Filmmacher Michael Moore
Reuters/Shannon Stapleton
Michael Moore

Propagandaschrott für das linke Amerika

Diese Woche läuft in den heimischen Kinos Michael Moores groß angekündigte Anti-Trump-Doku „Fahrenheit 11/9“ an. Und es ist wie stets bei ihm: interessante Fakten – aber eingepackt in ein Propagandafeuerwerk, für das man sich als Dokumentarist und Journalist schämen sollte.

Was nicht heißt, dass alles, was Moore sagt, daneben oder irrelevant ist. Am spannendsten ist die Doku dort, wo Moore sich dem Begriff des Volkes widmet. Denn die größte propagandistische Leistung der Populisten ist es ja nicht, dem Volk nach dem Maul zu reden (das kann jeder), sondern dem Volk überhaupt erst einmal zu sagen, wer oder was das Volk ist. In den USA haben populistische Politiker und rechte Kommentatoren den Begriff „Real America“ geprägt – und zwar gezielt, nicht zufällig, während des Trump-Wahlkampfs.

Das „Real America“ außerhalb von Washington; das „Real America“, für das die abgehobene Politikerklasse längst jedes Gefühl verloren hat; das „Real America“, das endlich wieder sagen darf, was es denkt. Gemeint sind: weiße Rassisten und Waffennarren. Tatsächlich wurde Trump gewählt. Dann muss es ja stimmen, dass sie, die Rassisten und Waffennarren, das echte Amerika sind – oder doch nicht?

Ausschnitt aus dem Film Fahrenheit 11/9
Polyfilm
Da waren sie noch jünger – und höflich zueinander: Michael Moore und Donald Trump in einer Talkshow

So links sind die USA

Nein, sagt Moore: „Die USA sind ein linksgerichtetes Land. Es stimmt. Wir sind eine rockende, uns prügelnde, schwule, waffenfeindliche, multikulturelle, kiffende, baumumarmende, hip-hoppende, überall stillende, Quinoa kochende, links-liberale Nation.“ Folgende Fakten führt er als Beleg an:

71 Prozent der Amerikaner sind für das Recht auf Abtreibung, 82 Prozent für die gleiche Bezahlung von Frauen, 74 Prozent für strengere Umweltschutzgesetze, 61 Prozent für die Legalisierung von Marihuana, 70 Prozent für eine staatliche Krankenversicherung, 60 Prozent für eine kostenlose Ausbildung, 59 Prozent für eine ebensolche Kinderbetreuung, 62 Prozent sind pro Gewerkschaften, 61 Prozent für die Kürzung von Militärausgaben. 58 Prozent sprechen sich für die Aufspaltung großer Banken aus. 78 Prozent besitzen keine Waffen. 75 Prozent befürworten Immigration. 57 Prozent der Texaner sind nicht weiß.

Als Quelle werden anerkannte Umfrageinstitute, Behörden, Universitäten und Nachrichtenagenturen angegeben.

Wenn Wähler nicht die Wahl haben

Und hier beginnt Moore, die Demokratie US-amerikanischer Prägung ganz grundsätzlich in Frage zu stellen. Denn aufgrund des Wahlmännersystems ist es möglich, dass ein Präsident zwar nicht die Mehrheit der Stimmen auf sich vereint, aber dennoch eine Wahl gewinnen kann, der Wahlarithmetik sei Dank. Moore rechnet vor, dass Trump, wie viele, vor allem republikanische Präsidenten vor ihm, die „Popular Vote“ verloren hat, also eigentlich mehr Menschen Hillary Clinton als Präsidentin gewollt hätten.

Aber auch sonst sei linkes Wählerpotenzial verloren gegangen, weil viele demokratische Wähler Clinton nicht unterstützen wollten und sich um ihre Vorwahlunterstützung für den linken Kandidaten Bernie Sanders betrogen fühlten. Der Titel des Films verweist auf das Wahldilemma – 9/11 statt 11/9, es geht um das Datum, an dem Trumps Sieg offiziell wurde.

Ein Schritt vor und drei zurück

Moores Methoden der Darstellung sind zweifelhaft, seine Fakten sind es nicht. In Zeiten, in denen Politiker auf Fragen von Journalisten nicht mehr antworten, sondern völlig unabhängig davon auswendig gelerntes NLP-Gequatsche von sich geben und vorbereitete Botschaften, gespickt mit einzelnen Catch-Words verbreiten, ist es nicht einfach, sinnvolle Wahlentscheidungen zu treffen, vor allem, wenn auch die Opposition völlig auslässt.

Und das arbeitet Michael Moore heraus: Dass (am Beispiel Amerikas, aber längst nicht nur dort) Symbolpolitik gemacht wird, um im Hintergrund die eigene Klientel zu bedienen. Einmal „Ausländer raus“ geschrien, schon kann man Gesetze durchpeitschen, die jede Solidarität in ihr Gegenteil verkehren und eine Umverteilung von unten nach oben in Gang bringen, also genau das Gegenteil von dem, was in Jahrzehnten moderater Politik, unten getrieben von Gewerkschaften, oben von Aufklärern, an Fortschritt erzielt werden konnte.

Nicht besser als die Populisten

Und dennoch macht Moore sich schrecklich lächerlich. Wenn Politiker oder vor allem Aktivisten aus dem linken Spektrum ins Bild kommen: glockenhelle Glücksmusik, kämpferische Hymnen, Bilder wie in Musikvideos, die von Revolution erzählen. Wenn populistische Politiker oder rechtsgerichtete Privatpersonen ins Bild kommen – bedrohlich-dramatische Musik in Molltönen, hässliche, dicke Menschen, die sabbernd herumbrüllen, Politiker in peinlichen Privatsituationen, und als ekelhafter Höhepunkt: Bilder einer Hitler-Rede mit einer Ansprache von Trump als Voice-Over.

Das Problem dabei: Man kann die Methoden der Populisten nicht übernehmen, ohne sich dabei schmutzig zu machen. Denn die Propaganda ist kein Nebenprodukt, sie ist das Herzstück jeder demokratiefeindlichen Ideologie. Sie ist per se verächtlich. Sie geht davon aus, dass das Volk so strunzdumm ist, dass man es mit einfachen Methoden manipulieren kann, um seine Ziele zu erreichen. Das ist menschenverachtend – und eine im Herzen menschenverachtende Ideologie hat niemals recht.

Ausschnitt aus dem Film Fahrenheit 11/9
Polyfilm
Sich über so jemanden lustig zu machen: kein Kunstwerk

Dramaturgisch verzettelt

Im Übrigen hat sich Moore auch dramaturgisch völlig verzettelt. Er erzählt zwei Geschichten, die miteinander nur am Rande zu tun haben, und gibt ihnen in der mehr als zwei Stunden langen Doku in etwa gleich viel Raum. Der eine Erzählstrang handelt von Trump, wie er an die Macht kam, von den Demokraten, die nicht nur die Wahl versemmelt, sondern dabei auch noch ein Demokratieverständnis an den Tag gelegt haben, das dem von Trump ebenbürtig ist (Moore ist glühender Bernie-Sanders-Fan). Das ist in sich stimmig.

Und er erzählt die Geschichte von Flint, einer Stadt im Bundesstaat Michigan, der mit Rick Snyder nach Darstellung Moores einen besonders skrupellosen Gouverneur hatte. Snyder sorgte dafür, dass das gute Wasser an die Industrie geliefert wurde, während das bleiverseuchte mit den alten Rohren an die vor allem schwarze Bevölkerung ging. Die ganze Region ist zu einem einzigen verseuchten Ghetto mit hoher Sterblichkeitsrate verkommen. In seiner Amtszeit kam Präsident Barack Obama zu Besuch und tat: auch nichts.

Bloß – die beiden Erzählstränge werden nur mühsam verknüpft nach dem Motto: Wenn Republikaner an der Macht sind, dann geht die Welt unter. Ständig hat man als Zuseher den Eindruck, dass hier zwei Dokus, die bereits fertig waren, mutwillig vermischt worden sind, ohne je ein Ganzes zu ergeben.

Bürgerkriegspathos

Der Film wäre auch ohne Bürgerkriegs-Pathos und vergiftete Kinder in die Kinos gekommen, dafür garantiert der Name Michael Moore. Und Moore hätte damit auch Menschen erreicht, die nicht ohnehin auf seiner Seite sind. So ist das nichts als ein „Preaching to the converted“ mit schalem Nachgeschmack.