich eine Schieflage ergeben“, heißt es dazu im „Agrar-Atlas 2019“. 80 Prozent der Direktzahlungen gingen an gerade einmal ein Fünftel der Berechtigten.

Im Zuge einer früheren GAP-Reform wurde ein Teil der Direktzahlungen an Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen gebunden. Gebracht hat das nach Ansicht des Europäischen Rechnungshofes und Umweltorganisationen aber wenig. Ab 2021, schlägt die Kommission vor, sollen stattdessen die Staaten Umweltprogramme für den Agrarbereich ausarbeiten und dafür EU-Geld erhalten.

„Capping“

Hinter dem Begriff „Capping“ steht die Idee der EU, Direktzahlungen an Betriebsinhaberinnen und -inhaber ab 60.000 Euro zu kürzen und für Zahlungen über 100.000 Euro je Betrieb zu deckeln. Die Arbeitsleistung soll dabei laut Kommission umfassend berücksichtigt werden.

Säule zwei dagegen „gilt als der ökologische und soziale Teil der EU-Agrarpolitik“, so der „Agrar-Atlas“. Mit Mitteln aus diesem Topf werden nationale Projekte kofinanziert. Die Gelder für die ländliche Entwicklung helfen, so das Ziel der EU, Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und eine ausgewogene regionale Entwicklung zu fördern. Sie ermöglichen es den Staaten – sofern geeignete Projekte vorliegen – Maßnahmen gegen drängende Probleme wie Erderwärmung oder Landflucht auf den Weg zu bringen. Ein richtiger Ansatz, sagen Fachleute. Ebenfalls positiv bewerten sie die Idee einer Förderobergrenze bei den Direktzahlungen, „Capping“ genannt.

„Es müsste genau umgekehrt sein“

Dass die EU-Kommission aber bei der ländlichen Entwicklung deutlich mehr einsparen will als bei den Direktzahlungen, sorgt für heftige Kritik – besonders in Österreich: „Ich halte den Kommissionsvorschlag für falsch, dass man die Flächenprämien nur ganz wenig kürzen möchte und die ländlichen Entwicklungsmittel wesentlich stärker. Es müsste genau umgekehrt sein“, sagt der frühere österreichische EU-Kommissar und ÖVP-Politiker Franz Fischler gegenüber ORF.at.

Franz Fischler (Forum-Alpbach-Präsident) und ÖVP-Generalsekretärin Elisabeth Köstinger
APA/Barbara Gindl
Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) und Ex-EU-Kommissar Fischler lehnen Kürzungen bei der Förderung der ländlichen Entwicklung ab

Während Österreich insgesamt ein „Nettozahler“ ist – sprich mehr ins EU-Budget einzahlt, als es herausbekommt –, ist es bei den Geldern für die ländliche Entwicklung Nettoempfänger. Mit den Geldern werden unter anderem die Ausgleichszulage für Bergbauern, Biozuschläge sowie das Österreichische Programm für umweltgerechte Landwirtschaft (ÖPUL) finanziert. Zwei Drittel aller Gelder, die in Österreich über die zweite Säule ausgegeben werden, seien umweltrelevant, sagt Waitz, der ebenfalls fürchtet, „dass man am falschen Ende kürzt“. In Deutschland sei es gerade einmal ein Drittel, in den Niederlanden liegt der Wert dem Grünen zufolge bei unter zehn Prozent.

Die EU-Kommission will den Staaten die Möglichkeit geben, 15 Prozent der GAP-Mittel von einer Säule in die andere zu verschieben. „Die Logik der Maßnahme ist nicht nachvollziehbar“, kritisiert Fischler: „Es sollte nicht vorher möglichst viel weggestrichen werden, damit hinterher wieder ein bisschen dazukommt.“ Wichtig sei die ländliche Entwicklungspolitik grundsätzlich für alle Mitgliedsstaaten, „und dass diese Verschiebung daher (…) ein zusätzliches Element sein sollte“, so Fischler weiter.

Frage der Strukturen, nicht der Größe

Dass, wie oft kolportiert, die großen Länder Anhänger der Direktzahlungen seien und die kleinen die zweite Säule bevorzugen würden, stimme so nicht, sagt der ehemalige EU-Kommissar: Das Match verläuft zwischen Ländern mit Großstrukturen – etwa den östlichen EU-Staaten mit ihren früheren Kolchosen – gegen solche mit kleinen Strukturen. Tschechien, die Slowakei, Polen und Ungarn etwa würden Direktzahlungen deswegen so vehement verteidigen, sagt Fischler.

Untermauern lässt sich das mit Zahlen aus dem „Agrar-Atlas“: In der Slowakei etwa gehen 94 Prozent der Direktzahlungen an gerade einmal ein Fünftel der landwirtschaftlichen Betriebe. Auch in vielen der anderen 2004 zur EU gekommenen Staaten liegen die Werte bei über 80 Prozent (in Österreich dagegen bei nur 58 Prozent).

Köstinger: Kürzungen „nicht akzeptabel“

Kritik an den Kürzungen kam unmittelbar nach der Präsentation der Kommissionspläne auch von Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP). Gegenüber ORF.at bekräftigt sie ihre Vorbehalte: Auch wenn der EU wegen des Brexits insgesamt weniger Geld zur Verfügung stehe, seien die Kürzungen im Bereich der ländlichen Entwicklung „nicht akzeptabel“: „Das ist ein Angriff auf den ländlichen Raum, unsere bäuerlichen Familienbetriebe und schlussendlich auch auf den Umwelt- und Klimaschutz in der Landwirtschaft“, so Köstinger.

Kühe auf einem Bauernhof
ORF.at/Christian Öser
Viehhaltung: Das Match verläuft mehr zwischen Ländern mit großen und jenen mit kleinen Strukturen, weniger zwischen großen und kleinen Staaten

Die geplanten Kürzungen in der zweiten Säule bedeuteten für Österreich jährliche Einbußen von 82 Mio. Euro, heißt es dazu aus dem Landwirtschaftsministerium. Bei den Verhandlungen über das langfristige EU-Budget pochen Österreich und einige andere Staaten wie die Niederlande und Schweden darauf, dass der Haushalt nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs – anders als von Kommission, Europaparlament und einigen Ländern gefordert – nicht erhöht werden soll.

Warten aufs Geld

Im Kommissionsvorschlag findet sich zudem ein weiteres, ambitioniertes Ziel: 40 Prozent der gesamten GAP-Mittel sollen künftig zum Klimaschutz beitragen. Wie man dieses Vorhaben erreichen will, sei allerdings unklar, kritisiert der Europäische Rechnungshof: Die vorgeschlagene Reform sehe zwar Instrumente vor, um diese Ziele zu erreichen, diese seien aber weder klar definiert noch in quantifizierte Vorgaben umgesetzt worden, hieß es. Daher bleibe unklar, wie eine umweltfreundlichere GAP bewertet oder gemessen werden könnte.

Mit einer raschen Entscheidung, was die Ausgestaltung der künftigen EU-Agrarpolitik betrifft, ist so schnell nicht zu rechnen. In der Diskussion müsse man derzeit die Verhandlungen über das langfristige EU-Budget und die Weiterentwicklung der GAP nach 2020 trennen, heißt es aus Köstingers Ressort: „In den Verhandlungen zur GAP wurde immer wieder von den Mitgliedsstaaten betont, dass die technische Ausgestaltung vom Budget abhängig ist, zum Beispiel im Bereich der Umwelt- und Klimaambitionen.“