Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro
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„Ideologische Säuberung“

Bolsonaros schwarze Liste wird länger

Ausstieg aus dem UNO-Migrationspakt, weniger Schutz für den Amazonas oder die ideologische „Säuberung“ der Ministerien: In seinen ersten Amtstagen hat Brasiliens neuer ultrarechter Präsident Jair Bolsonaro mit der Umsetzung seiner Agenda begonnen. Und erinnert dabei stark an sein Idol US-Präsident Donald Trump.

Brasilien steigt nach Angaben der Vereinten Nationen aus dem weltweiten Migrationspakt aus. Das sagte ein UNO-Sprecher der dpa zuletzt. Unter Führung von Bolsonaro folgt das Land damit den USA, Ungarn, der Tschechischen Republik, Israel und Polen, die gegen den Pakt stimmten – Österreich enthielt sich seiner Stimme. Unter Amtsvorgänger Michel Temer hatte Brasilien den Pakt im Dezember zusammen mit mehr als 150 Ländern noch angenommen.

„Es ist immer bedauernswert, wenn ein Mitgliedsstaat sich von einem multilateralen Prozess löst, vor allem von einem, der nationale Eigenheiten so sehr respektiert“, sagte UNO-Sprecher Stephane Dujarric. Das rechtlich nicht bindende UNO-Dokument soll Grundlagen für „sichere, geordnete und reguläre Migration“ schaffen. Die 23 Ziele der Vereinbarung enthalten Lösungsansätze für Staaten, etwa zu Fragen rund um Schlepperkriminalität und den Grenzschutz.

Ausstieg aus Pakt als Wahlversprechen

Bolsonaro hatte die Vereinbarung am Mittwoch auf Twitter kritisiert. Sein Land würde „Hilfe für Bedürftige niemals ablehnen, aber Migration kann nicht willkürlich sein“, schrieb der Rechtspopulist. „Brasilianer und die hier lebenden Einwanderer werden sicherer sein mit Regeln, die wir selbst bestimmen, ohne Druck von außen.“ Schon zuvor hatte Bolsonaro einen Ausstieg aus dem Pakt versprochen.

„Bolsonaro richtet sich gegen Menschenrechte“

Der ehemalige Fallschirmjäger und langjährige Abgeordnete hatte im Oktober die Präsidentschaftswahl mit dem Versprechen gewonnen, Korruption und Kriminalität zu bekämpfen und die Wirtschaft anzukurbeln. Vergeblich prangerten Gegner seine rassistischen, frauen- und schwulenfeindlichen Äußerungen an sowie sein unverblümtes Lob für die brasilianische Militärdiktatur der Jahre 1964 bis 1985.

Demonstranten in Sao Paolo
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„Er nicht!“ – mit dieser Parole protestierten viele Brasilianer und Brasilianerinnen gegen Bolsonaro, jedoch erfolglos

„Der neue Präsident ist mit einem Diskurs an die Macht gekommen, der sich offen gegen die Menschenrechte und gegen die historisch ungeschützten Gruppen der Bevölkerung richtet“, schrieb etwa die Amerika-Chefin von Amnesty International, Erika Guevara-Rosas, auf Twitter.

USA zu „Freund“ Brasiliens erklärt

Bereits bei seinem Amtsantritt am vergangenen Dienstag erklärte Bolsonaro martialisch, wieder „für Ordnung im Land“ sorgen zu wollen. In einer seiner ersten Anordnungen strich er den Schutz für Homosexuelle und Transsexuelle aus der Zuständigkeit des Ministeriums für Frauen, Familie und Menschenrechte.

Gleichzeitig erklärte der glühende Trump-Fan die USA zu Brasiliens „Freund“: In Brasilien sei es Tradition gewesen, „Präsidenten zu wählen, die aus irgendeinem Grund Feinde (der USA) waren. Das ist nun vorbei.“

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro
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Bolsonaro bekräftigte seine Pläne für eine konservative Wende und kündigte eine enge Partnerschaft mit den USA an

US-Außenminister Mike Pompeo sagte, er sehe gute Chancen für eine Neugestaltung der bilateralen Beziehungen. Trump sei „sehr zufrieden“ über die Richtung, in die sich das Verhältnis zwischen den beiden Ländern entwickle. Pompeo äußerte die Hoffnung auf eine bessere wirtschaftliche und sicherheitspolitische Zusammenarbeit.

In seinem ersten Fernsehinterview nach dem Amtseid sagte Bolsonaro zudem, er könne sich eine US-Militärbasis in seinem Land durchaus vorstellen. Seine Annäherung an die USA beruhe auf der Wirtschaft, sie könne sich aber auch aus militärischen Gründen ergeben, fügte Bolsonaro hinzu. Brasiliens bisherige Regierungen hätten die Streitkräfte „in den vergangenen 20 oder 25 Jahren“ aus politischen Gründen vernachlässigt, denn sie seien das „letzte Hindernis auf dem Weg zum Sozialismus“ gewesen.

„Wir brauchen unser eigenes Guantanamo“

Ein Verbündeter Bolsonaros sprach sich unterdessen für ein Gefangenenlager in Brasilien nach dem Vorbild des umstrittenen US-Lagers Guantanamo auf Kuba aus. Der Gouverneur des Bundesstaats Rio de Janeiro, Wilson Witzel, sagte in einer Rede vor Polizisten: „Wir brauchen unser eigenes Guantanamo.“ „Terroristen“ müssten an Orte gebracht werden, „wo die Gesellschaft völlig frei von ihnen ist“.

Wie Trump beschloss er zudem die Verlegung der brasilianischen Botschaft in Israel nach Jerusalem. Der endgültige Status Jerusalems ist einer der größten Streitpunkte im Nahost-Konflikt. Sowohl Israel als auch die Palästinenser beanspruchen Jerusalem als Hauptstadt für sich – Israel die gesamte Stadt, die Palästinenser den Ostteil Jerusalems. Wegen des ungeklärten Status der Stadt war es lange Zeit diplomatischer Konsens, dass ausländische Staaten ihre Botschaft nicht in Jerusalem ansiedeln.

Ideologische „Säuberung“ der Ministerien

Auch macht Bolsonaro Ernst mit der angekündigten „Säuberung“ der Verwaltung: Angestellte in den Ministerien, die mit der Regierung ideologisch nicht auf einer Linie liegen, sollen entlassen werden, wie Staatsminister Onyx Lorenzoni nach der ersten Kabinettssitzung am Donnerstag sagte. Die Regierung werde das „Haus säubern“.

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro und seine Ehefrau Michelle Bolsonaro
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Für die einen ist Bolsonaro eine Art Retter des Landes, andere sehen in ihm eine Gefahr für Brasiliens Demokratie

Die Maßnahme zielt auf Anhänger linker Parteien, insbesondere der oppositionellen Arbeiterpartei, die 2003 bis 2016 die Regierung stellte. Ziel sei es, „die sozialistischen und kommunistischen Ideen“ aus den Ministerien zu verbannen, sagte Lorenzoni. Der Bolsonaro-Vertraute ist für die Koordinierung der verschiedenen Ministerien untereinander zuständig. Es ergebe keinen Sinn, in den Ministerien Menschen zu beschäftigen, die „eine andere Denkweise und ein anderes politisches System“ vertreten. In seinem eigenen Ministerium entließ Lorenzoni bereits 300 Angestellte.

Kritiker befürchten Abholzung am Amazonas

Verheerende Auswirkungen auf die Umwelt dürften indes die Entscheidungen haben, die Bolsonaro noch am Abend seiner Amtseinführung traf: Per Erlass übertrug er dem Landwirtschaftsministerium die heikle Aufgabe der Abgrenzung von Gebieten der Ureinwohner. Dabei geht es unter anderem um die Bewirtschaftung von Regenwaldgebieten, die angestammte Gebiete von Ureinwohnern sind.

Bisher war die Behörde Funai hierfür zuständig. Die neue Landwirtschaftsministerin Tereza Cristina da Costa ist eine Vertreterin der Agrarwirtschaft. Kritiker und Kritikerinnen befürchten nun eine beschleunigte Abholzung am Amazonas, um neue Anbau- und Weideflächen für die Landwirtschaft zu schaffen.

Der Richtungswechsel dürfte auch den internationalen Klimaschutz in Gefahr bringen, da sich die indigenen Gemeinschaften Brasiliens traditionell als „Hüter des Waldes“ verstehen und Widerstand gegen die großflächige Abholzung leisten. Zudem liebäugelt Bolsonaro mit einem Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutzabkommen. Dabei kommt Brasilien im Kampf gegen den Klimawandel eine wichtige Rolle zu, da das Amazonas-Gebiet als CO2-Speicher von globaler Bedeutung ist.

Wenig ambitioniert bei Wirtschaftszielen

Ähnlich wie Trump bedient Bolsonaro mit nationalistischen und erzkonservativen Maßnahmen und Äußerungen seine Wählerschaft, die sich vor allem aus evangelikalen Christen, Waffenfans und Anhängern einer wirtschaftsliberalen Politik zusammensetzt. Dazu passen die exzentrischen Vorschläge seiner Familienministerin, Buben sollten sich künftig blau und Mädchen rosa anziehen, und seines Außenministers, der die Globalisierung offenbar am liebsten ganz abschaffen möchte.

Bei der Umsetzung der dringend benötigten Wirtschaftsreformen im größten Land Lateinamerikas zeigte sich Bolsonaro allerdings bisher weniger ambitioniert. Nach der Ankündigung seines Wirtschaftsministers Paulo Guedes, den Umbau des untragbaren Pensionssystems als oberste Priorität zu behandeln, sorgte der Präsident wenig später für Verwirrung, als er im Gespräch mit Journalisten das Pensionsmindestalter deutlich niedriger ansetzte als angekündigt – und sich dann auch noch entgegen seiner Ankündigungen für Steuererhöhungen aussprach.

„Grob vereinfachte Antworten“

So entstand in den ersten Amtstagen der Eindruck, Bolsonaro und seiner Regierungsmannschaft fehle es an einer durchdachten Strategie, um die drängendsten Probleme Brasiliens anzugehen: „Man hat das Gefühl, die Mitglieder dieser Regierung haben keine Ahnung, was Brasiliens gravierendste Probleme sind“, sagt die Politikwissenschaftlerin der Universität von Sao Paulo, Maria Herminia Tavares de Almeida. „Und wenn sie wichtige Fragen ansprechen, geben sie grob vereinfachte Antworten.“