Pro-Brexit-Demonstrant
Reuters/Henry Nicholls
Warnungen und Gerüchte

Nervosität steigt vor Brexit-Abstimmung

Vor der entscheidenden Brexit-Abstimmung im britischen Parlament am Dienstag steigt spürbar die Nervosität. Am Sonntag warnte Großbritanniens Premierministerin in einem Gastkommentar in einer Zeitung vor den „katastrophalen“ Folgen eines Neins zum aktuellen Entwurf des Brexit-Abkommens mit der EU. Ein Austritt ohne Vertrag käme laut aktuellen Zahlen teuer – nicht nur für die Briten.

Die Entscheidung sei die wichtigste einer ganzen Generation, schrieb May am Sonntag im britischen „Sunday Express“, wo sie auch den aktuellen Vertragsentwurf verteidigte. Sie habe zum Vorteil ihres Landes lange und intensiv mit Brüssel verhandelt. Der aktuelle Deal gebe Großbritannien die Kontrolle über seine Grenzen und sein Geld zurück, schrieb May.

Wird der Entwurf abgelehnt, wäre das ein „katastrophaler und unverzeihlicher Vertrauensbruch in unsere Demokratie“, so May. Ihre Botschaft an das Parlament an diesem Wochenende sei also einfach: „Es ist an der Zeit, die Spiele zu vergessen und das zu tun, was für unser Land richtig ist.“ (…) „Es ist die größte und wichtigste Entscheidung, die jeder Abgeordnete unserer Generation treffen muss.“ Die Bürger dürften nicht im Stich gelassen werden.

Zahlreiche Gerüchte kursieren

Die Abstimmung über die Brexit-Vereinbarung zwischen London und den 27 anderen Mitgliedsstaaten ist am Dienstag geplant. May könnte dabei eine Niederlage erleiden, spekuliert die britische Presse. Was dann genau passiert, steht in den Sternen. Der „Express“ glaubt an eine veritable Verfassungskrise, May sei gewarnt, dass nach einer Niederlage die Regierung nicht mehr handlungsfähig sei, hieß es in der „Sunday Times“. Die Rede war außerdem von einem möglichen
Komplott bzw. „Coup“ von Abgeordneten.

Eindringliche Warnung Mays

May schrieb weiter: Wenn das Parlament das Abkommen nicht unterstützen würde, „riskieren wir einen Austritt ohne Abkommen, mit all der Unsicherheit für Arbeitsplätze und Sicherheit, die damit verbunden ist“. Scharf griff sie Oppositionsführer Jeremy Corbyn an. „Es handelt sich nicht um einen Diskussionswettbewerb mit Preisen, die für die ideologische Reinheit einer Position vergeben werden.“ In Corbyn treffe sie auf einen Labour-Führer, der mehr daran interessiert sei, Politik zu spielen als im besten Interesse des Landes zu handeln.

Es wäre „katastrophal“, wenn es zu einem ungeregelten Brexit käme, sagte Corbyn daraufhin am Sonntag. Sollte die Premierministerin bei der Abstimmung am Dienstag mit ihrer Vereinbarung scheitern, werde er bald ein Misstrauensvotum in Gang setzen.

Durch das Abkommen werde Großbritannien „eine beispiellose wirtschaftliche Beziehung zu unseren europäischen Nachbarn“ gegeben, eine, die kein anderes großes Land genieße, britische Jobs würden geschützt, schrieb May. Außerdem werde die Kontrolle über die Handelspolitik zurückgewonnen, so dass erstmals seit 40 Jahren die Möglichkeit genutzt werden könnte, „neue Handelsdeals mit Partnern in der ganzen Welt zu schmieden“. Darüber hinaus werde Großbritannien wieder ein unabhängiger Küstenstaat mit voller Kontrolle über die eigenen Gewässer, wenn man sich aus der gemeinsamen Agrar- und Fischereipolitik zurückziehe.

„Harter“ Brexit nicht nur für London teuer

Verliert May die Abstimmung, könnte es am 29. März zu einem ungeregelten Ausscheiden Londons aus der Union kommen. Ein derartiger „harter“ Brexit würde nicht nur für London teuer, heißt es in einer aktuellen Studie, aus der am Sonntag die deutsche Presse zitierte.

Ein „hard Brexit“ würde auch die verbleibenden EU-27 und Unternehmen Milliarden kosten. Deutschland alleine würde etwa bis Ende kommenden Jahres etwa 4,2 Mrd. Euro mehr in die EU-Gemeinschaftskassa einzahlen müssen, hieß es von der Funke-Mediengruppe unter Berufung auf Berechnungen des renommierten Brüsseler Forschungsinstituts BRUEGEL (Brussels European and Global Economic Laboratory).

Die Summe wäre der deutsche Anteil am Ausgleich einer Lücke von insgesamt 16,5 Mrd. Euro, die im EU-Haushalt von April 2019 bis Ende 2020 bei einem britischen EU-Austritt ohne Abkommen entstehen würde. Großbritannien ist nach Deutschland der größte Nettozahler in der EU. Den Mehrkosten für Deutschland stünden lediglich etwa 200 Mio. Euro Erlöse aus den Zolleinnahmen gegenüber.

Zölle als weiteres Hindernis

Der deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) kalkuliert außerdem mit jährlich drei Mrd. Euro an Zöllen, die deutsche Unternehmen für Exporte nach Großbritannien voraussichtlich entrichten müssten, dazu kämen noch weitere rund 200 Mio. Euro für Zollformalitäten. Das BRUEGEL-Institut rät der EU zu einer harten Gangart. Sollte Großbritannien seinen Zahlungspflichten nicht nachkommen, müsse das als „feindlicher Akt“ betrachtet werden. Dann sollte die EU Großbritannien auch keine Konzessionen bei notwendigen Notfallmaßnahmen für einen harten Brexit machen.