In London gebe es „zwei Mehrheiten gegen etwas“, fasste es der Präsident des Europäischen Parlaments, Antonio Tajani, am Mittwoch in Straßburg zusammen: „Eine Mehrheit gegen den ausverhandelten Austrittsvertrag, eine andere gegen einen Austritt ohne Vertrag.“ Was es nicht gebe, sei „eine Mehrheit für etwas“ – mehr dazu in oe1.ORF.at.
An Ideen, Vorschlägen und Forderungen mangelt es dagegen nicht im Vereinigten Königreich. Manche Abgeordnete verlangen ein weiteres Referendum, andere eine Nachverhandlung des Austrittsabkommens. Wieder andere plädieren für eine Verschiebung des Austrittstermins vom 29. März auf ein späteres Datum. Es gibt Stimmen, die danach rufen, quasi mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, und für einen „harten“ Brexit eintreten – und solche, die das Austrittsgesuch überhaupt zurückziehen wollen.
„Britische Sackgasse“
Was sich davon letztlich umsetzen lässt, ist unklar. Die Zeit drängt jedenfalls: In zehn Wochen soll das Vereinigte Königreich die Europäische Union wie geplant verlassen. Am Austrittstermin werde nicht gerüttelt, wie Premierministerin Theresa May bereits mehrfach festhielt.
In der EU wurde am Mittwoch einmal mehr vor den Folgen eines ungeregelten Austritts gewarnt: „Noch nie war das Risiko eines ‚No Deals‘ so groß“, sagte EU-Chefunterhändler Michel Barnier im EU-Parlament in Straßburg: „Solange wir keinen Ausgang für die britische Sackgasse gefunden haben, sind wir nicht in der Lage weiterzumachen.“
„Die einzig positive Lösung“
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte nach dem Votum in London sein Bedauern über den Ausgang der Abstimmung ausgedrückt. Gleichzeitig forderte er Klarheit: Das Vereinigte Königreich müsse seine Absichten so schnell wie möglich kundtun. Nachverhandlungen mit London schloss Juncker aus.
EU-Ratspräsident Donald Tusk deutete auf Twitter an, dass ein Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU die einzig gute Lösung wäre. Wenn ein Abkommen unmöglich sei, niemand aber einen Austritt ohne Vereinbarung wolle: „Wer wird dann letztlich den Mut haben zu sagen, was die einzig positive Lösung ist?“
Keine Anfrage zu Verschiebung
Im Raum steht auch eine Verschiebung des Austrittsdatums. Eine Anfrage für eine Verlegung des Termins an die EU gebe es bisher nicht, sagte ein Sprecher der EU-Kommission. Sollte diese erfolgen, liege es in der Hand der 27 EU-Staaten, das einstimmig zu entscheiden. Der Spielraum ist auch in diesem Fall begrenzt: Im Mai wird das Europaparlament gewählt, im Juli soll es erstmals zusammentreten – wäre das Vereinigte Königreich dann noch in der EU, müsste es Abgeordnete haben.
Weiter alles offen beim Brexit
Die ORF-Korrespondenten Andreas Pfeifer und Peter Fritz berichten aus London und Straßburg über die Abstimmung zum Brexit-Abkommen und die Auswirkungen auf den britischen EU-Austritt.
Ob sich eine Verschiebung des Austrittstermins von Ende März auf Juli lohnt, wird vielerorts bezweifelt, zumal London und Brüssel seit mittlerweile schon 17 Monaten erfolglos über die Brexit-Modalitäten verhandeln. „Wenn es notwendig ist Zeit zu gewinnen, sollte man diese Möglichkeit in Betracht ziehen“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), „(…) aber das macht nur Sinn, wenn es auch eine klare Strategie gibt.“
„Wir können nicht zurückgehen und den Anfang verändern“, sagte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans. Aber man könne das Ende ändern. Auch er sagte, die EU müsse sich auf einen „No Deal“ vorbereiten. „Der Brexit richtet Schaden an, er schadet Großbritannien, er schadet der Europäischen Union. Wir als Politiker haben die Verpflichtung, diesen Schaden auf das mögliche Minimum zu begrenzen“, so Timmermans.