Archivbild der Govch Fock auf Hoher See
Reuters/Fabian Bimmer
Falsch kalkuliert

Der langsame Untergang der „Gorch Fock“

Die „Gorch Fock“, Stolz der Deutschen Marine und ständiges Problemschiff zugleich, wird sehr wahrscheinlich nie wieder ihr Dock verlassen. Dort liegt der Dreimaster mehr oder weniger in seine Einzelteile zerlegt zur Sanierung, die vielleicht nie mehr abgeschlossen wird. Immer mehr Probleme tauchten auf, die Kosten explodierten, Geld gibt es keines mehr, dafür einen weiteren Skandal.

Das Segelschulschiff zur Ausbildung von angehenden Offizieren und Unteroffizieren wurde 1958 in Dienst gestellt, nach fast sechs Jahrzehnten auf See sollte es ab 2015 überholt werden. Der deutsche „Spiegel“ erinnerte vor wenigen Tagen daran, dass damals dafür knapp über vier Monate Zeit und etwa zehn Mio. Euro Budget veranschlagt gewesen seien. „Mehr als drei Jahre später liegt das Schiff heute komplett zerlegt in der Werft.“

Mittlerweile seien die Kosten auf etwa 135 Mio. Euro gestiegen, Ursache sei „gravierendes Missmanagement“. Im Zentrum der Kritik steht das Verteidigungsministerium unter Ursula von der Leyen (CDU) – wieder einmal. Grund ist aktuell ein vertraulicher Bericht des Bundesrechnungshofs (BRH) in Bonn, in dem dieser laut „Spiegel“ Bundeswehr und Verteidigungsministerium für das Debakel verantwortlich macht.

Archivbild der Govch Fock auf Hoher See
AP/David Hecker
Die „Gorch Fock II“ war seit 1958 auf den Weltmeeren unterwegs

Offenbar Reparatur ohne Plan

Darin heiße es im Wesentlichen, dass mit der Sanierung praktisch planlos begonnen worden sei. „Vor Beginn der Arbeiten war nicht geklärt, ob die Instandsetzung der ‚Gorch Fock‘ insgesamt noch wirtschaftlich lohnend war“, zitierte das deutsche Nachrichtenmagazin. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“) schrieb etwas weniger prosaisch von „Kaskaden tölpischer Werftmitarbeiter“, falschen Gutachten und Offizieren mit Geltungsdrang.

Der Projektleiter habe längst die Reißleine ziehen wollen, schließlich koste jeder Tag im Dock etwa 10.000 Euro, schrieb der „Spiegel“. Die Verteidigungsministerin habe jedoch zugesehen und nicht reagiert. Nun werde „die sündhaft teure Reparatur“ des Schiffs „zur handfesten Affäre“. Zuletzt habe auf dem Dreimaster Gefahr für Leib und Leben der Besatzung bestanden, befand der BRH. Nun laute die Alternative zur Sanierung Verschrottung, selbst der Umbau der „Gorch Fock II“ – so der korrekte Name – würde zu viel Geld kosten, hieß es Ende der Woche in deutschen Kommentaren. „Der alte Segler erlebt gerade seinen vielleicht schwersten Sturm an Land.“

„Stürme“ und Negativschlagzeilen

Stürme im übertragenen Sinn hat der Dreimaster schon einige überstanden. 2010 starb eine 25-jährige Offiziersanwärterin während eines Hafenaufenthalts in Brasilien bei einem Sturz aus großer Höhe von der Takelage (dem System aus Masten und Tauen eines Segelschiffs). Anschließend wollten weitere Kadetten nicht mehr auf Masten klettern bzw. von Bord gehen, in den Medien war die Rede von einer „Meuterei“.

Marinesoldaten steigen auf in die Takelage auf
APA/dpa/Carsten Rehder
Mehrere Menschen stürzten bei Unfällen auf der „Gorch Fock II“ von Masten bzw. Takelage in den Tod

Eine Untersuchungskommission wurde eingesetzt, der Ausbildungsbetrieb unterbrochen. Der tragische Vorfall war nicht der erste auf dem Schiff gewesen. Mehrere Menschen starben durch Unfälle auf Deck oder wurden verletzt, 2008 war eine 18-jährige Kadettin über Bord gegangen und ertrunken. Der erste Todesfall an Bord hatte sich 1959 ereignet.

Berichte über Alkohol und Belästigung

Ab Ende 2010 geriet die „Gorch Fock II“ nicht nur wegen des tödlichen Unfalls und der „Meuterei“ (die militärstrafrechtlich keine war) in die Schlagzeilen. Nachdem die Medien auf das Schiff aufmerksam geworden waren, sprachen junge Soldatinnen und Soldaten von Alkoholexzessen unter der Stammbesetzung, unwürdigen Initiationsritualen, Schikanen und sexueller Belästigung. Die Besatzung wehrte sich gegen die Vorwürfe.

Der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), später wegen der Plagiatsaffäre um seine Dissertation zurückgetreten, ließ Bericht erstatten, die Vorwürfe verliefen sich großteils im Sand, Ermittlungen der Justiz wurden eingestellt. Unter einem neuen Kommandanten und Guttenbergs Nachfolger Thomas de Maiziere (CDU) wurde schließlich der Ausbildungsbetrieb wieder aufgenommen.

„Ende einer Seefahrt“

Zuletzt tauchten im Zusammenhang mit der Reparatur des Schiffs bzw. der Auftragsvergabe Korruptionsvorwürfe auf. Von der Leyen verhängte einen Zahlungsstopp. In der „FAZ“ hieß es am Freitag schließlich unter dem Titel „Ende einer Seefahrt“, dass in Wirklichkeit niemand wisse, „ob die ‚Gorch Fock‘ die Werft jemals schwimmend verlassen wird oder als zerlegtes Wrack“.

Die „Gorch Fock II“ ist die Nachfolgerin der 1933 gebauten „Gorch Fock I“, die nach ihrer Versenkung durch die eigene Besatzung am Ende des Zweiten Weltkriegs und Bergung samt wechselvoller Geschichte als sowjetisches Schiff heute als Museumsschiff in Stralsund liegt. Benannt sind beide Schiffe nach dem deutschen Schriftsteller Gorch Fock (eigentlich Johann Wilhelm Kinau), gebaut wurden sie von der Hamburger Werft Blohm+Voss.

Gorch Fock
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Die „Gorch Fock I“ liegt im nordostdeutschen Hafen Stralsund

Knapp 35-mal um die Erde

Die „Gorch Fock II“ mit Heimathafen Kiel ist knapp 90 Meter lang und zwölf Meter breit, die Masten sind bis zu 45 Meter hoch. Die gesamte Besatzung umfasst 200 Männer und Frauen, ausgebildet werden auf dem Schiff Offiziere und Unteroffiziere. Das Schiff legte in den letzten sechs Jahrzehnten über 750.000 Seemeilen (fast 1,4 Mio. Kilometer) zurück, was knapp 35 Erdumrundungen entspricht, etwa 15.000 Männer und Frauen fuhren auf dem Schiff, zur 168. und letzten Ausbildungsfahrt hatte es 2015 abgelegt.