Die britische Premierministerin Theresa May im Parlament
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Nach Brexit-Niederlage

May übersteht Misstrauensvotum knapp

Theresa May bleibt vorerst britische Premierministerin. In dem von Labour-Chef Jeremy Corbyn eingebrachten Misstrauensvotum sprachen sich am Mittwoch 325 Abgeordnete für May aus, 306 stimmten gegen sie. Mit hauchdünnem Vorsprung liegt es damit an May, rasch einen Plan B für den Brexit zu finden.

May zeigte sich „erfreut“, dass das Unterhaus ihrer Regierung das Vertrauen ausgesprochen habe. Sie nehme die Verantwortung „nicht auf die leichte Schulter“. Die Regierung werde weiterhin daran arbeiten, den Brexit umzusetzen. Sie wolle jetzt mit den anderen Parteispitzen an einem „Weg nach vorne“ arbeiten, so May – und kündigte sofortige Gespräche an.

Labour-Chef Corbyn sagte im Parlament, damit diese Gespräche stattfänden, müsse May erst einen „harten“ Brexit ohne Abkommen ausschließen. Auch die Liberal Democrats sagten, ein „No Deal“-Brexit dürfe auf keinen Fall eine Option sein. Die schottische SNP zeigte sich erfreut über das Angebot Mays, Gespräche zu führen. Die Möglichkeit einer Volksabstimmung müsse allerdings „weiterhin gegeben sein“, hieß es.

Gemeinsame Gesprächsbasis als Herausforderung

Einen „harten“ Brexit wolle May aber nicht ausschließen. Kurz nach der Abstimmung sagte ihr Sprecher: „Die Premierministerin hat klar gesagt, dass die britische Bevölkerung dafür gestimmt hat, die EU zu verlassen.“ Auf die Frage, ob, wie von der Opposition gefordert, ein „No Deal“-Brexit „vom Tisch“ sei, verneinte der Sprecher.

Unter diesen Vorzeichen werden sich die Gespräche mit der Opposition wahrscheinlich schwierig gestalten. Den Anfang machten am Mittwochabend bereits die SNP und die Liberal Democrats. Corbyn lehnte unterdessen laut „Telegraph“-Journalist Christopher Hope ein Treffen mit May ab, außer sie nehme von der „No Deal“-Brexit-Option Abstand – was sie nicht könne, so Hope.

May „sehr enttäuscht“ über Corbyn

In einer öffentlichen Erklärung in der Nacht sagte May, dass sie „sehr enttäuscht“ sei, dass Corbyn bisher nicht an ihren Gesprächen mit den Parteivertretern teilnehmen wolle. Ihre Tür bleibe offen, so May, nun sei die Zeit, um persönliche Interessen hinanzustellen. Sie habe sich bereits mit einigen Parteiführern getroffen, in den kommenden Tagen soll es weitere Treffen zwischen Regierungsvertretern und Parlamentariern mit einem „möglichst breiten Meinungsspektrum“ geben.

Theresa May
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May will in den kommenden Tagen mit möglichst vielen Parlamentariern reden

Die Abgeordneten hätten klargemacht, was sie nicht wollten, sagte die Regierungschefin. Nun müsse konstruktiv daran gearbeitet werden herauszufinden, was das Parlament will. Die vergangenen 24 Stunden müssten für Menschen außerhalb des Regierungsviertels in London „beunruhigend“ gewesen sein, sagte sie. May betonte erneut, dass sie den Willen des britischen Volkes, das beim Referendum 2016 für einen Brexit gestimmt hatte, umsetzen wolle, das sei ihre Pflicht.

Schlagabtausch im Parlament

Das Misstrauensvotum war Thema einer mehrstündigen Debatte im Parlament vor der eigentlichen Abstimmung. Corbyn forderte darin am Nachmittag May erneut zum Rücktritt auf. Die „Zombie“-Regierung der konservativen Premierministerin habe „das Vertrauen und die Unterstützung“ des Parlaments verloren, so der Labour-Chef im Unterhaus. „Diese Regierung hat unser Land im Stich gelassen, sie kann nicht regieren.“ May solle daher ihr Amt niederlegen.

Die britische Premierministerin Theresa May während des Misstrauensvotums im „House of Commons“
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Die Debatte, die dem Votum vorausging, wurde über lange Strecken hitzig geführt

May konterte, eine Neuwahl sei „das Schlechteste, was wir machen können“. Sie würde die Spaltung im Land noch verschlimmern: „Es würde die Spaltung vertiefen, während wir Einheit brauchen, es würde Chaos bringen, während wir Gewissheit brauchen, und es würde Verzögerungen bringen, während wir vorankommen müssen.“ In diesem „entscheidenden Moment in der Geschichte unserer Nation“ sei eine Wahl „einfach nicht im nationalen Interesse“, so May.

Labour-Vize und Minister sorgen für Aufsehen

Unmittelbar vor Ende der Debatte kritisierte auch Labour-Vizechef Tom Watson die angeschlagene Premierministerin scharf, die Rede sorgte in Medien für Aufsehen. May werde für immer als „Nichts hat sich verändert“-Premierministerin bekannt sein, so Watson. Es müsse sich etwas ändern, obwohl es May nicht an Mühe und Einsatz mangle. Das Land habe „Mitleid“ mit der Premierministerin, aber das sei „nicht genug“.

Auch die Antwort vom Konservativen Michael Gove sorgte für Diskussionen in britischen Medien. Er habe die Partei in „Lächeln geeint“, schreibt etwa ein Journalist des „Evening Standard“ im Kurznachrichtendienst Twitter. „Ist das ein Eignungsgespräch?“, fragte er im Hinblick auf mögliche Ambitionen des Umweltministers auf die Parteispitze.

May wird Anfang nächster Woche Plan B vorlegen

Bis Montag wird May nun einen Plan B vorlegen, um einen chaotischen EU-Austritt doch noch zu verhindern. Mehrere Szenarien sind möglich: Sie könnte versuchen, weitere Zugeständnisse von der EU zu erreichen und das Abkommen dann erneut zur Abstimmung stellen. Denkbar ist auch die Forderung nach einer Verschiebung des Austrittsdatums – oder ein ungeordneter Brexit am 29. März.

Für May war die Abstimmung über den von ihr ausgehandelten Brexit-Deal eine herbe Niederlage: Das Unterhaus wies den Brexit-Vertrag am Dienstagabend mit 432 zu 202 Stimmen zurück. Eine Niederlage in diesem Ausmaß für eine britische Regierung gab es in der Geschichte noch nie, ähnlich verheerende Ergebnisse zuletzt in den 1920ern.

Grafik zeigt Daten zur Brexit-Abstimmung
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/Guardian

Cameron bereut Referendum nicht

Ex-Premierminister David Cameron äußerte sich am Mittwoch unterdessen zum ursprünglichen Referendum über den EU-Ausstieg Großbritanniens im Jahr 2016. Er hält die Abhaltung nicht für einen Fehler: „Ich bereue es nicht, das Referendum ausgerufen zu haben“, sagte der konservative Politiker der BBC. Er habe damit ein Wahlversprechen eingelöst und dafür auch den Rückhalt des Parlaments gehabt. Nach der knappen Niederlage des „Remain“-Lagers trat Cameron als Premier zurück, danach übernahm Theresa May die Regierungsspitze.