Ältere Frau mit Baby
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China

Supermacht in demografischer Falle

Die seit 2016 geltende Zweikindpolitik brachte in China nicht die erhoffte Entspannung in der Bevölkerungsentwicklung – die Zahl der Geburten ist sogar zurückgegangen. Der Abwärtstrend sei kaum zu stoppen, sagen Experten. Für die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt verheißt das nichts Gutes.

In der chinesischen Kultur steht jedes Jahr unter einem von zwölf Tierkreiszeichen – kombiniert mit einem von fünf Elementen. In diesem am 5. Februar gestarteten Jahr fällt das ohnehin glückbringende Schwein mit dem Element der Erde zusammen, was gute Eigenschaften verstärken und negative Strömungen ausgleichen soll. Eine Erdschwein-Konstellation gibt es nur alle sechs Jahrzehnte.

In diesem speziellen Jahr erhofft sich das offizielle China eine Trendwende bei einer Entwicklung mit Sprengkraft: Die Geburtenrate ist im Vorjahr auf den tiefsten Stand seit 1949 gefallen. Sie betrug 2018 nach Angaben der Regierung in Peking nur noch 10,9 Neugeborene pro 1.000 Einwohner. Damit wurden mit 15,2 Millionen Babys zwei Millionen weniger geboren als noch 2017, wo es auch schon ein Minus gab.

Grenze fiel, Geburtenrate auch

China verfolgte jahrzehntelang eine Einkindpolitik, um das Bevölkerungswachstum einzudämmen. 2016 lockerte die Regierung aus Sorge vor einer alternden Bevölkerung und dem damit verbundenen Arbeitskräftemangel die Regelung. Seither dürfen chinesische Paare höchstens zwei Kinder haben. Allerdings stieg die Geburtenrate nicht wie erwartet an, im Gegenteil.

Menschen in Peking
AP/Mark Schiefelbein
In China wurde diese Woche das Jahr des Erdschweins begrüßt

„Aus theoretischer Sicht wird der langfristige Rückgang, insbesondere wenn er von einer ständig alternden Bevölkerung begleitet wird, sehr ungünstige soziale und wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen“, warnte die staatsnahe Chinesische Akademie für Sozialwissenschaften (CASS) Anfang Jänner in ihrem „Grünbuch über Bevölkerung und Arbeit“.

2030 ein Viertel der Bevölkerung älter als 60

Und die chinesische Bevölkerung altert rapide: Ende 2016 waren 16,7 Prozent älter als 60 Jahre, allein 2017 sank die Erwerbsbevölkerung um 5,8 Millionen Menschen. 2030 wird Prognosen zufolge ein Viertel Chinas älter als 60 Jahre sein. Die Konsequenzen für den Arbeitsmarkt und damit auch die wirtschaftliche Stärke des Landes dürften enorm sein: „Das grenzenlose Angebot von Arbeitskräften war eine wichtige Voraussetzung für das rasante Wachstum und die relative Überlegenheit der chinesischen Wirtschaft“, hielt CASS fest.

Der Abwärtstrend sei womöglich nicht mehr rückgängig zu machen, sagte unlängst der im US-Bundesstaat Wisconsin tätige Forscher Yi Fuxian. Die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter gehe zurück, und Paare würden sich angesichts steigender Kosten für Bildung, Gesundheit und Wohnen mit der Gründung einer Familie zurückhalten. Yi forderte die Regierung auf, sich nicht mehr in die Familienplanung einzumischen und die staatliche Geburtenkontrolle ganz aufzuheben.

Neue Normalität

Außerdem müsse es mehr Anreize zur Familiengründung geben wie bezahlten Mutterschaftsurlaub und Steuererleichterungen für Eltern. Wenn die Regierung jetzt nicht einschreite, „wird Chinas Alterskrise noch schlimmer als in Japan“, warnte Yi. Denn Untersuchungen würden zeigen, dass drei von vier Einkindfamilien unter den derzeitigen Umständen gar kein zweites Kind wollen. „Früher dachten die Leute, zwei oder drei Kinder zu haben ist normal. Jetzt sind sie daran gewöhnt, nur ein Kind zu haben, und empfinden das als passend“, sagte Huang Wenzheng, Experte für Demografie.

Chinesische Briefmarke
AP/Imaginechina

Doch Chinas Führung will weiter gegensteuern: Ein Anzeichen, dass eine völlige Aufhebung der verordneten Familienplanung bevorstehen könnte, bietet eine zu Neujahr herausgegebene Briefmarke. Das Motiv „Glückliche Familie“ zeigt ein Schweinepaar mit gleich drei Ferkeln. China hatte bereits das offizielle Abgehen von der Einkindpolitik mit einer eigenen Briefmarke eingeleitet: 2016, im Jahr des Affen, brachte die staatliche Postagentur eine Marke mit einer Affenmutter und ihren beiden Jungen heraus.

Das – noch – bevölkerungsreichste Land der Welt muss jedenfalls dringend eine Strategie ausarbeiten, um mit dem Rückgang der Erwerbstätigen und der Überalterung fertig zu werden, heißt es in dem aktuellen Grünbuch der CASS. Zumal das Bevölkerungswachstum den Prognosen zufolge in absehbarer Zeit ein Ende finden wird: Für 2029 wird ein Höchststand von über 1,4 Milliarden vorhergesagt, danach würde eine lange Phase des „unaufhaltsamen“ Rückgangs beginnen. Damit dürfte Indien China demnächst als bevölkerungsreichstes Land der Welt überholen. In Indien lebten 2018 rund 1,34 Milliarden Menschen, die Geburtenrate ist wesentlich höher als in China.

Friedhof
AP/Imaginechina
Auf Chinas Friedhöfen geht der Platz aus

Auf einen Teilaspekt dieser Entwicklung machte vor einigen Wochen der Deutschlandfunk aufmerksam. In China sterben jedes Jahr etwa zehn Millionen Menschen, in vielen Metropolen fehlt Platz auf den Friedhöfen. Liu Peng, Chef einer der größten Beerdigungsfirmen in Peking, wurde so zitiert: „In Städten wie Peking oder Schanghai kostet ein Grab mehr als 100.000 Yuan, fast 13.000 Euro. Auf den Quadratmeter gerechnet ist das teurer als eine Immobilie.“

„China ist in eine Falle geraten“

„China ist in eine Falle geraten: Die niedrige Geburtenrate und die alternde Bevölkerung werden die wirtschaftliche Entwicklung behindern“, sagte Ökonom Yi gegenüber der „Global Times“. In den nordöstlichen Provinzen sei die Geburtenziffer mit 0,55 Kindern pro Frau die niedrigste der Welt.

Dass die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt 2018 so schwach gewachsen ist wie seit fast drei Jahrzehnten nicht, liegt zwar primär an dem Handelskonflikt mit den USA sowie der Ausgabenzurückhaltung Pekings, um die hohe Staatsverschuldung, finanzielle Risiken und Umweltschäden abzumildern. Die demografische Entwicklung aber spielt auch im Jahr des Schweins gegen China.